Rechtsextreme dringen an die Universitäten vor und wollen Wissenschaft zur Waffe machen. Der ruprecht recherchierte zu einem ihrer wichtigsten Ideologen, dem Youtuber „Der Schattenmacher“. Die Spuren führen zu einem ehemaligen Heidelberger Doktoranden
Er spricht vom „Manager-Staat“, von „genetischer Verwahrlosung“ und vom Untergang des Abendlandes. Er doziert über Staatstheorie und sympathisiert mit der Incel-Bewegung. In stundenlangen Videos verliest „Der Schattenmacher“ seine Thesen von der angeblichen Sinnhaftigkeit der Rassenlehre und der genetischen Überlegenheit mancher Ethnien, immer in schrill-schneidendem, selbstgefälligem Ton. Seine Stimme ist dabei auch alles, was er öffentlich von sich zeigt. Sein Markenzeichen, ein mutmaßliches Porträt von ihm, ist zur Hälfte geschwärzt. Hinter dem Pseudonym des Youtubers steckt nach übereinstimmenden Berichten von Correctiv und anderen Medien Fabian Kutzki. Nach Recherchen des ruprecht ist Kutzki ein ehemaliger Heidelberger Doktorand.
Rassen seien sinnvolle menschliche Kategorien, erklärt der Schattenmacher
Der Schattenmacher schwingt nicht die großen Parolen. Er macht Anspielungen, verklausuliert, bleibt im Konjunktiv – und macht doch keinen Hehl aus seiner Radikalität: „Konservativ, rechts, rechtsradikal, rechtsextrem. Als was siehst Du Dich?“, wird er in einem Podcast gefragt. Die Antwort: „Wenn ich meine politische Einstellung auf einer Gaußkurve auftragen würde, wäre ich sicherlich zwei bis drei Standardabweichungen rechts der Mitte.“ Der Schattenmacher inszeniert sich gerne als Intellektueller, als Wissenschaftler. Mit seinen 54.000 Youtube-Abonnent:innen ist er einer der einflussreichsten medialen Vertreter eines Rechtsextremismus, dem die AfD zu gemäßigt und die „übliche Rechte“ zu proletenhaft ist. Mit immer größerer Vehemenz dringt dieses Milieu im digitalen Bereich vor und fällt durch öffentliche Aktionen zunehmend auch im universitären Raum auf.
Doppelleben in Heidelberg
Erste Hinweise auf die mögliche Identität hinter dem Kanal „Der Schattenmacher“ werden 2022 von linken Kreisen veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt ist Fabian Kutzki Doktorand am privaten „Heidelberg Institute for Theoretical Studies“, kurz HITS. Gelegen oberhalb des Heidelberger Schlosses, wird am HITS interdisziplinär, vor allem zu Mathematik und Informatik, geforscht, die Verbindungen zur Universität Heidelberg sind dabei eng. Während Kutzki von 2017 bis 2022 in Heidelberg promoviert und auch an Lehrveranstaltungen an der Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Heidelberg beteiligt ist, baut er als „Der Schattenmacher“ parallel seinen Kanal aus: Er produziert im Jahr 2020 Videos wie „Die Hölle, das ist die Mitte“ und wirkt im Wintersemester an einer Vorlesung mit. Während er an der Durchführung von einem Kurs über Biophysik beteiligt ist, doziert er auf Youtube bereits 2018 über „Überlegenheit als psychologisches Konzept.“
Frauke Gräter betreute die Promotion Fabian Kutzkis in ihrer Arbeitsgruppe am HITS. Die Professorin an der Universität Heidelberg ist seit 2024 Direktorin eines Max-Planck-Instituts in Mainz. Im Gespräch mit dem ruprecht erzählt die Wissenschaftlerin, ihr sei zwar klar gewesen, dass unterschiedliche politische Auffassungen bestünden. Dennoch sei sie schockiert gewesen, als sie von den Aktivitäten ihres Doktoranden erfuhr. Zu diesem Zeitpunkt, Ende 2022, sei der Kontakt zu Fabian Kutzki bereits abgebrochen, bisherige Verträge mit dem HITS und dem Graduiertenkolleg des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hätten nicht mehr bestanden.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Kutzki sei am HITS über den Umgang mit der Situation beraten und in diesem Zuge auch die Universität, das Dekanat Physik und die Polizei kontaktiert worden. Seine ehemalige Arbeitsgruppe am KIT wurde über den Fall ebenfalls informiert. Sie führt Kutzki dennoch weiterhin als Alumnus auf.
Kutzkis Schattenwelt
Die Staatsanwaltschaften in Heidelberg, Berlin und Köln, bestätigen dem ruprecht, dass unter dem Namen Fabian Kutzki bislang keine Verfahren laufen. In seinem Umfeld kam es dagegen bereits zu einer Verurteilung: Aron Pielka, der als „Shlomo Finkelstein“ regelmäßig mit dem Schattenmacher Podcasts aufnimmt, saß bis Mitte dieses Jahres im Gefängnis, unter anderem wegen Volksverhetzung. Der Schattenmacher prahlt offen damit, vor Pielkas Festnahme vom Verfassungsschutz abgehört worden zu sein. Während Kutzki versucht, seine Online-Präsenz von eindeutig rechtswidrigen Aussagen frei zu halten, scheinen viele seiner Thesen inhaltlich nicht minder drastisch.
Ausgangspunkt eugenischer Thesen ist dabei seine Grundüberzeugung von einem biologischen Determinismus: „Rassen sind sinnvolle Kategorien des Menschengeschlechts“ und Massenmord sei „für manche Problemstellungen nach rationalen Maßstäben die effektivste, sich anbietende Lösung“ – alles biologisch begründbar, so der Schattenmacher. Regelmäßig bezieht er sich in Argumentationen auf seinen naturwissenschaftlichen Hintergrund. So führt zum Beispiel die „Gegen-Uni“, ein Projekt, das kostenpflichtige „Lehrveranstaltungen“ von „Rechtsintellektuellen“ anbietet, den Schattenmacher als Dozenten auf. Für ein „Kamingespräch Genetik“ wird mit ihm als „junger Wissenschaftler, der […] im Internet Videos über politisch inkorrekte Forschungsergebnisse und deren soziale Implikationen veröffentlicht“, geworben. Diese Gespräche mit der „promovierten Biowissenschaftlerin“ Augusta P. verfolgten das Ziel „gegen auferlegte Sprech- und Denktabus“ zu rebellieren, heißt es online.
Wie gut der Schattenmacher in der Szene der „Rechtsintellektuellen“ vernetzt ist, verdeutlicht auch die Breite und Prominenz seiner extrem rechten Gesprächspartner, von AfD-Politiker Maximilian Krah bis Götz Kubitschek. Unter seinen zahlreichen Auftritten tritt die Ankündigung des Schattenmachers bei einem Event des international aktiven Veranstalters „Scyldings“ hervor. Das 2021 gegründete rechtsextreme Netzwerk veranstaltet regelmäßig teure Konferenzen, bewusst in „akademischem Stil“, in England haben sie auch schon in Uni-Räumlichkeiten getagt. Zu den eingeladenen „Speakers“ gehörte bereits Curtis Yarvin, oft als Ideengeber von Peter Thiel und Donald Trump bezeichnet. Beim ersten Event der Gruppe in Deutschland im April dieses Jahres wurde der Schattenmacher als Hauptredner angekündigt.
Mit Lesekreisen in die 1930er
Die Versuche, mit extrem rechter Ideologie auch in die akademische Sphäre vorzudringen, häufen sich mittlerweile, auch in Deutschland. Die „Aktion 451“ ist dafür ein hochaktuelles Beispiel. Unter dem Motto „Ein Buch ist eine Waffe“ will der Zusammenschluss identitärer und burschenschaftlich organisierter Studierender über Lesekreise „alle dissidenten Studenten im deutschsprachigen Raum […] vernetzen und […] mobilisieren“.
Die Aktion 451 will eine „Rückeroberung“ der Universitäten
Initiiert wurde die Aktion 451 unter anderem von Götz Kubitschek. Bei der Auftaktveranstaltung in Wien im April 2024 war auch der Schattenmacher angekündigt, wie das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg dem ruprecht bestätigte. Seitdem ist die Gruppe in rasanter Geschwindigkeit auch in deutschen Universitätsstädten angelangt: Insgesamt kündigte die Gruppe dieses Jahr Lesekreise an 14 Hochschulstandorten an, zuletzt am 5. Oktober in Kaiserslautern und am 13. in Dresden. Die Prämisse ihres namensgebenden Werks „Fahrenheit 451” scheint die Aktion längst verwirklicht zu sehen. Denkverbote, „Genderwahn” und „antiweiße Ideologie” seien Alltag an deutschsprachigen Universitäten und eine „Kulturrevolution” folglich notwendig. Die vom österreichischen Staatsschutz als „Identitäre Tarngruppe” bezeichnete Aktion 451 findet sich auch in deutschen Verfassungsschutzberichten wieder.
Mein Name ist Uni, ich weiß von nix
Aus Leipzig berichtet die Studizeitung luhze dem ruprecht, dass die Aktion 451 an ihrer Universität unter anderem durch Flyer in Büchern in der Unibibliothek in Erscheinung tritt, an anderen Universitäten werden Sticker verbreitet.
Sowohl die Universität Leipzig als auch die anderen Unis im deutschsprachigen Raum, an denen Lesekreise angekündigt wurden, versichern dem ruprecht, die Gruppierung sei ihnen nicht bekannt. Mehrere Universitäten verweisen zwar auf Programme und Erklärungen gegen Rechtsextremismus, doch dass die Aktion 451 bereits vor Ort um ihre Studierenden wirbt, scheint sie nicht erreicht zu haben. Lediglich den Universitäten Chemnitz und Jena ist die Gruppe überhaupt bekannt. Der Anstieg rechtsextremer Aktivitäten in Deutschland stellt nun auch die Universitäten vor eine Herausforderung neuer Dimension. Neben der Gefahr, die von koordinierten Strategien identitärer Gruppen ausgeht, wird sich Dekanen, Professorinnen und Gleichstellungsbeauftragten vermehrt die Frage stellen, welche Möglichkeiten ihnen im Umgang mit rechtsextremen Angestellten offenstehen.
Auch wenn das Grundgesetz in Artikel 5 der Freiheit von Wissenschaft und Lehre einen hohen Stellenwert beimisst, gilt für alle Angestellten des öffentlichen Dienstes eine Pflicht zur Verfassungstreue. Ein Angestellter der Universität kann sich demnach nicht auf seine Meinungsfreiheit berufen, wenn er rechtsextreme Inhalte im Internet teilt.
Im Fall Kutzki sind alle froh, dass niemand so richtig zuständig ist
Wissenschaftliche Anstellungen sind, gerade für Doktorand:innen, allerdings oft komplex, so auch im Fall Kutzki: Über die Universität Heidelberg lief lediglich sein Betreuungsvertrag. Angestellt war er zunächst am nicht-staatlichen HITS, dessen Compliance-Regeln eine Treuepflicht zum Grundgesetz nicht ausdrücklich vorsehen. Im Rahmen seiner Anstellung am staatlichen KIT müsste eine Erklärung seiner Verfassungstreue allerdings stattgefunden haben.
Die universitäre Beratungsstelle Unit for Family, Diversity and Equality (Unify) wurde Anfang dieses Jahres ebenfalls über Fabian Kutzkis politische Aktivität informiert. Die als Reaktion angekündigte Vortragsreihe zum Thema Rechtsextremismus befinde sich weiterhin in der Planungsphase, erklärt Unify. Entgegen der Darstellung von Frauke Gräter, es hätten Gespräche mit der Universität Heidelberg stattgefunden, antwortete die Pressestelle dem ruprecht, sie habe keinerlei Kenntnis über die Vorwürfe und der hergestellte Bezug zwischen dem Schattenmacher und der Universität Heidelberg sei auch nicht nachvollziehbar.
In Heidelberg wurde bisher kein Lesekreis der Aktion 451 angekündigt und Fabian Kutzki wird vermutlich keine Tutorien mehr an dieser Universität veranstalten. Doch weder die rechtsextremen Lesekreise noch der rechtsextreme Mitarbeiter werden Einzelfälle bleiben. Sie stehen sinnbildlich für eine Szene, die nicht nur in Gestalt von brüllenden Burschenschaftlern und gewaltbereiten Radikalen auftritt, sondern mit intellektuellem Anstrich auch in die universitäre Realität vordringt. Dieser Tatsache werden sich deutsche Universitäten stellen müssen. Während es angesichts der Aktivitäten der Aktion 451 kein Problembewusstsein zu geben scheint, sind im Fall Kutzki alle ganz froh, dass niemand so richtig zuständig ist. Ob unsere Hochschulen der wachsenden Gefahr, die von Rechtsextremen ausgeht, mit einer solchen Haltung begegnen können, ist ernsthaft zu bezweifeln.
Aus Gründen des Selbstschutzes bleiben die Autor:innen anonym.








