Hausarbeiten kaufen statt selbst schreiben: Auf den Spuren eines versteckten Phänomens.
[dropcap]E[/dropcap]in Gespenst geht um an deutschen Universitäten. Es ist schwer greifbar, nicht in Zahlen zu fassen – doch es ist klar, dass so mancher Studierende seine Hausarbeiten nicht selbst schreibt, sondern gegen Geld einen akademischen Ghostwriter beauftragt. Das Geschäft mit den gekauften Arbeiten läuft offenbar so gut, dass sich schon bei einer schnellen Internetsuche zahlreiche Agenturen finden, die damit werben, von professionellen Ghostwritern verfasste „Mustervorlagen“ zu verkaufen.
Einen Ghostwriter aufzutreiben ist also nicht schwer. Im Lauf unserer Recherche bekommen wir schnell Kontakt zu Agenturen und auch zu Autoren, von denen jedoch nur ein aktiver und ein ehemaliger bereit sind, uns Rede und Antwort zu stehen. Während die Autoren auf völlige Anonymität bestehen, möchte Michael Clauß von der Agentur „ghostwriter.city“ sogar unbedingt den Namen seines Geschäfts in der Zeitung lesen. Er lässt uns wissen, dass das Geschäftsmodell in seinen Augen sauber sei: „Wir gehen davon aus, dass unsere Kunden mit den erworbenen Texten verantwortungsvoll umgehen. Unsere Dienstleistungen sind legal.“
Tatsächlich nutzen Ghostwriter in Deutschland eine rechtliche Lücke. Denn so lange sie nur „Mustervorlagen“ verkaufen und alle Nutzungsrechte an die Kunden abtreten, können sie dafür nicht belangt werden. Nur der Studierende, der schließlich einen fremden Text als Prüfungsleistung abgibt, kann Probleme bekommen. Denn er begeht eine Täuschung, indem er gegen die sogenannte Eigenständigkeitserklärung verstößt, die mit jeder Arbeit abgegeben werden muss. Darin verpflichtet man sich, die Arbeit ohne fremde Hilfe und ohne Plagiate angefertigt zu haben. Oft nennt die Erklärung direkt auch die Konsequenzen eines Verstoßes: Durchgefallen ist ein Betrüger in jedem Fall, ihm kann sogar die Exmatrikulation drohen.
Das Problem: Ob eine Arbeit von einem Ghostwriter stammt, ist für die Prüfer kaum ersichtlich. Michael Clauß betont: „Alle Texte sind ‚maßgefertigt‘, also Unikate. Plagiate kann man unter Umständen mit Software oder sehr viel Aufwand nachweisen. Bei unseren Texten ist dies nicht möglich, da diese explizit nach den Wünschen eines Kunden angefertigt werden.“ Die Autoren selbst haben meist einen höheren Abschluss in dem Fachgebiet, in dem sie dann auch Kunden beliefern. Ein Autor von „ghostwriter.city“, dessen Antworten uns Michael Clauß anonymisiert zukommen lässt, gibt an, Volljurist zu sein und dementsprechend für Jura und „für juristische Grenzbereiche auch in BWL und Soziologie“ zu schreiben. Peter M., der eigentlich anders heißt, ist hingegen ein ehemaliger Ghostwriter und bereits seit Jahren nicht mehr in der Branche tätig. Er war vor allem für sein Hauptfach Wirtschaftswissenschaften aktiv. „In meinem Nebenfach Jura habe ich gegen Bezahlung höchstens kleinere Recherchen gemacht und Literaturverzeichnisse erstellt“, erzählt er. „Ab und zu waren aber auch Querthemen bis hin zu ökologischer Landwirtschaft dabei.“
In Heidelberg sind offiziell bisher keine Studierenden aufgeflogen, die einen Ghostwriter engagiert haben. Auf Anfrage teilt uns die Universität mit, das Thema sei zu komplex, um auf Fragen zu juristischen Details zu antworten. Aber: „Weder im Dezernat Studium und Lehre noch im Dezernat Recht sind derartige Fälle an der Universität Heidelberg bekannt geworden.“ Auch deutschlandweit finden sich kaum Fälle, in denen ein solcher Täuschungsversuch öffentlich wird oder vor Gericht landet. Das System scheint also zu funktionieren, denn es existiert ein breites Angebot – und die Branche kann sich nach eigenen Angaben nicht über Auftragsmangel beklagen.
Die Aufträge lassen sich die Agenturen dann auch einiges kosten. So kostet eine Arbeit mit 15 Seiten Umfang, die in zwei Wochen von „ghostwriter.city“ geliefert wird, 863 Euro. Je kürzer der Zeitraum, desto teurer werden die Leistungen. Auch zwischen einzelnen Fachgebieten bestehen Preisunterschiede. Juristische Hausarbeiten sind zum Beispiel besonders teuer. Günstiger kommt man als Geisteswissenschaftler weg. Mit drei Wochen Zeit erhält man eine Arbeit in diesem Fachbereich schon für 750 Euro. Was auf einen Studierenden preislich zukommt, der sich überlegt, eine Arbeit von einem Ghostwriter verfassen zu lassen, kann sich der Betreffende bequem in dem integrierten Preisrechner der Website anzeigen lassen. Doch dabei wird schnell klar: Für den durchschnittlichen studentischen Geldbeutel ist eine von einem Ghostwriter geschriebene Arbeit auf jeden Fall zu teuer.
Für die stattlichen Summen gibt es jedoch keine Garantie für eine gute Note. Da es sich nur um „Mustervorlagen“ handelt, können die studentischen Auftraggeber beim Einreichen der Arbeiten also nicht einmal mit einer Spitzenbewertung rechnen. Um die Qualität von Ghostwriter-Arbeiten zu ermitteln, hat Tim Schrankel für WDR360 eine Hausarbeit bei einer der zahlreichen Online-Agenturen in Auftrag gegeben. Zusammen mit einer von einem echten Studenten zum selben Thema verfassten Hausarbeit wurde diese einer Düsseldorfer Dozentin vorgelegt. Ihr Auftrag: Beide Arbeiten vergleichen und einen Tipp abgeben, welche die Arbeit des Ghostwriters ist. Für sie ist schnell klar, welche Arbeit nicht von einem Studenten geschrieben wurde. Diese sei „ausgesprochen elegant geschrieben“ und „handwerklich hervorragend“, aber leider inhaltlich oberflächlich. Der hohe Preis spiegelt also die Qualität nicht wider.
Doch warum greifen Studierende so tief in die Tasche für Arbeiten, die sie mit einiger Anstrengung auch selbst schreiben könnten? Ein Grund dafür kann sein, dass sie beim Schreiben von Hausarbeiten unter Druck geraten. „Das Thema Ghostwriting kommt bei uns praktisch nicht vor“, erklärt Frank Hofmann, Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle für Studierende Heidelberg (PBS). Schwierigkeiten beim Abfassen schriftlicher Arbeiten kämen aber häufig zur Sprache. „Verbunden mit Zeitdruck und Zweifeln, ob das Geschriebene ‚gut genug‘ ist, ob das behandelte Thema überhaupt verstanden und stringent argumentiert worden ist, mag der eine oder andere schließlich mit dem Gedanken spielen, die Arbeit schreiben zu lassen.“
Kommt es zu solchen Notfällen und Studierende geraten unter Druck, empfiehlt Frank Hofmann von der PBS, strukturiert vorzugehen: „Zum Schreiben von Haus- und Abschlussarbeiten gehört auch ein gewisser Anteil Projektmanagement.“ Um dieses Management gut hinzubekommen, solle man sich einen Zeitplan überlegen. „Entlastend ist für viele auch, zunächst eine „Arbeitsfassung“ ohne Anspruch auf perfekte Formulierungen zu schreiben und die Überarbeitung gezielt zu einem späteren Zeitpunkt einzuplanen“, meint der Psychologe.
Doch nicht nur Studierende geben Arbeiten in Auftrag. Ex-Ghostwriter Peter M. bestätigt uns das im Gespräch: „Die meisten meiner Kunden waren Leute, die schon im Berufsleben standen, zum Beispiel als Anwälte oder in freien Berufen, und für ihre Karriere noch einen Doktortitel nachmachen wollten, aber für die Arbeit keine Zeit hatten. Akute Notfälle von Studierenden hatte ich eher nicht.“
Nun stellt sich die Frage: Warum arbeiten Menschen überhaupt als Ghostwriter? Bei „ghostwriter.city“ sind es vor allem junge Akademiker, die das nebenher tun – oft solche, „die vielleicht nur eine Halbtagsstelle finden konnten“, so Clauß. Auch der Autor, der uns anonym antwortet, bezeichnet Ghostwriting als „angenehmen Nebenerwerb“. Im Fall von Peter M. fing das bezahlte Schreiben schon früher an: „Ich habe das ab der Mitte meines Studiums gemacht, um mich zu finanzieren, und nach dem Studium zeitweise auch hauptberuflich.“ Mit der Zeit bekam er Kontakt zu Vermittlern, die ihm immer größere Aufträge lieferten. Der Hauptantrieb? Geldverdienen. „An einem Projekt saß ich einmal etwa drei bis vier Monate, und die Bezahlung hat mich in dieser Zeit auch ernährt. Mit größeren Abschlussarbeiten kann man davon durchaus leben.“
Ein schlechtes Gewissen zeigt M. rückblickend nicht, denn von akademischen Arbeiten, wie sie heutzutage in Deutschland gefordert werden, hält er nicht besonders viel. „Es geht nur um Formalia, nicht darum, Neues zu schaffen. Das ist völlig überholt und es ist nur logisch, dass dafür ein Bedarf an Serviceleistungen entsteht.“ Sowohl er als auch „ghostwriter.city“ sind sich sicher, dass die Nachfrage nach der Bologna-Reform stark gestiegen ist. Berührungsängste hat der Ex-Ghostwriter mit der Arbeit nie gehabt, denn er habe sich immer nur als Zuarbeiter verstanden. „Es war wichtig, dass ich Vertrauen zu meinen Vermittlern hatte, aber einen rechtlichen Haken konnte das ja immer nur für den Kunden haben, der die Arbeit dann auch abgibt.“
Auch wenn die Ghostwriting-Agenturen also nichts Illegales tun, agieren sie dennoch in einer moralischen Grauzone. Denn wer würde schon ernsthaft eine solche „Mustervorlage“ vor der Abgabe nochmal neu schreiben, wenn er dafür schon sehr viel Geld ausgegeben hat? Neben dem Preis macht auch stutzig, dass die Agenturen offen damit werben, Aufträge auch unter hohem Zeitdruck abwickeln zu können. Doch auf Nachfrage weist man bei „ghostwriter.city“ den Verdacht zurück, die Agentur würde Studierende bewusst in Versuchung bringen, zu täuschen: „Unsere Kunden teilen uns ihre Motivation, einen Text in Auftrag zu geben, in der Regel nicht mit und können auch unsererseits absolute Diskretion erwarten.“ Sollten Studierende doch zugeben, dass sie die Arbeit als Prüfungsleistung abgeben wollten, lehne man den Auftrag grundsätzlich ab. Dennoch gesteht Clauß ein, dass Zeitmangel ein „wichtiger Grund“ für Studierende sei, sich Arbeiten zu kaufen.
Teil der Diskretion ist, dass Kunden oft völlig anonym bleiben und alle Daten nach einem Auftrag von der Agentur gelöscht werden. So viel Geheimniskrämerei in einem „völlig legalen“ Geschäft? In Deutschland existiere ein „subjektives Gefühl mangelnder Rechtssicherheit“ beim Thema Ghostwriting, so Clauß. Es werde darüber „schwadroniert“, Ghostwriting zu verbieten, was jedoch „juristischer Humbug“ sei. Dennoch werde man aus Steuergründen und „im Interesse unserer Kunden“ im kommenden Jahr seinen Sitz aus Deutschland wegverlagern. Und so ist zu vermuten, dass auch bei einer strengeren Rechtslage die Ghostwriter-Arbeiten weiter wie ein Gespenst an deutschen Universitäten umgehen werden.
Von Esther Lenhardt und Simon Koenigsdorff
Auch der WDR hat sich mit dem Thema beschäftigt: