Heute gelten Studentenverbindungen als reaktionär. Dagegen wehren sie sich mit dem Verweis auf ihren Kampf für die Demokratie während der Revolution von 1848
[dropcap]O[/dropcap]b Studentenküsse, Karzer oder Schnookeloch – Studentenverbindungen sind eng mit dem historischen Stadtbild Heidelbergs verbunden. Der burschenschaftliche Wahlspruch „Ehre, Freiheit, Vaterland“ weckt heutzutage aber nicht immer nur romantische Assoziationen. Den Vorwurf des Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit versuchen Studentenverbindungen oft mit Verweis auf ihre „progressive Rolle“ in der Revolution von 1848/49 zu entkräften. Dieser Verweis unterschlägt jedoch die nationalistische Prägung des damaligen Demokratieverständnisses. Insbesondere Burschenschaften waren damals vehemente Gegner der Frauenbewegung und propagierten den Ausschluss von Juden aus Universitäten. Das heutige Demokratieverständnis ist allerdings nicht exklusiv, sondern fördert die Gleichberechtigung von Geschlecht und Religion.
Tatsächlich beteiligen sich Heidelberger Verbindungen maßgeblich am revolutionären Geschehen. Am 7. Juli 1848 erregt ein Anschlag auf dem schwarzen Brett die Aufmerksamkeit des Amtmanns der Universität: “Kommilitonen, wem von Euch für Freiheit und Volkswohl ein Herz im Busen schlägt, und wer die einzig mögliche Verwirklichung dieser Freiheit in der Republik erblickt, den fordern wir auf: Tritt unserem Vereine bei!” Der Amtmann, ein biederer Beamter des Großherzogtums Baden, muss bei diesen Zeilen mit Schauern an die kürzliche Flucht des österreichischen Kaisers aus Wien vor dem republikanischen Pöbel gedacht haben. Pflichtgetreu reißt er den Gründungsaufruf des „Demokratischen Vereins“ vom Brett und leitet ihn nach Karlsruhe weiter. Vier Tage später verbietet das Innenministerium den Verein wegen “Untergrabung der Staatsordnung”.
Die Studenten stellen der Regierung daraufhin ein Ultimatum: Nimmt Karlsruhe das Verbot nicht zurück, wird die Studentenschaft geschlossen Heidelberg verlassen.
Der Senat der Universität und der Heidelberger Gemeinderat petitionieren bei der Regierung um Wiederzulassung des Vereins. Als Karlsruhe das Ultimatum ignoriert, machen sich am 17. Juli 364 der 564 immatrikulierten Studenten, begleitet von Professoren und Bürgern, mit Deutschlandfahnen von Heidelberg nach Neustadt auf. Mit von der Partie sind die Burschenschaften Ruperta, Frankonia, Allemannia und Teutonia sowie die Corps Vandalia und Nassovia. Nur die Corps Saxo-Borussia und Westfalia weigern sich Heidelberg zu verlassen und brechen die Beziehungen zu den teilnehmenden Verbindungen ab.
Die Corps Vandalia und Saxo-Borussia bestehen noch heute. Weil Corps ihre Mitglieder überwiegend aus dem Adel rekrutierten und eher konservativ auftraten, konnten sie staatlicher Auflösung meist entgehen. Burschenschaften, die bis zur Reichsgründung 1871 für einen deutschen Nationalstaat kämpften, hatten es schwerer. Erst 1856 konnten sich eine vierte Allemannia und eine zweite Frankonia in Heidelberg fest etablieren.
Die Regierung stellt den ausgezogenen Studenten daraufhin ein Ultimatum und verbietet sämtliche demokratische Vereine, denn die Studenten hatten die „thatsächliche Gleichstellung“ mit bürgerlichen Vereinen gefordert. Diese Gleichstellung ist durch das allgemeine Verbot nun gewährleistet. Mit gesenkten Fahnen und in Trauerflor kehren die Studenten am 26. Juli nach Heidelberg zurück. Auf einem Plakat geloben sie den Heidelberger Bürgern jedoch „den heiligen Kampf um unser aller Recht fortzusetzen.“ Zur Fortsetzung dieses Kampfes kommt es, als radikaldemokratische Burschenschafter des Heidelberger „Neckarbundes“ die Monarchie zu stürzen versuchen. Vom Schweizer Exil macht sich die Gruppe nach Lörrach auf, wo die Bürger bereits die großherzoglichen Beamten gefangen genommen haben. Unter der Parole „Wohlstand, Freiheit und Bildung für Alle“ rufen sie am 21. September die Republik aus. Vier Tage später erleiden die Aufständischen bei Staufen eine Niederlage gegen badische Truppen.
Im Gespräch mit dem ruprecht erzählt Florian Schrader vom Heidelberger Wingolf, dass die Tradition der Revolution von 1848/49 noch heute eine wichtige Rolle spiele: „Auf unseren regelmäßigen Mitgliederversammlungen fällen wir Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip. In der Revolution von 1848/49 ist der Wingolf aber nicht politisch hervorgetreten. Wir waren damals noch als Bibelkränzchen des Dekans der Theologischen Fakultät sozusagen ‚unter dem Radar‘ der badischen Behörden.“ Es trifft zu, dass Verbindungen demokratische Werte lebten, bevor diese politische Realität wurden. Richtig ist aber auch, dass Mehrheitsentscheidungen bei Verbindungen noch immer Männersache sind.
Von Niklas Gerberding