Leserbrief zu 17-Jährigen an der Universität in Ausgabe 141
Montagmorgen, 10 Uhr: Ich sitze in meinem kleinen Zimmer im Studentenwohnheim und überlege mir, in welche Vorlesungen ich heute gehe, aus welchem Fachbuch ich lerne und was ich heute Abend kochen werde.
Doch ließe man mir wirklich die hoch angepriesene Freiheit meines neuen Lebens, würde ich gerade in der Mathestunde sitzen, mit meiner Banknachbarin über den süßen Typ aus der Straßenbahn kichern, mein Textreferat für das Fach nach der Pause vorbereiten, Apfelschorle trinken und auf die entnervte Frage meines Lehrers „Vielleicht kann uns ja die Fiona sagen, was da rauskommt?“ lachend antworten: „Ich muss jetzt aber das Referat machen, sehen Sie doch“, und nach einem kurzen Blick auf die Tafel, „Die Lösungen sind eins und vier.“ Mit dem Beginn des Studiums ist alles Vertraute auf einmal verschwunden: Man lebt nicht mehr bei den Eltern, die besten Freunde wohnen hunderte Kilometer entfernt und die Rolle, die man in der Schule innehatte und die man ohne Anstrengungen spielte, ist zerfallen. Stattdessen kann oder muss man nun alles selbst entscheiden, sich aus 30.000 potenziellen Freunden die richtigen aussuchen und nebenher auch noch gewaltige Mengen an Stoff lernen.
Und das ausgerechnet in einem Alter, in dem man nicht nur für Kleinigkeiten wie den Bibliotheksausweis die Unterschrift der Eltern braucht und im Allgemeinen nicht als mündig gilt, sondern in dem auch die eigene Identität noch nicht gefestigt und man ständig auf der Suche nach sich selbst ist. Ich weiß schon jetzt, dass ich mein Studienfach, für das ich mich während meines Abiturs, also mit 16 Jahren, entschieden habe, wechseln werde. Denn meine Werte und Vorstellungen, die ich von meiner eigenen Zukunft habe, meine Interessen, sie alle ändern sich jeden Tag. Zwar nicht immer so grundlegend wie im Bereich meines Studienfachs, aber doch stetig. Die Annahme, es wäre möglich, das Studium, für das man sich im Alter von 16 Jahren entschlossen hat und das man mit 17 beginnt, mit 22 genauso glücklich und überzeugt abzuschließen, wie man sich dafür entschieden hat, ist meiner Meinung nach eine äußerst absurde Idealvorstellung.
Außerdem sollte man anfügen, dass das Abitur mit 16 oder 17 Jahren meist nicht grundlos erfolgt: Es handelt sich um Jugendliche, die vielseitig interessiert sind, häufig sehr gute Noten haben, ein ehrgeiziges Elternhaus besitzen und/oder selbst sehr wissbegierig sind. Dies alles spricht dafür, dass ein Großteil von ihnen und ich schließe auch mich selbst nicht aus, durchaus in Betracht ziehen dürfte, nach dem ersten Studium ein zweites zu absolvieren. Mit 17-Jährigen an der Universität ist damit in meinen Augen der Wirtschaft nicht gedient. Ob ein Studium dennoch sinnvoll ist, hängt dabei sicherlich von dem individuellen jungen Menschen ab.
von Fiona Rupprecht (17 Jahre)
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