Mit seiner Dokumentation „Hitlers Hollywood“ wagt der Regisseur Rüdiger Suchsland einen Blick auf eine vergessene Epoche deutscher Filmgeschichte: Das Kino der Nazizeit.
Folgt man dem Filmtheoretiker Siegfried Kracauer, so stellt das Kino eine Art Zeugnis der Gesellschaft dar. Im Kino spiegeln sich die Ideale, Hoffnungen und Träume der Menschen. Die Filme erzählen eine Geschichte, die sonst nirgendwo zu lesen ist. Von dieser Idee inspiriert stellte sich der Regisseur Rüdiger Suchsland die Frage: Was waren die Träume der Nazis? Was kann uns das Kino erzählen, was wir noch nicht wissen?
Herausgekommen ist ein Dokumentarfilm, der sich als ein Abriss der Filmgeschichte Nazideutschlands verstehen lässt. Die Filme der Nazis erzählen vom Krieg und der Liebe, von Mut und Tapferkeit. Manches ist lustig, fast kitschig und anderes ist ernst und pathetisch. Sie erzählen vom kleinen Glück im Alltag genauso wie vom glorreichen Ruhm in der Schlacht ums Vaterland. Über 1000 Filme wurden damals produziert. Teils handelte es sich um offene Propaganda, teils nur um versteckte Andeutungen. In jedem Fall gab es keine unschuldigen Filme. Alles was die Universum Film AG (UFA) damals herausgab, war geprüft und gelenkt durch Goebbels Propagandaministerium.
Von den über 1000 Filmen sind in der Doku Ausschnitte aus etwa 70 zu sehen. Dabei wird auf Kommentare von Historikern, eigens erstellte Sequenzen oder Animationen bewusst verzichtet. Das Filmmaterial ist bloß durch verbale Kommentierungen unterlegt, womit dem Zuschauer selbst die Frage überlassen wird, wie er die Distanz zum Dargestellten wahrt. „Alles, was in der Doku enthalten ist, wurde wirklich mal als Film veröffentlicht“, erklärt Suchsland. Damit möchte er sich bewusst von anderen Dokumentationen abgrenzen. Es geht ihm darum, den Nationalsozialismus als sinnliche Erfahrung zu vermitteln, die Verführung nachempfindbar zu machen. Der Fokus, wenn es um die NS-Vergangenheit geht, richte sich zu sehr auf nüchterne Fakten. Was bislang fehlte, sei eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik der Nazis.
Diese leistete nun Suchsland. Pointiert werden einzelne, wiederkehrende Filmmotive herausgearbeitet. Da sind zum Beispiel die glorifizierenden Darstellungen des Sterbens und dann als starker Kontrast schon geradezu kindisch wirkende fröhlich humorvolle Szenen. Werte wie Treue, Kameradschaft und Opferbereitschaft werden ebenso vermittelt wie aufhetzende und denunzierende Darstellungen von Juden. Die Rolle der Frau, eingangs noch traditionell geprägt, wandelt sich in den Filmen hin zur fast schon emanzipierten Arbeiterin, die in den Fabriken Waffen für den Krieg herstellt.
Es lassen sich laut Suchsland etwa drei Phasen der NS-Filmgeschichte unterscheiden. Zunächst dient der Film der Stabilisierung und Legitimierung des Regimes, gefolgt von einer Phase der Ruhe. Mit dem Krieg wird die Weltflucht zum dominierenden Motiv. Vermehrt werden irreale und teils grotesk komische Geschichten, wie die von Baron Münchhausen, erzählt. Ganz zum Schluss tauchen schon fast prophetisch für die eigene Geschichte wirkende Untergangsszenarien auf. Spannend ist auch die Rückwärtsgewandtheit der Filme. Suchsland erklärt, dass es im Gegensatz zum Kino unter Stalin im Dritten Reich nahezu keine Science-Fiction-Filme gab. Vielmehr ging es darum, eine eigene, fiktive Vergangenheit zu konstruieren und das häufig unter Rückgriff auf ausländische Schauspieler – viele der weiblichen Darsteller kamen aus Skandinavien oder den Niederlanden. Interessant ist auch Goebbels Vorliebe für Hollywood. „Man wollte damals auch die Weltherrschaft im Kino erringen und unterlag ständig einem Minderwertigkeitskomplex, weil man eben doch nicht mit der amerikanischen Filmindustrie mithalten konnte“, erläutert Suchsland.
Der Regisseur ist sich bewusst, dass seine Dokumentation kontrovers wahrgenommen wird. „Sie handelt von Ambivalenzen“, stellt er fest und führt aus, dass er das Schöne wie das Hässliche der Filme zeigen wollte. Das fordert vom Zuschauer, eine eigene Distanz zu entwickeln. Die Filme sind teils genial produziert, reißerisch und emotional. Es sind große Filme, die mitnehmen, doch sie unterliegen einer menschenverachtenden Propaganda. Damit fördert Suchsland die Diskussion darüber, wie man mit solchen Filmen umgehen soll. Er selbst spricht sich für mehr Offenheit aus und befürwortet sogar die Vorführung der sogenannten „Vorbehaltsfilme“ – etwa 40 Filme, die in Deutschland bloß im Rahmen umfangreicher Vorträge oder mit Kommentierungen gezeigt werden dürfen.
Mit seiner Dokumentation erhebt Suchsland keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ginge ihm darum, seine eigene und nicht die einzige Sicht auf das schwierige Thema zu präsentieren. Wer also nach einer wissenschaftlichen Aufbereitung der NS-Filmgeschichte sucht, ist hier falsch beraten. „Auch mein Film ist ein Entertainmentformat, da mache ich mir nichts vor“, gibt Suchsland zu. Wer dagegen einen Eindruck von den Träumen der Nazis gewinnen möchte und kein Problem damit hat, diese ohne allzu kritische Distanz präsentiert zu bekommen, dem sei die Dokumentation wärmstens empfohlen.
Von Justin Reuling
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Hitlers Hollywood
Filmvorführung am 17. April um 14:30 Uhr im Karlstorkino
Kartenreservierungen über: 06221-9789-18
Eintritt ermäßigt: 6.50 Euro
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