Durch zivilen Ungehorsam will Extinction Rebellion tief greifende gesellschaftliche Veränderungen bewirken. Kaum eine Gruppe polarisiert mit ihren Aktionen derart stark. Betreibt Extinction Rebellion effektiven Klimaaktivismus? – Contra: Paul Nemeth ist Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt, Klima und Energiewirtschaft der CDU-Landtagsfraktion
Nein! Extinction Rebellion (XR) führt mit radikalen Aktionen Chaos herbei, um Aufmerksamkeit zu erregen. Würde sich niemand für den Klimaschutz interessieren, könnte man diesen Ansatz nachvollziehen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Laut Meinungsumfragen ist der Klimaschutz die drängendste Herausforderung unserer Zeit. Der Bundestag hat das Pariser Klimaabkommen längst ratifiziert und der Kohleausstieg wurde beschlossen.
XR sprang vor anderthalb Jahren auf den fahrenden Zug auf, aber hatte außer Showeffekten nichts zur Debatte beizutragen. Um das Klima zu schützen, müssen wir die vorhandene Aufmerksamkeit in konkrete politische Entscheidungen ummünzen. Dafür brauchen wir demokratische Mehrheiten und gesellschaftlichen Konsens. Den verspielt XR durch Aktionen wie jüngst in London, wo man die U-Bahn blockierte und den Zorn erboster Pendlerinnen und Pendler auf sich zog, die klimafreundlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren.
These 1: Glaubwürdiger Klimaaktivismus muss konkrete Forderungen beinhalten.
Die Wortführerinnen und Wortführer von XR machen es sich einfach: Sie fordern, den Klimanotstand auszurufen und die Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken. Und das war es dann auch. Konkrete Ideen, wie das funktionieren soll, bleiben sie schuldig. Eine Erklärung dafür liefert XR-Gründungsmitglied Stuart Basden: „Tatsächlich werden wir das Klima nicht reparieren“, schrieb er, das Ende sei nahe. Folgt man dieser apokalyptischen Haltung, erübrigen sich Debatten, ob zum Beispiel eine CO2-Steuer oder der Handel mit CO2-Zertifikaten besser wäre. Es genügt, stattdessen den Klimanotstand auszurufen. Dabei handelt es sich zwar nur um einen deklaratorischen Akt, der keine rechtlichen Konsequenzen hat, aber XR kann so behaupten, auf der richtigen Seite gestanden zu haben, wenn die Endzeit anbricht. Diese Debattenverweigerung ist undemokratisch und macht unglaubwürdig.
These 2: Ziviler Ungehorsam sollte die letzte Möglichkeit des Protests sein, wenn alle anderen Arten des Protests ausgeschöpft sind.
Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Unser Grundgesetz garantiert allen die Teilhabe am demokratischen Prozess. Dazu gehören Wahlen und Abstimmungen ebenso wie Petitionen und Demonstrationen. Voraussetzung dafür ist, dass Mehrheitsentscheidungen von der Minderheit akzeptiert werden. Wenn man die Mehrheitsverhältnisse ändern und noch schärfere Klimaschutzmaßnahmen erstreiten möchte, erfordert das die Beteiligung am politischen Diskurs unter Beachtung demokratischer Spielregeln. Ziviler Ungehorsam kann als ultima ratio zwar legitim sein, um Unrecht oder Korruption zu beseitigen. Aber wenn die Parlamente bereits Klimaschutzgesetze beraten und die Parteien um die besten Lösungen für das Klima ringen, helfen konstruktive Debattenbeiträge weiter als Straßenblockaden.
These 3: Extinction Rebellion legt die Basis für eine gefährliche Radikalisierung der Klimabewegung.
XR-Gründungsmitglied Hallam behauptet, der Klimawandel sei größer als die Demokratie und spricht von Revolution. Diese feindselige Haltung gegenüber demokratischen Institutionen ist gefährlich. Bei vergleichbaren Äußerungen von Rechtsradikalen schrillen alle Alarmglocken. XR bekennt sich zwar zur Gewaltfreiheit, probt aber unter dem Titel „Ungehorsam für alle“ den Schulterschluss mit der Initiative „Ende Gelände“ und der Interventionistischen Linken (IL). Erstere ging im Hambacher Forst gewaltsam gegen die Polizei vor und die IL gilt dem Verfassungsschutz als Scharnier zu Militanten. Diese Radikalisierung ist falsch. Sie bringt den Protest von Fridays for Future in Misskredit, gefährdet den gesellschaftlichen Konsens und beschwört eine Gegenbewegung herauf.