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Nachruf auf zwei Türme

von ruprecht
17. November 2015
in Feuilleton, Film & Theater
Lesedauer: 2 Minuten
0
Nachruf auf zwei Türme

Balanceakt: Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt) über dem 417 Meter tiefen Abgrund. Bild: Sony Pictures

Eine kleine Warnung scheint vor dem Besuch von „The Walk“ angemessen: Wer unter Höhenangst leidet, sollte diesen Film besser meiden. Die 3D-Technologie hat dem Kino sicher schon einige bildgewaltige Momente beschert. So kann man dem Zuschauer alles Mögliche ins Auge fliegen lassen und in den Zuschauerraum ragende Köpfe verfehlen ihre Wirkung selten. Doch die Filmbiographie über den französischen Hochseilartisten Philippe Petit treibt die optische Dramatisierung auf die Spitze. Minutenlang spaziert der sympathische kleine Mann (Joseph Gordon-Levitt) auf einem Drahtseil zwischen den Türmen des World Trade Centers hin und her. Die Zuschauer lässt Regisseur Robert Zemeckis (Zurück in die Zukunft) gleich mehrmals den 417 Meter tiefen Abgrund hautnah erleben. Allerdings hat „The Walk“ noch einiges mehr zu bieten.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Petit verdient in Paris sein Geld mit kleinen Drahtseil-Kunststücken. Beim Zahnarzt entdeckt er in einer Zeitung das noch im Bau befindliche World Trade Center in New York und verliebt sich sofort in die Zwillingstürme. Von da an dreht sich alles nur noch um seine Planung des spektakulärsten Drahtseilakts aller Zeiten. Schnell scharrt Petit eine schräge Crew um sich und geht wie selbstverständlich davon aus, dass alle das tun, was er vorgibt. Die Romanze zur Straßenmusikerin Annie erzählt Zemeckis ebenso beiläufig wie alles andere, was nicht mit Petits Plan zu tun hat. Und das ist nicht viel. Petit wird dennoch keinesfalls zum Unsympathen. Seinen Egoismus nimmt man ihm nicht übel, ordnet er lediglich alles andere (und alle anderen) seinem Ziel unter.

Erfreulich ist, wie nah Zemeckis an der Vorlage bleibt. Bis zum eigentlichen Akt wird die Story nicht unnötig aufgemotzt, alles so erzählt, wie es sich ereignete. Der Erzähler ist Petit selbst, wie könnte es anders sein, der auf seine Geschichte zurückschaut. Aus dem Ende der Geschichte macht Zemeckis folglich keinen Hehl. Dafür schlachtet er den Höhepunkt auf dem Drahtseil bis an die Grenzen des für das Publikum Zumutbaren aus. Dies geschieht wie fast alles im Film mit einem Augenzwinkern. Nachdem das Publikum nach Petit erfolgreicher Überquerung durchpustet, driftet der verträumte Franzose in seine eigene Welt ab: Das Seil ruft, natürlich muss er auch wieder zurück.

Nicht nur dieser ironische und lässige Gestus des Erzählens, ebenso die minutiöse Protokollierung des Plans, erinnern an klassische Heist-Movies wie Steven Soderberghs „Oceans Eleven“ – das ganze bloß ein paar Nummern kleiner. So kommen die Gegenspieler als eine Handvoll nicht besonders aufmerksam patrouillierender Polizisten wenig furchteinflößend daher und stellen nie eine ernsthafte Gefahr dar.

Dass heutzutage niemand Petits Geschichte kennt, mag auf den ersten Blick verwundern, ist auf den zweiten aber plausibel: Der Anschlag auf die „Twin Towers“ vor 14 Jahren erschuf selbstredend einen „locus terribilis“, zu dem Zemeckis‘ Glorifizierung des Stahl- und Betonbaus den größtmöglichen Kontrast bietet. Und obwohl die im Jahr 1974 spielende Geschichte auf jeden Anachronismus verzichtet und die Anschläge nicht im Abspann erwähnt, ist am Ende deutlich, was „The Walk“ eigentlich ist: Ein 123-minütiger Nachruf.

Von Jesper Klein

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