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Ziemlich beste Freunde mit gewissen Vorzügen

von ruprecht
17. Juni 2017
in Feuilleton, Film & Theater, Startseite
Lesedauer: 2 Minuten
0
Ziemlich beste Freunde mit gewissen Vorzügen

Bild: lalieproduktion

Filmische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konzeptionen über Liebe und Sexualität

[dropcap]D[/dropcap]as Schönheitsideal unserer Gesellschaft ist enorm auf Äußerlichkeiten und somit den Körper eines Menschen fokussiert. Was jedoch, wenn dieser durch eine Behinderung jenen Maßstäben nicht mehr zu entsprechen scheint?

Eine körperliche Behinderung wird in erster Linie mit Leid und Verzicht assoziiert, vor allem im Bereich von Beziehungen, Liebe und Sexualität kann ein erfülltes, ’normales‘ Leben kaum möglich sein, so jedenfalls die verbreitete Annahme.

Es ist ein oft tabuisiertes und mit sozialem Stigma behaftetes Thema, welches Susanna Wüstneck in ihrem Dokumentarfilm „Love & Sex & Rocknrollstuhl“ behandelt. Dabei wirft sie Fragen nach der Definition von Normalität auf und weist auf gesellschaftlichen Handlungsbedarf bezüglich Inklusion hin.

Vier Protagonisten und Protagonistinnen, Nicola, Emanuel, Wiebke und Stefan, besuchen einen Erotikworkshop, der ihnen die Chance zu selbstbestimmter Sexualität und eine Möglichkeit zum Austausch und Gespräch bieten soll. Auch im deren Alltag begleitete die Regisseurin die Hauptpersonen mit der Kamera. Dabei werden diese in Interviews, in denen sie über ihren persönlichen Lebensweg zu Wort kommen und über ihre Erfahrungen im Spannungsfeld von Gesellschaft und Sexualität sprechen, porträtiert. Durch das in Szene rücken von eher unspektakulären Routinen und Begebenheiten, wie einem täglichen Spaziergang um den See wird hier keine Neudefinition von „Normalität“ vorgenommen, vielmehr eine Begriffserweiterung. Dem Film gelingt es eine Balance zwischen intimer Nähe und respektvollem Abstand zu finden, sodass man als Zuschauer nicht das Gefühl bekommt ein Voyeur zu sein. Provozieren will Wüstneck mit diesem Stück sicher nicht, vielmehr wird in unaufdringlicher Weise der Versuch des Abbaus von Vorteilen seitens der Gesellschaft vorgenommen. Nur durch das Überwinden von Berührungsängsten, durch einen beidseitigen Kontakt könne Inklusion gelingen, meint die Regisseurin, die nach der Vorführung für Fragen des Publikums zur Verfügung stand. Somit sei durch das Medium Kino ein Schritt in Richtung einer Gesellschaft, „in der Anderssein normal ist“, möglich. Dennoch, so ist Protagonist Stefan überzeugt, steht trotz Verbesserungen hinsichtlich der rechtlichen Gleichstellung die eigentliche Revolution bezüglich des Verhaltens der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen noch bevor.

„Love & Sex & Rocknrollstuhl“ erhielt Preise und Aufmerksamkeit im Ausland, so auf dem Calcutta International Cult Film Festival die Auszeichnung „Best film on disability issue“. Auch auf den International Independent Film Awards konnte er sich in der Kategorie Documentary Short mit Gold behaupten. Wüstneck, die seit 2003 sich filmisch in verschiedenen Projekten mit Inklusion und ähnlichen Themen auseinandersetzt, produzierte die instrumentale musikalische Begleitung für den Film selbst.

Von Nele Bianga

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