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Theater gegen Stumpfsinn

von ruprecht
2. November 2015
in Feuilleton, Film & Theater, Startseite
Lesedauer: 3 Minuten
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Theater gegen Stumpfsinn

Wolfgang Graczol überzeugt in seiner eigenen Inszenierung als Nathan der Weise. Bild: Taeter-Theater (Manfred Liedtke, Richard Merges, Heidi Oßwald)

Dem Credo „Toleranz statt Überheblichkeit“ folgend, brachte das Heidelberger Taeter-Theater Lessings „Nathan der Weise“ auf die Bühne – eine gelungene Inszenierung von Wolfgang Graczol mit kontemporärer Botschaft.

„Nathan der Weise“ ist dieser Tage das vermutlich passendste Schauspiel, wenn man sich in Anbetracht der Flüchtlingskrise Gedanken zu Toleranz und Akzeptanz macht. Die Produktion, die am 17.10.2015 am Taeter-Theater Premiere feierte, bewegt sich insgesamt nah am Lessing’schen Originaltext. Doch hier und da wurden feine Änderungen gesetzt, die eine besondere Transition schaffen – hinein in den Zuschauerraum.

Das über 230 Jahre alte Ideendrama gilt als Paradewerk der Aufklärung und ist Lessings letztes Werk. Der Autor selbst erlebte die Aufführung seines Stückes nicht. Zu Beginn der Handlung kehrt der Nathan3wohlhabende Kaufmann Nathan von einer Handelsreise zurück nach Jerusalem, wo er feststellen muss, dass während seiner Abwesenheit sein Haus gebrannt hatte. Ein junger Tempelherr rettet Nathans Tochter Recha aus den Flammen und die Geschichte, zur Zeit des dritten Kreuzzuges spielend, nimmt ihren Lauf. Im Zuge der Handlung, die ihren Höhepunkt im dritten Akt mit der weltbekannten Ringparabel findet, tritt Sultan Saladin an Nathan heran: „So sage mir doch einmal, was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?“ und stellt damit gewissermaßen die „Gretchenfrage“ des Schauspiels. Nathan und der Sultan werden Freunde. Doch nun wird ein lange gehütetes Geheimnis offenbar: Recha, nicht Nathans leibliches Kind, wurde als Christenmädchen geboren und gelangte als Säugling in des reichen Juden Obhut. Dieser Umstand wird Nathan beinahe zum Verhängnis, verlangt der dogmatische Patriarch von Jerusalem doch, dieser Apostasie – wie es heißt – ein Ende zu machen: „Der Jude wird verbrannt.“ Zum Schluss stellen sich vertrackte Familienverhältnisse zwischen dem Sultan, seiner Schwester, dem Tempelherrn und Nathans Ziehtochter heraus und die Handlung nimmt eine glückliche Wendung.

Dieses Schauspiel erheitert bisweilen, aber stimmt den Zuschauer doch nachdenklich. Das Publikum, zu Beginn der Aufführung noch eher unruhig (lautstarker Austausch während des ersten Umbaus), wurde von Szene zu Szene aufmerksamer, man möchte fast sagen gebannter. Angesichts der langen Dauer der Aufführung, immerhin fast dreieinhalb Stunden mit Pause, eine dramaturgische Leistung, die auf die kluge Bearbeitung des Texts zurückzuführen ist.

nathan4Wolfgang Graczol, für die Inszenierung verantwortlich, nimmt sich auch der Rolle des Nathan an und überzeugt in jedem Akt durch seine Schauspielkunst auf höchstem Niveau. Den liebenden Vater, geschickten Kaufmann und nachdenklichen Kopfmenschen zugleich nimmt der Zuschauer ihm in jeder Szene ab.

Die Inszenierung sprüht an einigen Stellen vor Witz, wie die groteske Darstellung des Patriarchen durch Peter Schumann beweist. Dennoch versäumt sie es darüber nicht, den Ernst der Problematik um die Frage nach der einen wahren Religion umfassend zu bearbeiten und den weiteren Hauptaspekten des Stücks Menschlichkeit und Nächstenliebe gerecht zu werden. Mit viel Feingefühl entfalten die Darsteller ihre Dialoge, bei denen sie mit fortschreitender Dauer der Inszenierung näher an den Bühnenrand heranrücken und damit den Zuschauern näher kommen, ihnen teilweise direkt in die Augen schauen.

Sittah, die Schwester des Saladin, gespielt von Anne Steiner-Graczol, begeistert mit ihrer einzigartigen Stimme von kräftigem und sanftem Klang zugleich – eine brillante Besetzung der von Lessing als emanzipatorischer Gegenpol zu Nathans Tochter Recha (Dania Graf) und deren Gesellschafterin Daja (Hildegard Neidlinger) geschaffenen Sultansschwester. Neben den beiden letztgenannten Darstellerinnen liefern auch Dieter Aschoff als Saladin und Stefan Bartels in der Rolle des Tempelherrn eine überzeugende Darbietung ab.

Mittelpunkt der Bühne bildet indes ein echter (!), wirklich großer Baum, der aber dennoch in keiner der Szenen zu sehr in den Vordergrund tritt. Ein minimalistischer Ansatz, der in Kombination mit den teils üppigen, orientalischen Kostümen einen Raum schafft, in den sich der Zuschauer hineinfühlen kann. Anders als man es von Inszenierungen kennt, bei denen dramaturgisch nah am Ursprungstext inszeniert wird, wirkt die Bühne nicht störend überfrachtet.

Ein Theaterabend von besonderer Qualität und dramaturgischer Eleganz, der mit einer subtilen Frage und großem Applaus endete und das Publikum begeistert entließ.

Weitere Aufführungstermine:
Sa. 14., So. 15., Fr. 20., Sa. 21., So. 22. November, Fr. 4., So. 6., Fr. 11., Sa. 12., So. 13. Dezember, jeweils um 19:30 Uhr.

von Jamie Dau

Nathan
Bilder: Taeter-Theater (Manfred Liedtke, Richard Merges, Heidi Oßwald)
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