Quentin Gärtner hat als Generalsekretär der Bundeschülerkonferenz (BSK) mehr als 7 Millionen Schüler:innen auf Bundesebene vertreten. Nach BBC und tagesschau redet der 18-Jährige jetzt auch mit dem ruprecht. Er erzählt uns von seinem Treffen mit Boris Pistorius, wie sein Studienstart in Heidelberg lief und warum unsere Generation nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern auch mehr Sex gut vertragen könnte.
Obwohl du kein Schüler mehr bist, hast du über Sieben Millionen Schüler:innen bis Mitte November vertreten. Wie funktioniert das und was waren die Schwerpunkte deiner Arbeit?
Ich habe die BSK eigentlich im Ausland vertreten, war also parallel zur Schule auf internationalen Konferenzen, zum Beispiel in Budapest und Brüssel. Im Juni ist dann mein Vorgänger zurückgetreten und wir brauchten jemanden bis zu den Neuwahlen im November. Da habe ich gesagt: Das mache ich. Bei uns können nur Schüler gewählt werden, deswegen war vollkommen klar, dass ich das Amt im November abgeben werde. Das habe ich jetzt auch getan. In der Zeit von Juni bis November habe ich intensiv daran gearbeitet Wahrnehmung für die BSK zu schaffen und uns fachlich gut aufzustellen. Also dass man uns als Sachverständige einladen kann und wir im Gespräch mit Politikern konkretere Lösungsvorschläge parat haben, als nur mehr Geld.
Du hast während deiner Amtszeit viel mediale Aufmerksamkeit erfahren. Clips von dir bekamen in den sozialen Medien Millionen Aufrufe, aber auch Hasskommentare. Was macht das mit dir?
Das ist natürlich schon ein krasses Gefühl. Es ist eine große Verantwortung, dafür muss man Rückgrat haben. Man darf nicht zulassen, dass irgendwelche Hasskommentare einem die Laune verderben. Ich möchte aber klarstellen: Ich habe sehr hart für Aufmerksamkeit für unsere Themen gearbeitet. Ich bin dankbar dafür, dass sie da ist, aber sie ist das Produkt von sehr harter, intensiver Arbeit und nicht einfach über Nacht gekommen.
„Politiker machen munter Politik für Ältere“
Apropos Aufmerksamkeit. Warum wird Vertreter:innen unserer Generation auf bundespolitischer Ebene so wenig Beachtung geschenkt?
Weil junge Menschen einfach nicht angehört werden. Wir sind nicht interessant für die Politik. Kaum ein Schüler darf wählen und selbst wenn wir wählen dürften, wären wir viel zu wenige, um signifikant etwas zu ändern. Politiker machen munter Politik für Ältere, denn im Kontext der nächsten vier Jahre, ist es für einen Wahlsieg wichtiger sich auf die älteren Personengruppen zu konzentrieren. Für gute Politik braucht man jedoch junge Leute. Wir werden die Klimakrise lösen und den demographischen Wandel schultern müssen. Auch die Landesverteidigung sollen wir übernehmen. Wir sind die Geber-Generation, die ganz viel leisten wird. So viel, wie wir umgekehrt vermutlich nie wieder von der Gesellschaft zurückbekommen. Dafür brauchen wir starke, resiliente, gut gebildete junge Menschen, die dafür sorgen, dass der Staat funktioniert. Und so müssen wir das auch verkaufen: Sie brauchen uns. Das Problem ist aber, dass man uns zwar braucht, aber trotzdem nicht bereit ist uns mit an den Tisch zu holen, mit uns zu reden und uns Angebot zu machen. Das ist paradox.
Wer euch in der Wehrpflichtdebatte dann doch noch mit an den Tisch geholt hat, war Bundesverteidigungsminister Pistorius. Auch vor dem Verteidigungsausschuss im Bundestag hast du gesprochen. Wie war das?
Es ist dann am Ende doch noch ein Austausch mit dem Verteidigungsminister zustande gekommen und ich muss sagen, der war sehr gelungen. Ich habe unsere Punkte rübergebracht, es ist aber trotzdem noch ein weiter Weg, bis junge Menschen tatsächlich ausreichend beteiligt werden. Dennoch glaube ich, dass die Message spätestens seit dieser Debatte jeder verstanden hat. Und der Bundesverteidigungsausschuss, wo ich auf Vorschlag der Grünen war, war glaube ich auch eine Sache, bei dir wir ein Ausrufezeichen gesetzt haben. Da konnten wir zeigen, dass wir in so einem Plenum genauso sachverständig sein können wie alle anderen, die da sitzen.
Du bist für ein verpflichtendes Dienstjahr, viele junge Menschen sind dagegen. Wie hast du diese Gruppe repräsentiert, vor allem als Vertreter von 7,5 Millionen jungen Menschen?
Während meines Amtes habe ich versucht, zwischen dem, was ich privat als Mitglied der Grünen vertrete, und dem, was ich als Generalsekretär der BSK vertrete, zu trennen. Wenn ich darauf angesprochen wurde, was ich als Grüner denke, habe ich das entsprechend markiert. Und wenn ich darauf angesprochen wurde, was ich als Generalsekretär der BSK vertrete, habe ich das auch so präsentiert. Von der BSK positionieren wir uns weder für noch gegen ein Dienstjahr. Wir positionieren uns zu Schulthemen und dazu, wie man junge Menschen stärkt und wie man sie auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet. Als junger Mensch bin ich aber einfach davon überzeugt, dass wir Verantwortung übernehmen müssen. Dann können wir umgekehrt auch mehr vom Staat einfordern. So können wir sagen: Jeder einzelne von uns hat einen Dienst an seinem Land geleistet, hat Verantwortung übernommen und jetzt muss auch der Staat für uns funktionieren. Ich halte diesen Trade-off für richtig.
Letzte Woche gab es dann die Einigung beim Wehrdienstmodernisierungsgesetz. Zufrieden?
Nein, ich bin nicht zufrieden. Inhaltlich kann man sich darüber streiten, ob Freiwilligkeit reichen wird oder nicht und wie man das ausgestaltet. Aber man muss eben sagen: Wenn man als Bundesregierung den Herbst der Reformen ankündigt und schuldenfinanziert eine Billion Euro in Investitionen steckt, dann kann man nicht auf der einen Seite Landesverteidigung von jungen Leuten einfordern und auf der anderen Seite ihnen nichts anbieten. Der Kulturpass wurde gestrichen. Die Frühstartrente, ursprünglich für jeden Jahrgang zwischen 6 und 18 Jahren angedacht, wird aus Geldmangel jetzt nur für die 6-Jährigen eingeführt. Daran erkennt man, dass für diese Bundesregierung junge Menschen einfach keine Priorität haben. Wenn man jungen Menschen kein Angebot macht, wird man auch nicht verteidigungsfähig.
Was muss sich ändern? Wie kann man junge Menschen besser in die politischen Prozesse integrieren?
Junge Leute nach vorne! Wir müssen uns in Parteien und anderen gesellschaftlichen Strukturen stärker vernetzen, Druck aufbauen und deutlich sagen: Wir wollen einen Platz am Tisch, wir wollen mitmachen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die mediale Präsenz. Es braucht junge, eloquente Menschen, die ihre Meinungen in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Talkshows, selbstbewusst vertreten.
Du warst in der Talkshow hart aber fair zum Thema Rente. Würdest du sagen, dass auch in solchen Formaten junge Menschen unterrepräsentiert sind?
Ja. Wir reden sehr viel über, aber sehr selten mit jungen Menschen. Ich bin nicht dafür, dass wir x-beliebige Leute einladen. Es ist schon richtig, dass da keine Menschen sitzen, die dann fertig gemacht werden. Aber es gibt eine ganze Reihe von Jugendlichen, die die Fähigkeit haben, ihre Punkte anständig rüber zu bringen und gegenzuhalten. Und dass man die an vielen Stellen nicht einlädt, das verstehe ich nicht.
Und wie fühlt es sich an, wenn man auf die Ausführungen eines Alt-SPD-lers eiskalt mit dem Helmut Schmidt-Zitat „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ kontert?
Es war absolut passend. Ich will keine Visionen haben müssen, um erwarten zu können, dass auch ich eine Rente haben werde, die funktioniert. Und klar: Man muss schlagfertig sein und ich trete nicht in solchen Formaten an, um dann zu kuschen oder mich zurückzuhalten. Wenn ich in eine Talkshow gehe, dann mache ich auch deutlich, was meine Positionen sind.
Du hast im Oktober dein Studium in Heidelberg begonnen. Wie wirkt sich dein gesellschaftspolitisches Engagement auf dein Privatleben aus? Hattest du eine Ersti-Woche?
Ich hatte leider keine Ersti-Woche. Ich war ein Wochenende vor Studienbeginn da und habe versucht, Leute kennenzulernen. Das hat ganz gut funktioniert, aber klar: Ich habe viel geopfert für dieses Amt und bin dementsprechend bis jetzt immer noch sehr viel am herumjetten. Ich habe noch keine Wohnung in Heidelberg gefunden und wir haben schon die erste Klausur geschrieben. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mir sicher bin, die bestanden zu haben.
Hat es sich dann trotzdem gelohnt und hat das Aufbauen von Netzwerken geklappt?
Ja, es hat sehr gut funktioniert und ich habe viel gleichzeitig in Gang gebracht. Es ist natürlich hart, da jetzt erstmal raus zu sein und das nicht mehr zu machen und ich hoffe, dass mein Nachfolger das so weitermacht, wie ich es gemacht habe. Aber gleichzeitig bin ich auch froh, dass jetzt ein neues Kapitel beginnt. Ein Kapitel, in dem ich definitiv nicht leise sein werde. Ich werde weiterhin versuchen, mich lauthals in Debatten einzuwerfen, aber gleichzeitig das Studium zu stemmen.
Wir sind nun diese junge Generation, die den demografischen und klimatischen Wandel lösen und die sicherheitspolitische Lage irgendwie angehen soll. Was denkst du, wie wir es schaffen können, nicht unter diesem Druck zusammenzubrechen?
Leistung ist ganz eng mit Wohlbefinden verknüpft. Geht es mir gut, dann ist es wahrscheinlicher, dass ich Bestleistungen abrufen kann. Einsamkeit und Isolation nehmen jedoch zu. Außerdem zeigen Studien, dass unsere Generation weniger vögelt. Man mag schmunzeln, wenn ich das sage, hinter diesen Daten steckt aber ein ernsterer Kern: Wir tun uns zunehmend schwer damit, zueinander zu finden. Diese Phänomene sind nicht gesund für eine Generation und nicht gut für eine Gesellschaft. Deswegen ist mein Tenor: Wir brauchen Leistungsbereitschaft, um die Probleme zu lösen, die dieses Land hat, aber ein bisschen mehr Hedonismus kann auch nicht schaden.
Was würdest du deinen Kommiliton:innen für die Zukunft mitgeben?
Lasst uns gemeinsam anpacken. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass wir nörgeln können und dann wird’s schon. Nur meckern bringt nix. Wenn wir die Zukunft aktiv gestalten wollen, brauchen wir eine positive Erzählung, wie Zukunft funktionieren soll und dann müssen wir anfangen, diese Erzählung Stück für Stück umzusetzen. Wir müssen eine Schaffer-Generation sein, die anpackt und nicht eine Generation, die nur erzählt, was alles schlimm ist. Das sind wir nicht, aber das sollten wir auch nicht werden.
Zentral in deiner Amtszeit war eine Kampagne zur mentalen Gesundheit. Was glaubst du, muss sich an deutschen Schulen ändern, damit mehr Kinder gerne zur Schule gehen?
Wir müssen anfangen zu verstehen, dass Leistung ganz eng mit Wohlbefinden verknüpft ist. Ich werde in der Schule besser abliefern, wenn es mir gut geht. Wenn die Schule es schafft, dafür zu sorgen, dass es den Kindern gut geht, dann sind wir keine Gruppe von Waschlappen und Nörglern, sondern ein Kollektiv, das abliefert. Das müssen wir in die Schulen reinbringen. Wenn man uns nicht extrinsisch motivieren muss, sondern mit unserer natürlichen Neugier arbeitet, mit dem Grundgedanken unsere Grundbedürfnisse erfüllen zu wollen, dann schaffen wir eine Schule, die wirklich gut funktioniert.
Fast 30% der Lehrkräfte leiden an medizinisch relevanten Stress- und Belastungssymptomen. Hat das System Schule vielleicht ein ganz generelles Problem bezüglich mentaler Gesundheit?
Ja, Schule hat ein generelles Problem. Wir verzahnen nicht ausreichend und schaffen es nicht zu verstehen, dass es den Menschen in der Schule, sowohl Lehrkräfte als auch Schüler, gut gehen muss, damit das System Schule funktioniert. Wenn wir das gemeinsam denken würden, dann könnten wir ganz viele Probleme überwinden.
Was braucht es, damit es anders läuft?
Wir brauchen Lehrkräfte, die ausreichend Unterstützung von Fachkräften in den Bereichen Schulpsychologie, Schulsozialarbeit und Mental Health erhalten. Fachkräfte, die zusätzlich an die Schulen kommen und dafür sorgen, dass die Lehrkräfte sich vorrangig auf den Unterricht konzentrieren können und Schüler eine Anlaufstelle haben, von der sie nicht parallel benotet werden. Wenn wir das hinkriegen, dann entlasten wir die Struktur und sorgen dafür, dass sich mehr Leute wohlfühlen können. Auch an anderen Stellen lässt sich der Druck reduzieren: Mehr Neugier einführen, mehr Wahlmöglichkeiten in die Schulen bringen und weniger Druck durch Noten schaffen. Dann entsteht eine Schule, die tatsächlich dafür sorgt, dass Schüler leistungsfähig und gut vorbereitet auf die Zukunft sind.
Das Gespräch führte Robert Trenkmann
...leitet Feuilleton und studiert nebenbei Geographie in Kombination mit Politikwissenschaft im Master.
Interessenschwerpunkte: ferne Länder, Tagespolitik & Sport.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.






