Onlyfans, Sugardaddy, Escortservice: Sexarbeit kann ein lukrativer Nebenjob sein. Wie schmal ist der Grat zwischen Befreiung und Ausbeutung?
Attraktive Frauen und Studentinnen! Wer hat Spaß am Massieren? Ungelernte auch gerne. Gute Verdienstmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten.“ Diese Stellenanzeige erscheint wöchentlich in der Badischen Anzeigenzeitung im Raum Heidelberg. Geschaltet wird sie von einem Massagestudio, das im Wieblinger Gewerbegebiet liegt. Unsere Recherche zeigt, dass es sich dabei nicht um ein gewöhnliches Massagestudio handelt: Das Studio Evita bietet erotische Massagen an – und wirbt dafür um Studentinnen.
Von außen macht das weiße Gebäude, in dem sich außerdem noch eine Autosattlerei und ein Bestattungsunternehmen befinden, einen unscheinbaren Eindruck. Nur zwei Schilder weisen darauf hin, dass hier ein Massagestudio ist. Die Eingangstür ist mit einem Holzverschlag versehen, der verhindern soll, dass vorbeilaufende Menschen die an der Tür stehenden Klient:innen sehen können. Laut Forumsbeiträgen im Internet beginnen die hier angebotenen Massagen meist mit einer normalen Massage, gehen dann aber schnell in eine „Körper an Körper“-Massage über und werden mit der händischen Befriedigung des:der Kund:in abgeschlossen. Die Masseurinnen sind dabei in Unterwäsche oder ganz entkleidet.
Im Studio Evita stehen statt Massagetischen flauschige Betten
Das klingt alles erstmal ungewöhnlich für einen studentischen Nebenjob. Trotzdem arbeiten hier auch manchmal Studentinnen, berichtet die Besitzerin des Studios, als wir sie vor Ort besuchen. Beim Betreten des Hauses kommt uns ein starker Räucherstäbchenduft entgegen. In den Zimmern scheint ein blasses, rötliches Licht, die Fenster sind von dichten Vorhängen bedeckt. Statt Massagetischen stehen dort flauschige Betten. Wir sprechen mit Sarah, so ihr Pseudonym, im Warteraum für die Kund:innen. Sie erzählt, dass es das Studio Evita bereits seit über 35 Jahren gibt. Ursprünglich befand sich das Massagestudio in der Kurfürstenanlage 9 beim Seegarten, danach in Leimen. Insgesamt gibt es derzeit sechs offiziell gemeldete Prostitutionsstätten in Heidelberg, das teilt uns die lokale Beratungsstelle Anna für Menschen in der Prostitution mit.
Die Stellenanzeige, die wir in der Zeitung entdeckt haben, laufe laut Sarah schon seit Jahren. Die Vorbesitzerin hatte sie bereits geschaltet, und Sarah bezahlt sie einfach weiter. Und das erfolgreich, denn es melden sich gelegentlich junge Frauen bei dem Studio. Die vermeintliche Attraktivität der Tätigkeit für junge Frauen, darunter auch Studentinnen, wird in der Anzeige hervorgehoben: ein gutes Gehalt und flexible Arbeitszeiten. Eine Berliner Studie, die zu ihrem Erscheinungszeitpunkt im Jahr 2011 viel Aufsehen erregte, offenbart, dass jede:r Dritte der befragten Studierenden dazu bereit wäre, durch Sexarbeit das Studium zu finanzieren. Die Gründe dafür seien vor allem finanzielle, aber auch der Spaß am Sex und eine gewisse Abenteuerlust spiele für die Befragten eine Rolle.
Wie viel an dieser Vorstellung dran ist, erzählt uns Bella*. Sie ist Anfang 30 und studiert Medizin. Nebenbei arbeitet sie seit Sommer letzten Jahres als Escort und verbringt Nächte mit wohlhabenden Männern. Vermittelt wird sie durch eine Luxus-Agentur, ihr Honorar reicht dabei von 800 Euro für zwei Stunden bis zu 3100 Euro für einen ganzen Tag. Die Männer, die sie buchen, könne sie mittlerweile kategorisieren. Geschäftsreisende und Verheiratete würden sie häufig allein für den Geschlechtsverkehr buchen, frisch geschiedene oder ledige Männer gingen mit ihr eher auf Dinner-Dates. Dabei gehe es vor allem um das gemeinsame Ausgehen und nur nachrangig um die sexuelle Dienstleistung. Die außergewöhnlichen Geschichten, die sie dabei erlebt, fasst Bella in einer Kolumne bei der SZ Jetzt zusammen. „Man lernt super viel über unsere Gesellschaft“, sagt sie, außerdem habe sie Freude am Schreiben. Um nicht erkannt zu werden, hat sie sich ihr Autorinnen-Pseudonym „Bella“ gegeben.
„Ich will ja, dass ich im Rahmen meines Berufs ein Sexobjekt bin“
Ihre Begründung für die Bewerbung bei der Luxus-Escort-Agentur ist denkbar einfach: „Mir war eigentlich einfach langweilig“. Da sie nicht auf das Geld angewiesen sei und als Prostituierte selbständig arbeitet, könne Bella ohne Probleme Buchungen ausschlagen oder Dates, die ihr nicht gefallen, abbrechen. Sie lässt nicht unerwähnt, dass sie eine gewisse Affinität für Sex hat und experimentierfreudig ist. Nicht selten käme es vor, dass Kunden bestimmte Fantasien und Fetische mit ihr ausleben möchten. Dass sie auf der Website der Agentur neben anderen Escort-Frauen wie in einem Katalog abgelichtet und beschrieben wird, störe sie nicht. „Ich will ja, dass ich im Rahmen meines Berufs ein Sexobjekt bin. Was ich nicht will, ist, dass ich unfreiwillig zum Sexobjekt gemacht werde.“
Bella findet, dass der Job als Escort wegen der geringen Anforderungen, der Flexibilität und des hohen Honorars gut mit ihrem Medizinstudium vereinbar ist. Im Schnitt mache sie etwa zwei Dates pro Woche. Das Geld, was sie dabei verdient, bewog sie dazu, ihren ursprünglichen Nebenjob zu kündigen. Nur drei Dates im Monat würden ausreichen, um das gleiche Einkommen zu erzielen. Lachend ergänzt sie: „Ich verdiene als Studentin sehr viel mehr als so manche Assistenz-ärzt:innen.“ Doch ihr Nebenjob habe auch nervige Seiten. Da ihre Escort-Dates oft abends seien, müsse sie häufiger Treffen mit ihren Freund:innen absagen. Außerdem gingen ihre Dates häufig bis spät in die Nacht und so bekomme sie in einigen Nächten nur wenig Schlaf. Für ihr anstehendes praktisches Jahr möchte sie keine Dates annehmen, die bis nach 22 Uhr gehen.
So ein selbstbestimmtes und positives Verhältnis zu Sexarbeit wie Bella haben nicht alle Frauen, die als Prostituierte arbeiten. Die Sozialarbeiterinnen der Beratungsstelle Anna gehen mindestens einmal im Monat in die Heidelberger Einrichtungen und bieten den Frauen dort Beratung und Aufklärung an. „In den offiziellen Häusern, in denen wir unterwegs sind, treffen wir eher Personen aus anderen Kulturen an,“ berichten diese. Oft ist es so, dass Frauen aus anderen Ländern noch Familienmitglieder im Heimatland haben, die sie versorgen müssen, wodurch die Abhängigkeit von der Arbeit verstärkt wird. Auch im Studio Evita arbeiten einige Frauen, auf die diese finanzielle Notlage zutrifft. Das Aussteigen aus der Prostitution erscheint schwer, da ein anderer Beruf mit einem monatlich ausgezahlten Gehalt weniger lukrativ wirkt. Sexarbeit erscheint leicht als zugängliche Tätigkeit: Außer einer Meldepflicht und vorgeschriebener gesundheitlicher Untersuchun- gen gibt es keine Voraussetzungen. Auch für Studierende wirken die geringen Hürden ansprechend.
In den offiziellen Laufhäusern sind Studentinnen trotzdem weniger präsent. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle vermuten, dass Studierende zu anderen Formen der Sexarbeit tendieren, etwa Sugardaddy-Beziehungen, Escort-Dienstleistungen oder indirektere und ano- nymere Formen von Sexarbeit im Internet. So gewinnt die Plattform Onlyfans in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung, auch wenn sie laut dem Gesetzgeber nicht als sexuelle Dienstleistung verstanden wird. „Onlyfans gilt offiziell als darstellende Kunst und nicht als Prostitution im eigentlichen Sinne,“ wird uns vom Anna-Team erklärt. Die Sozialarbeiterinnen wünschen sich, dass digitale Formen der Sexarbeit einen Eingang in das Prostituiertenschutzgesetz, das momentan evaluiert wird, finden. Zumindest eine Beratungs- und Aufklärungsmöglichkeit für diejenigen, die sexuelle Inhalte auf Online-Plattformen veröffentlichen, sollte zur Verfügung gestellt werden.
Die Anonymität des Internets bietet nicht nur Vorteile für diejenigen, die mit unpersönlichen sexuellen Dienstleistungen Geld verdienen möchten, sondern auch für Personen, die andere manipulieren und ausnutzen möchten. Die sogenannte Loverboy-Methode ist eine Form des Menschenhandels, bei der meist Männer zu jungen Frauen eine vermeintliche Liebesbeziehung aufbauen, diese anschließend von ihrem Umfeld isolieren und dahingehend manipulieren, dass sie für den Loverboy anschaffen gehen. Laut eines Berichts der Organisation „Greta“ vereinfachen Online-Plattformen wie Onlyfans diese Prozesse enorm, sowohl in der Phase der Kontaktaufnahme als auch der Ausbeutung und erschweren zudem die strafrechtliche Verfolgung solchen Verhaltens.
Im Studio Evita ist außer der Internetseite noch alles analog. Hier gelten die bereits 2017 festgelegten gesetzlichen Auflagen: Ein Aushang zur Kondompflicht, Notfallschalter in den Zimmern und sanitäre Einrichtungen garantieren den Prostituierten ein gewisses Maß an Sicherheit und Schutz. Die Notwendigkeit dieser Regelungen zeigt die Machthierarchien und patriarchalen Strukturen dieses Gewerbes. Denn die Dienstleistungen werden vor allem von Frauen angeboten und von Männern angenommen. Frauen, die wie Bella selbstbestimmt und aus anderen Motiven als Geldnot sexuelle Dienstleistungen anbieten, sehen ihre Arbeit durchaus als feministisch und emanzipiert. Was jede:r mit seinem:ihrem Körper macht, ist eine individuelle Entscheidung, die jedoch bei strukturell zwanghaften Verhältnissen durchaus problematisch werden kann. Tendenziell gehen Studierende, die mit Sexarbeit Geld verdienen, dieser Tätigkeit eher selbstbestimmt und ohne Zwang nach. Sobald aber ein Verzicht auf die Einnahmen aus dieser Arbeit nicht möglich ist, können auch hier schwierige Verhältnisse entstehen. Sexarbeit als studentischer Nebenjob ist letztendlich eine Gratwanderung: Unter den richtigen Bedingungen kann es durchaus abenteuerlich und bereichernd sein. Doch unsere Gespräche haben gezeigt, dass dies nicht die Regel ist. Das Potenzial für negative und der psychischen und physischen Gesundheit schädliche Erfahrungen ist groß.
*Pseudonym
Von Odette Lehman und Emilio Nolte
gehen neben dem Studium eher „bürgerlichen“ Nebenjobs nach
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Soziologie im Bachelor und leitet seit dem Wintersemester 2024/25 das Ressort "Studentisches Leben". Sie ist seit Ende 2023 beim ruprecht aktiv und interessiert sich besonders für Dinge, die eine gründliche Dosis Reflektion und neue Perspektiven gebrauchen können, deshalb schreibt sie gerne über aktuelle gesellschaftliche, kulturelle und politische Themen.
...studiert Volkswirtschaft und schreibt seit dem Sommer '23 für den ruprecht. Er ist ein Freund der pointierten Kolumne und leitete einst die Seiten 1-3.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.