The Road, The Hunger Games, Snowpiercer – Weltuntergangsszenarien sind in Literatur und Film omnipräsent. Die Vorstellung vom Weltuntergang findet sich bereits in der biblischen Johannesoffenbarung und ist tief in der kulturellen Überlieferung verwurzelt. Als eines von vierzehn durch den Bund geförderten „Käte Hamburger Kollegs” hat das Heidelberger „for Apocalyptic and Post-Apocalyptic Studies” (CAPAS) im März diesen Jahres den Betrieb aufgenommen. Die Laufzeit ist auf maximal zwölf Jahre begrenzt. In diesem Zeitraum forschen eingeladene Wissenschaftler*innen – „Fellows” transdisziplinär zu einem Oberthema: Apokalypse.
Gemeinsam mit dem Archäologen Prof. Dr. Thomas Meier steht der Heidelberger Romanist Prof. Dr. Robert Folger dem CAPAS als Institutsdirektor vor. Geforscht wird im Neuenheimer Feld in direkter Nähe zu den Naturwissenschaften.
Ein Institut für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien – wie kommt es plötzlich dazu? Muss man sich Sorgen machen?
Die Idee gab es schon vor Corona, wir sind davon auch überrollt worden. Der Ausgangspunkt war einerseits, dass meistens irgendetwas Apokalyptisches läuft, wenn man den Fernseher anmacht. Aus aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten höre ich oft einen apokalyptischen Ton heraus: Das ist dann nicht nur die Klima- oder Systemkrise, es geht die Welt unter. Die Zeit schrieb Anfang des Jahres von „der ewigen Angst vor der Apokalypse”.
Apokalypse ist nicht nur Zerstörung, sondern auch Offenbarung.
Es ist kein rein akademisches Thema, jedem fällt etwas dazu ein. Ich glaube, dass wir drängende Fragen als Apokalypsen behandeln. Es gibt Phasen des Bewusstseins für fundamentale Veränderung. Eine Welt endet, es hört aber nicht alles auf zu existieren, das wird nicht passieren. Was danach kommt, das ist das Interessante. Auch aus meiner eigenen wissenschaftlichen Perspektive gibt es unmittelbare Zugänge: Für mich als Lateinamerikanist ist in der Kolonialzeit in Mexiko eine ganze Welt [der indigenen Kulturen; Anm. d. Red] untergegangen. „Welt”, das ist jetzt nicht so dahingesagt, es können wirklich Welten untergehen.
Sie erwähnen Südamerika, aber ist Deutschland nicht selber postapokalyptisch geprägt?
Das ist auch eine Forschungsdiskussion. Die Nazis mit ihrer Idee vom Tausendjährigen Reich, das ist eine apokalyptische Vorstellung. Deutschland hat nach der „Stunde Null” 1945 ja nicht aufgehört zu existieren. Es war fundamental verschieden von dem, was vorher war, aber nicht völlig verschwunden. Apokalypse ist nicht das Ende von allem, es kommt ein neuer Entwurf, eine neue Art des Zusammenlebens, der politischen und sozialen Formation, zustande. In der französischen Revolution ist auch ein ganzes System zusammengebrochen, in Deutschland während des des Dreißigjährigen Krieges. Das waren katastrophische Ereignisse, die man unter dem Blickwinkel der Apokalypse betrachten kann.
Sie weisen dem Begriff der Apokalypse unterschiedliche Dimensionen zu, wie lokale und persönliche. „Demenz” bringen Sie als Beispiel für einen solchen persönlichen Weltuntergang ins Spiel…
Umgangssprachlich sagt man „Da ging für mich eine Welt unter”. Darin sehe ich eine Forschungsaufgabe, sich mit Spezialisten zu unterhalten: Was alles hängt am Begriff der „Welt”? Von der individuellen Ebene aus lässt sich eine Skalierung des Weltuntergangs auf die Ebene sozialer Gruppen entwickeln. Apokalypse bedeuten in diesem Zusammenhang nicht „da stürzt jetzt ein Komet auf die Erde”, sondern beispielsweise fundamentale Umbrüche in Sozialsystemen. Die demokratische Entwicklung in den USA ist so ein Thema: da ist die Rede von „post-democracy”.
Ist der Begriff „Apokalypse” der Versuch, diese Umbruchsphänomene einzuordnen?
Apokalypse ist nicht nur Zerstörung, sondern auch Offenbarung. Etwas war verkehrt und konnte nicht gutgehen. Gleichzeitig tut sich etwas Neues auf. Durch Corona wird der Wunsch nach fundamentaler Veränderung laut, aber nicht aus heiterem Himmel. Schon lange haben Studien vor einer möglichen Pandemie gewarnt und das in Verbindung mit unserer Lebensweise gebracht: mit Massentierhaltung, Massentourismus, Massenmobilität. Jetzt ist gesellschaftlich vielleicht kein Konsens, aber ein Bewusstsein da, dass dieser Umstand längst bekannt war. Und das macht eine Apokalypse aus: Etwas wird erkannt und das Danach ist fundamental anders als das Davor.
Ein Philosoph, ich glaube Hegel, hat sinngemäß gesagt, man erkenne das Wesen einer Epoche erst, wenn sie sich dem Ende zuneige. Kann man eine Epoche erst durch eine Apokalypse verstehen, ist sie der globale Weg der Erkenntnis?
Das ist eine sehr gute Frage. Im apokalyptischen Bewusstsein schließt sich an die Erkenntnis des Endes die Frage nach dem Sinn an. Man kann das kollabierende System rein empirisch beobachten, aber bei der Sinngebung kommen die Geistes- und Sozialwissenschaften ins Spiel. Allerdings ist es während einer Entwicklung immer schwer zu sagen, was gerade passiert. Trotz Prognosen erkennt man das Ende erst, wenn es so weit ist. Das ist die Struktur dahinter.
Offenbarung setzt Konsens voraus, für mich zumindest. Bei den neuen Medien besteht dieser Konsens nicht.
In der Informationsgesellschaft gibt es scheinbar kein „Nicht-Wissen” mehr; wir wissen rundum die Uhr, was wo los ist, permanente Offenbarung. Ist die Apokalypse so schleichend über uns hereingebrochen?
Dass sie schleichend ist – ganz klar. Wenn es nicht gerade ein Meteoriteneinschlag ist, dann immer ein Prozess. Offenbarung setzt Konsens voraus, für mich zumindest.Bei den neuen Medien besteht dieser Konsens nicht. Einen gemeinsamen Nenner findet man nur bei der Einsicht: So kann und so soll es auch nicht mehr weitergehen, egal wo man sich politisch verordnet. Den Anspruch nach der einen Wahrheit gibt es nicht. Mit der Offenbarung kommt eine neue Art des Zweifels auf: es wird etwas klar, aber wo es hingeht, ist offen.
In Filmen fasziniert mich immer der Moment, wenn der Meteorit auf die Erde zu brettert und alle Menschen gleichzeitig dorthin sehen. Ist die Apokalypse das ultimative gemeinschaftliche Erlebnis?
Ich denke schon, dass das eine kollektive Erfahrung ist, aber sie ist auch genauso oft exklusiv. Das Beispiel mit dem Meteoriten ist ja ein Extremfall, da ist dann alles weg. Das ist nicht die Art und Weise von Apokalypse, die mich interessiert. Aber auch bei Katastrophenfilmen ist das Moment der Besinnung dabei, wo die dann merken: Irgendwas war falsch mit unserer Art zu leben.
Die Apokalypse ist ein Thema, das viele interessiert, wie Sie ja selbst sagten. Wie sehen da die Möglichkeiten für Student*innen aus, am CAPAS zu forschen?
Wir wollen uns hier definitiv nicht nur unter Wissenschaftlern*innen unterhalten. Meine apokalyptischen Vorstellungen unterscheiden sich fundamental von denen junger Leute; es wäre brennend interessant zu wissen, was sich da tut. Die Idee ist, Lehrveranstaltungen anzubieten, Abschlussarbeiten zu betreuen, eine öffentliche apokalyptische Filmreihe im Sommer zu veranstalten und über die transdisziplinäre Ausrichtung Personen aus der ganzen Welt zu versammeln. Toll wäre, wenn wir am Ende der ersten Förderrunde in vier Jahren ein Archiv apokalyptischer Studien von Studierenden hätten.
Von Clemens Pittrof
Till Gonser studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.