Deutschland spart sich kaputt und verpasst den Schritt in die Zukunft. Schuldenbremse – muss das sein?
Die entscheidenden politischen Nachrichten in den letzten Wochen: Bauernproteste, Haushaltsstreit, Kindergrundsicherung … irgendwie geht’s bei allem ums Geld. Genauer, um die Kürzungen des Bundeshaushalts, um die Schuldenbremse einzuhalten.
Mit diesem Verfassungsgesetz wird seit 2009 die Schuldenaufnahme des deutschen Staates beschränkt. Sie erlaubt es dem Bund, jedes Jahr 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Neuschulden aufzunehmen. Die Grenze wird im Sinne des antizyklischen Wirtschaftens weiter angepasst: In wirtschaftlich guten Zeiten dürfen etwas weniger Schulden aufgenommen werden, in wirtschaftlich schlechten Zeiten ein bisschen mehr.
Eine Ausnahme von dieser Regel gilt für Notzeiten wie Covid-19 oder den russischen Überfall auf die Ukraine. In dieser Zeit darf man die Schuldenbremse auch temporär aussetzen.
Einige Personen in der Bundesregierung wollten für 2023 und 2024 diese Ausnahmeregel jedoch nicht anwenden, anders als in den Krisenjahren davor. Deswegen kam die Idee auf, bereits angesammeltes Geld aus Schulden der vorherigen Jahre für die aktuellen Krisenbewältigungen zu verwenden. Das hat das Bundesverfassungsgericht für unrechtmäßig erklärt. Die Richter:innen haben entschieden, dass eine solche Notlage jedes Jahr neu bestimmt werden muss. Die Bundesregierung wollte aber die Notlage nicht erneut ausrufen. Da sie gleichzeitig nicht substanziell Steuern erhöhen wollten, müssen sie stärker an Ausgaben sparen.
Vergleicht man die ökonomische Situation des Staates mit der eigenen, kann man zu dem Schluss kommen, dass auch der Staat sich nicht zu stark verschulden sollte. Aber es gibt auch Situationen, in denen es sinnvoll ist, privat stärker Schulden aufzunehmen, beispielsweise wenn man ein Haus kauft oder einen Studienkredit aufnimmt.
Ähnlich ist das beim Staat. In unserem aktuellen System ist es finanzpolitisch nicht immer „nachhaltig“, alles über Schulden zu finanzieren. Aber es gibt gute ökonomische Gründe, mit Schulden in die Zukunft zu investieren, beispielsweise in Klimaschutz oder Bildung.
Außerdem unterscheidet sich ein Staat ökonomisch entscheidend von Haushalten. Denn unter anderem kann und sollte ein Staat langfristiger denken und in Projekte investieren, von denen die Gesellschaft profitiert. Insbesondere, wenn diese keinen Gewinn versprechen und deshalb von privaten Unternehmen nicht getätigt werden. Das beste Beispiel dafür ist der Klimawandel. Für die Gesellschaft stellt dieser ein Problem dar, ein einzelnes Unternehmen hat trotzdem selten Gründe, sich klimakonform zu verhalten.
Doch warum halten sich die Vorteile der Schuldenbremse immer noch so hartnäckig, wenn dadurch zu wenig investiert wird? Wie sieht es bei konkreten Entscheidungen aus: Schuldenbremse oder Klimaschutz? Schuldenbremse oder ein digitales Deutschland? Schuldenbremse oder eine pünktlichere Bahn?
Um gezielt diese Probleme anzugehen, gibt es den Vorschlag einer „Grün-Goldenen Regel“. Diese würde Zukunftsinvestitionen von der Schuldenbremse ausnehmen und Konsumausgaben weiterhin beschränken. Ganz ähnlich hat Deutschland bis 2009 40 Jahre lang Finanzpolitik gemacht, damals mit der Goldenen Regel.
Gerade in den aktuellen Krisenzeiten wäre es besonders notwendig, dass wir gesamtwirtschaftliche Stabilität schaffen. Auch, um im Kampf gegen erstarkenden Rechtsextremismus wirksam zu sein.
So sagt auch Isabella Weber, Ökonomieprofessorin in den USA: „Wir wissen aus der Forschung, dass es einen sehr klaren Zusammenhang gibt zwischen dem Aufstieg von radikalen und insbesondere rechtsradikalen Parteien und Phasen von Austerität.“ Austerität bedeutet, dass der Staat stark an Ausgaben und Investitionen spart oder Steuern erhöht, um die Schuldenmenge gerade kurzfristig zu reduzieren.
Insbesondere deswegen sollte die Rolle des Staates in der Finanzpolitik neu gedacht und damit gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: in die Zukunft investieren und krisenfestere Finanzpolitik betreiben.
Von Moritz Kapff
Moritz studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er ist aktiv beim Netzwerk Plurale Ökonomik und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. Seine Interessen umfassen Zentralbanken, die sozial-ökonomische Transformation und ökonomische Ideengeschichte.
Till Gonser studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.