Ausschreitungen gegen politisch Engagierte nehmen in Deutschland zu – insbesondere im Wahlkampf. Wie die Situation in Heidelberg ist und wie die Parteien damit umgehen.
Das Europaparlament und die Kommunalparlamente sind gewählt – die erste Runde der diesjährigen Wahlen in Deutschland ist also geschafft. Wie polarisiert das Land mittlerweile ist, wurde im Wahlkampf jedoch sehr deutlich: Schmierereien auf Wahlwerbung und Hasskommentare in den Sozialen Netzwerken scheinen mittlerweile ein fester Teil des Diskurses geworden zu sein. Immer häufiger erleben Politiker:innen und Wahlkämpfer:innen auch körperlich, wie das politische Klima verroht: Anfang Mai wurde der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden beim Anbringen von Wahlplakaten zusammengeschlagen, kurz darauf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey bei einem Termin in einer Bücherei mit einem harten Gegenstand beworfen. Kurze Zeit später attackierte ein mutmaßlicher „Querdenker“ den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter an einem Wahlkampfstand in Aalen und ein AfD-Wahlkämpfer wurde in Mannheim mit einem Teppichmesser verletzt.
Auch Heidelberg haben diese Entwicklungen mittlerweile erreicht. So kam es bei der Demonstration „#niewiederistjetzt” im Januar dieses Jahres zu einem Übergriff auf die Gruppe der Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Dabei lief ein 42-jähriger Mann in das Banner der Demonstrant:innen und wurde gegenüber einer Aktivistin handgreiflich. Es kam zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, in der die Aktivist:innen als „linke Idioten“ bezeichnet wurden. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat mittlerweile Strafbefehl, also eine Einleitung der Strafverfolgung, aufgrund des Verdachts einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung gegen den 42-Jährigen beantragt.
Auch im Straßenwahlkampf sehen sich Wahlkämpfer:innen mit Anfeindungen konfrontiert. Yasmin Renani, die erfolgreich auf der CDU-Liste für den Heidelberger Gemeinderat kandidierte und an der Universität Heidelberg studiert, hat dies hautnah erlebt: Beim Anbringen von Wahlplakaten sei sie auf eine Frau aufmerksam geworden, die Aufkleber mit Wahlwerbung entfernt habe. Nachdem sie Beweisfotos für die Polizei angefertigt habe, sei sie von AfD-Wahlkämpfer:innen, zu denen die Frau scheinbar gehörte, bedroht und als „Linksextreme von der CDU“ beschimpft worden. Ein weiterer Anwesender habe ihr gedroht, die Polizei zu rufen, falls sie ihm nicht ihr Handy gebe. In der Auseinandersetzung sei deutlich geworden, dass der Mann über ihre Aktivitäten und Äußerungen in den sozialen Netzwerken bestens informiert war. Er merkte noch an: „Es kommt alles auf einen zurück“, schildert Renani.
Diese Bedrohungen drücken den Wahlkämpfer:innen natürlich auf die Nerven: In der CDU etwa „liegen die Nerven blank“ ob der verunstalteten oder beschädigten Wahlplakate und Hassnachrichten, wie die Kandidatin Yasmin Renani berichtet.
Auch in der SPD ist man sich der Bedrohung bewusst. So habe man die Gefahr bei Wahlkampfaktionen immer im „Hinterkopf“, erklärt Zoe Dickhaut, Kandidatin der SPD für die Kommunalwahl. Sie betont jedoch auch, dass man sich nicht einschüchtern lassen will: Die Angst vor Übergriffen bestimme nicht das Handeln. Natürlich würden diese Vorkommnisse thematisiert, sowohl parteiintern als auch im Bündnis gegen Rechts. In der kommunalen SPD ist auch ein Workshop für den Umgang mit politisch motivierter Gewalt geplant.
Bei den Grünen nimmt man ebenfalls eine Verrohung des Umgangs mit politisch Engagierten mit Sorge wahr. So sei ein Wahlkämpfer bereits im Bundestagswahlkampf 2021 als „grün-lackierter Nazi“ beschimpft worden. Auch wenn es noch kein konkretes Konzept für den Umgang mit dieser Verrohung gibt, so achte man darauf, beim Aufhängen von Plakaten oder Flyern immer mindestens zu zweit unterwegs zu sein und keinesfalls Einladungen in die Wohnung zu folgen. Doch auch hier herrscht die Überzeugung, man dürfe sich von gewaltbereiten Personen nicht beeinflussen lassen.
Wirksame Schutzmaßnahmen scheint man indes (nicht nur) in Heidelberg noch nicht gefunden zu haben, falls es solche überhaupt gibt. Auch wenn sich die Lage seit den Wahlen am 9. Juni augenscheinlich wieder etwas entspannt hat, so bleibt die grundlegende Bedrohung für politisch Engagierte, Entscheidungsträger:innen und damit letztlich auch für unsere Demokratie bestehen.
Von Maximilian Fülle
Till Gonser studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.