Der ehemalige Rektor Bernhard Eitel gab letztes Semester nach 16 Jahren sein Amt an Frauke Melchior ab. Mit unserer Redakteurin spricht er im Rückblick über seine Karriere, den Klimawandel und die Jugend von heute
Herr Eitel, Sie waren 16 Jahre lang der Rektor der Universität Heidelberg. Wie sind Sie an diese Position gekommen? Hätten Sie gedacht, dass Sie da mal landen?
Für mich hat sich das einfach so ergeben. Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal Rektor einer Universität werde. Natürlich muss man sich für das Amt formal bewerben, aber ich wollte immer gefragt werden. Als ich dann für sechs Jahre gewählt wurde, waren dann diese sechs Jahre auch mein persönliches Ziel. Ich hatte nie darüber nachgedacht, ob es mal zwölf oder noch mehr werden.
Bleiben Sie nach Ihrer Amtszeit weiterhin in Heidelberg oder gehen Sie woanders hin?
Ich bleibe in Heidelberg Professor am Geographischen Institut. Daher sehe ich auch keinen Grund wegzuziehen oder irgendwas zu verändern.
Sie haben am Anfang Geographie und Germanistik studiert und sind auch generell Geisteswissenschaften nicht abgeneigt. Aber warum dann Geographie und nicht Germanistik?
Meine Entscheidung für die Geographie hatte mehrere Gründe. Ursprünglich wollte ich eigentlich Geschichte studieren, aber das geforderte große Latinum hat mich davon abgehalten.
Ich hatte damals im Studium noch fakultativ Tonmineralogie nebenher studiert, also einen großen Teil der Mineralogie. Und die Physische Geographie, wenn man das Holozän betrachtet, kommt mit der Archäologie eng zusammen. Ich fand es also spannend, in die Richtung Geoarchäologie zu gehen. Vor allem hat mich Umweltrekonstruktion in der Vergangenheit interessiert. Der zweite Grund waren schlicht die Berufsaussichten.
Lohnt es sich dann nicht mehr, einen „Taxifahrer-Studiengang“ zu studieren?
Jeder sollte das studieren, wozu man eine besondere Neigung empfindet. Und der sollte man nachgehen. Wenn Sie zum Beispiel beruflich nach Großbritannien gehen, spielt es noch weniger eine Rolle, was Sie studieren oder studiert haben. Die Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, ist entscheidend.
Zwischendurch eine lustige Frage: Was ist denn Ihr Lieblingsgestein?
Ich beschäftige mich nicht so sehr mit Gesteinen, sondern vielmehr mit Sedimenten, also mit Ablagerungen und insbesondere allen Staub-Ablagerungen. Ich liebe Staub. Also natürlicher Mineralstaub, kein Hausstaub.
Sie sind Mitglied in drei Verbindungen. Hat Ihnen das in der Karriere genutzt?
Grundsätzlich gibt es da sehr viele Vorurteile. Studentenverbindungen sind höchst verschieden und stellen ein Riesenspektrum dar. Das geht von einem Studierendenverein bis zu einem manchmal politisch sehr fragwürdigen Rand. Den heiße ich nicht gut, aber dass man alle Verbindungen in Bausch und Bogen verdammt, finde ich nicht angemessen. Man muss eben immer genau hinschauen, was man toleriert oder was man mag und wo die Grenzen überschritten werden. Ich denke nicht, dass es hier eine gemeinsame Kultur der Burschenschaften und anderer Verbindungen gibt, sondern vielmehr sehr unterschiedliche Gruppen, die sich mit unterschiedlichen Zielen zusammengefunden haben. Einige davon sehe ich kritisch.
Ich bin Mitglied in katholisch-konfessionell orientierten Verbindungen. Das Verbindungsleben förderte in meinem Fall die persönliche Entwicklung, weil man mit freundschaftlich Gleichgesinnten bestimmte Skills wie freie Sprache, Interdisziplinarität oder Conventsleitung lernt, die einem später helfen. Seilschaften oder so etwas gibt es meiner Erfahrung nach nicht.
Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen an der Universität. In der meritokratisch ausgerichteten Wissenschaft gibt es keine Protektion.
Was sind Themen, die Sie in der Vergangenheit als Rektor beschäftigt haben?
Das Stichwort Geld bestimmt natürlich jeden Diskurs. Bund und Länder müssen mehr in die Wissenschaft investieren und nicht das Gegenteil machen. Also wenn das Land Baden-Württemberg sagt, es muss Strom gespart werden, ja dann sparen Sie Strom aber nicht zulasten der Wissenschaft!
Oft kommen auch Luxusprobleme auf. Also ich sage mal ganz hart: Warum ist das Studium gebührenfrei? Ich habe immer für Studiengebühren plädiert. Natürlich sollen diese nicht sozial diskriminierend sein, aber warum soll jemand, der zum Studieren aus dem Ausland hierherkommt, keine Gebühren zahlen? Glauben Sie denn, dass die Studierenden, die von weit her nach Heidelberg kommen, alle aus ärmlichen Verhältnissen oder ganz ohne Stipendien kommen?
Die Abschaffung der Studiengebühren war ein großer Fehler. Wenn man sie sozial ausgestaltet und in moderater Höhe wieder einführen würde, hätte man auch das notwendige Geld für Studium, Forschung und Infrastruktur zur Verfügung.
Haben alle jungen Menschen in Deutschland die gleiche Chance auf ein Studium?
Vielleicht bekommt man Bafög, oder gehört zu den sozial schwächeren Gruppen und muss neben dem Studium jobben. Da wird es die eine immer leichter haben als der oder die andere. Im Großen und Ganzen glaube ich, sind, wenn man wirklich studieren will, die Möglichkeiten in Deutschland auch gegeben. Der Zugang ist vor allem abhängig von den persönlichen Fähigkeiten. Nicht alle Gehirne sind gleich. Das ist auch eine Frage der Leistungsfähigkeit.
Was bedeutet Wissenschaft für Sie?
Forschung ist für mich nicht „Last Generation“, das ist für mich „Next Generation“. Wir haben so viele Probleme im Moment: Klimawandel, Inflation, Kriege. Die einen sagen: „einschränken, Gürtel enger schnallen“ und die anderen sagen: „macht weiter so“, und ich sage, wir brauchen Problemlösungen und die entwickelt man nur mit Wissenschaft.
Was können wir tun, um den Klimawandel zu stoppen?
Als Professor in der Physischen Geographie sage ich, dass ich mich nicht nur auf Klimaschutz fokussieren will, denn wir müssen größer denken und die Atmosphäre sauber halten! Sie wollen dabei ja alle den aktuellen Lebensstandard erhalten. Mit Forschung können wir junge Menschen für die Zukunft begeistern. Das Ziel ist klar, wir wollen Nachhaltigkeit, aber man muss dafür eine Strategie entwickeln und dann Maßnahmen und Instrumente, um diese Strategie umsetzen zu können. Wir stehen an einem politischen Kipppunkt. Ich möchte den Studierenden klarmachen, dass es eine Zukunft gibt, dass es die Aufgabe der jungen Generation ist, diese Zukunft zu gestalten und nicht, die Zukunft zu gefährden durch Nichtstun oder durch Zukunftsverweigerung.
Was meinen Sie mit Zukunftsverweigerung?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass es einen Defätismus gibt, der um sich gegriffen hat. Besonders während der Corona-Pandemie war das extrem. Da waren die Studierenden sehr pessimistisch, als ginge alles den Bach runter. „Wir dürfen nichts mehr“ und so weiter. Das ist wie im Mittelalter, als bei der Jahrtausendwende die Leute gedacht haben, jetzt geht die Welt unter. Die Erde dreht sich weiter.
Denken Sie nicht, dass es als älterer Mensch einfacher ist, positiv in die Zukunft zu blicken? Für junge Menschen wie mich sieht die Zukunft nicht so rosig aus, wie damals für meine Eltern.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Mein Vater kam aus dem Krieg zurück, da lag in Deutschland alles in Schutt und Asche.
Er hätte Grund gehabt, sich in den Rhein zu stürzen. Als ich studiert habe, hieß es, es gibt keine Arbeitsplätze. Wir waren 49 Kinder in meiner Schulklasse. Überall, wo ich hinkam, hieß es, ihr habt keine Chance, ihr werdet nie einen Arbeitsplatz bekommen. Wir mussten kämpfen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen, aber jede Generation hat doch auch die Pflicht, für sich selbst Zukunft zu schaffen. Die Universität ist die Einrichtung, in der Zukunft kreiert wird.
Wie sehen Sie denn die Lage der jungen Generationen?
Noch keine Generation vor Ihnen hatte so gute Zukunftschancen. Sie treffen auf einen Arbeitsmarkt, der Sie sucht. Sie haben nahezu alle technischen Möglichkeiten. Sie nutzen Ihre Handys rund um die Uhr. Sie verbrauchen damit mehr Strom allein durch die Server im Hintergrund als viele, die zum Beispiel Auto fahren.
Solange die Studierenden kein Auto fahren und kein Auto brauchen, kann man gut gegen das Auto sein und Fahrrad fahren. Sie verhalten sich damit aber noch nicht wirklich nachhaltig. Die Tatsache, dass man kein Auto fährt, heißt ja nicht, dass man sonst keine Energie verbraucht. Und ich kenne keine Jugendlichen oder keine Studierenden, die ihre Handys wegschließen würden.
Zum Thema Handys, zum Schluss noch eine lustige Frage. Kennen Sie Ihre Memes?
Ja, die kenne ich. Man hat mir öfter welche gezeigt. Größtenteils fand ich die auch lustig. Ich finde es gut, dass die Studierenden mich auf der Straße erkennen und wir uns auch mal grüßen. Das belegt ein doch ganz gutes ungezwungenes Miteinander. Früher kannte niemand den Rektor, und dass das in den vergangenen Jahren anders war, freut mich.
Das Gespräch führte Josefine Nord
Josefine Nord studiert Politikwissenschaften und Literaturwissenschaft und schreibt seit dem Wintersemester 2021/22 für den ruprecht. Nach langer Zeit in der Leitung widmet sie sich nun hauptsächlich Meinung, investigativen Recherchen und gesellschaftskritischen Themen.
Till Gonser studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.