Über Krieg und Frieden, Arbeitsmoral und Systemumsturzfantasien redet der ruprecht mit Alexander Föhr. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete hält Heidelberg die Treue
Die jungen Leute werden immer radikaler, nehmen Sie das so wahr?
Das könnte man so interpretieren, wenn rund 50 Prozent der jungen Menschen AfD, BSW oder Linkspartei wählen. Ob das wirklich ein Ausdruck von Radikalität ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch ein Ruf nach Veränderung oder eine politische Rebellion, wie es sie auch in anderen Jahrzehnten gab. Mir ist wichtig: Die politische Mitte muss anschlussfähig und offen für möglichst viele Wählerinnen und Wähler bleiben.
„Krieg ist eigentlich die Regel, nicht lange Friedensphasen“
Im Zuge einer von Russland ausgehenden, steigenden Gefahr wird diskutiert, die Dienstpflicht wieder einzuführen. Sie haben drei Kinder. Würden sie ihnen das zutrauen?
Selbstverständlich. Ich halte ein Gesellschaftsjahr inklusive Wehrdienst für dringend notwendig. Niemand sollte die Augen davor verschließen, was um uns herum passiert. Aus meinen Lebzeiten kenne ich auch nur Frieden. Aber wenn man es historisch einordnet, muss man analysieren, dass Krieg eigentlich die Regel ist und nicht lange Friedensphasen. Das ist bitter und traurig, aber es ist die Realität. Ich glaube, dass Nationen, die glauben, für ihre Freiheit nicht mehr kämpfen zu müssen, träge werden und verlernen, für das, was sie darstellen, einzustehen. Auch wenn mein Wehrdienst 25 Jahre zurück liegt, wäre ich bereit, im Zweifelsfall dieses Land oder auch Europa zu verteidigen. Und das würde ich auch von meinen Kindern erwarten. Wir sind ja auch in einer Zeit, in der das nicht nur eine Sache der Söhne ist.
„Europa muss erwachsen werden und sich bewaffnen“, sagt ein geopolitischer Experte aus der Republik Moldau. Kann Deutschland unter Bundeskanzler Merz die führende Rolle für die freie Welt übernehmen?
Ich bin zutiefst überzeugter Europäer. Ich glaube, es wäre gut, das insbesondere mit Frankreich und Polen hinzubekommen. Ich hatte ein Gespräch mit einem polnischen Abgeordneten, der mir gesagt hat: „Alex, wenn wir alles bekommen, was wir bestellt haben, hat bald jeder Pole einen Panzer in der Garage stehen.“ Polen war oft geteilt und sogar komplett von der Landkarte verschwunden, weil es sich nicht gegen die Großmächte verteidigen konnte. Dass die Polen sagen: „Das passiert uns nicht wieder“, das kann ich total nachvollziehen. Als größter Staat in Europa sind wir absolut in der Verantwortung. Ich weiß, es gibt immer den Wunsch nach starken Führungspersönlichkeiten. Und ich weiß, dass Friedrich Merz polarisiert. Aber gerade in der Außenpolitik hat er eine sehr klare Agenda. Das wird uns Geld kosten und von uns Deutschen einen Mentalitätswandel verlangen. Auch vor dem Hintergrund dessen, was gerade in den USA passiert.
Merz hat einem Sondervermögen zugestimmt. Putin blickt nicht gerade mit gutem Willen auf Deutschlands Aufrüstung.
Die zusätzlichen Verteidigungsausgaben laufen nun außerhalb der Schuldenbremse. Das war für die Union ein schmerzhafter, aber notwendiger Schritt. „Man muss Putin entgegenkommen“, einem Massenmörder und Kriegsverbrecher. Das ist eine Bequemlichkeit und ein Verlust von Werten, die wir immer vor uns her tragen. Für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ich glaube, Putin ist kein Partner und auch kein Verhandler. Er schaut, wer stärker ist. Ich verstehe den Wunsch der Deutschen nach Frieden und Harmonie, aber man darf nicht ahistorisch sein. Dieser russische Staat ist eine Bedrohung. Das ist nicht nur Putin, er wird von großen Teilen der Bevölkerung getragen. Wir müssen da als Europäer Stärke zeigen!
Hat Deutschland über Nord Stream 1 den Krieg in der Ukraine indirekt mitfinanziert?
Es war rückblickend ein Fehler.
Ein Pakt mit dem Teufel?
Ja, ich mache mir da keine Illusionen. Russland bedroht seine Nachbarn nicht nur, es überzieht sie mit Zerstörung und Tod. Leider gibt es in Teilen der politischen Linken eine verklärte Sicht auf Russland. An die gescheiterte Idee von „Wandel durch Handel“ haben viele, auch einige in der Union, weiter geglaubt, während Russland Kriege geführt hat. Da müssen wir selbstkritisch sein. Wir hätten spätestens 2014 ehrlich zu uns sein müssen, dass das billige russische Gas nicht mehr ohne Bedingungen fließen kann. Es wären harte Debatten gewesen, aber wir hätten sie führen müssen.
Sie waren zwei Jahre lang Bundestagsabgeordneter, unter Ihren Augen ist die AfD auch gewachsen. Wie kann eine rechtsextreme Partei in einem demokratischen Parlament sitzen?
In jedem Staat gibt es Menschen, die anderer Meinung sind als die große Mehrheit. In jedem Land gibt es Parteien an den extremen Rändern, das müssen wir akzeptieren. Wenn es sich in einem gewissen Maß bewegt, ist es vielleicht auch ehrlich, wenn Leute sagen: „Ich lehne diesen Staat ab”. Aber wenn eine Partei, die unseren Staat in seiner jetzigen Form zerstören will, über 20 Prozent erhält, in mehreren Bundesländern relevante Sperrminoritäten erreicht und der Einsatz von Richtern und Verfassungsänderungen schwierig ist, wird es zu einem großen Problem. Man muss da selbstkritisch sein – auch meine eigene Partei hat in den letzten zehn Jahren Fehler gemacht. Ein Beispiel: 2014 bin ich erstmals in den Heidelberger Gemeinderat gewählt worden, gleichzeitig mit zwei Stadträten der AfD. Es war üblich, nach der Gemeinderatssitzung sich noch gemeinsam in ein Lokal zu setzen mit allen Parteien, egal ob links oder rechts. Einer der AfD-Stadträte war überhaupt nicht auffällig oder radikal. Ich hatte Hoffnung, ihn für die politische Mitte zurückzugewinnen. Als im Herbst 2015 das Thema Migration weiter emotionalisiert wurde, wollte man ihn nicht mehr dabei haben. Er wurde ausgeschlossen. Diesem Menschen konnte man bei seiner Radikalisierung zusehen, vor allem durch seine Wortmeldungen. Hätten wir damals versucht, trotz aller Probleme und Gegensätze, im Gespräch zu bleiben, wäre es möglicherweise nicht zu dieser starken gesellschaftlichen Spaltung und Stärkung der AfD gekommen. Momentan betrifft das die AfD, aber eigentlich ist die Linke auch eine Protestpartei, die außenpolitisch nahe bei der AfD ist und die Soziale Marktwirtschaft beseitigen möchte. Damit attackiert sie gleich mehrere zentrale Artikel des Grundgesetzes. Die AfD sagt: „An allem sind die Ausländer schuld” und Die Linke sagt: „An allem sind die Reichen schuld”. Beides spaltet. Auch das Versprechen, dass alles gut wird, wenn die Einen verschwinden und die Anderen mit 90 Prozent besteuert werden.Trotzdem müssen wir mit denen im Gespräch bleiben.
Bei der von dem Stura organisierten Podiumsdiskussion fiel die Aussage: „Von den Reichen nehmen und den Armen geben. Holen wir uns das Geld zurück!” Was haben Sie sich dabei gedacht?
Das ist nichts anderes als platter Populismus. Da gibt es natürlich Applaus und ich muss es erstmal so akzeptieren.
Kann das gefährlich sein?
Natürlich, da es Lösungen vorgaukelt, die es so nicht gibt. Dieses Heilsversprechen „Kirmes für alle“ gibt es so nicht. Politik ist Pragmatismus. Bei den Lautesten mit den einfachsten Antworten wäre ich immer extrem skeptisch. Es schafft auch Sündenböcke, in diesem Fall ‚Die Reichen’. Es spaltet.
Was ist an der Forderung nach einem Systemumsturz hin zum Kommunismus oder Anarchismus falsch?
Ich glaube, im Kommunismus gibt es ganz viele Verlierer. Ich finde es ganz lustig, wenn bei historischen Verweisen dieses alberne „Das war ja gar nicht die richtige Form des Sozialismus oder Kommunismus“, kommt. Das ist alles Käse. Ich verstehe den Wunsch nach Gleichheit sehr gut.Aus der historischen Erfahrung hat sich jedoch eine andere Idee bewahrt: Wenn du dich anstrengst, kreativ bist und Leistung bringst, dann kannst du am Ende des Tages sogar ein bisschen mehr als die Anderen haben. Das ist der Treiber von Innovation, Verbesserung der Lebensbedingungen und Wohlstand. Natürlich gibt es auch Menschen, die weniger Erfolg haben oder bei denen etwas schief geht. Um die kümmern wir uns in der sozialen Marktwirtschaft mit einem in Deutschland opulenten Sozialstaat. Der Irrglaube, dass es den Menschen in einem kommunistischen oder sozialistischen Staat besser geht, ist völlig ahistorisch und absurd.
Vor dem Mathematikon stand mit Kreide gemalt: CDU = AfD, im Kontext der von der CDU initiierten parlamentarischen Abstimmung mit der AfD. Berechtigt?
Natürlich nicht. Allein die Haltung gegenüber Staat und Individuum, der Außenpolitik und dem Rechtsstaat – völlig unterschiedlich.
„Es kann uns nicht allen gleich gut gehen!“
Das, was die beiden Parteien dennoch verbindet, ist die Asylpolitik?
Auch da sind wir nicht deckungsgleich. Natürlich wollen wir eine konsequente Asylpolitik und klarmachen, es gibt Voraussetzungen, um hier zu sein und auch um nicht hier zu sein. Die AfD verbindet dies mit einer fürchterlichen Rhetorik. Mit offenem Rassismus. Hass. Sündenbock-Denken. Keiner von der CDU würde sagen: „Wenn wir hunderttausend Asylbewerber weniger haben, ist alles tutti.“ Es ist komplexer.
Ein alternativer Ansatz wäre es, dass alle von ihrem Wohlstand abgeben, damit es uns gleich gut gehen kann.
Es kann uns nicht allen gleich gut gehen, weil die Menschen und Voraussetzungen unterschiedlich sind. Es gibt dabei überhaupt keinen Ansporn: Warum soll sich denn jemand anstrengen, wenn er weiß, dass es nichts bringt und er ohne Einsatz genauso gut leben kann? Es muss Unterschiede geben! Die Aussage auch in unserem Wahlkampf war: Es muss sich für die Leute lohnen, Verantwortung und Risiko zu übernehmen, indem sie vielleicht eine Firma gründen und Arbeitsplätze schaffen. Das kann ja auch schief gehen und dann steht man mit Schulden da – sie müssen am Ende natürlich auch etwas davon haben.
Ist es nicht egoistisch, nur für sich selbst mehr arbeiten zu wollen?
Naja, jeder, der eine Firma hat, schafft Arbeitsplätze, schafft damit auch Wohlstand für die Gesellschaft, bezahlt Steuern und das ist alles für die Gemeinschaft. Wir besteuern die Leute jetzt nicht zu knapp.
Kann man das weiter führen und sagen: Deswegen ist der Realsozialismus zusammengebrochen?
Ja, natürlich. Die DDR war bankrott und wurde schon seit den 80er-Jahren von der BRD am Leben gehalten mit irgendwelchen Krediten. Niemand arbeitet doch „nur für die Anderen“. Das ist eine absurde Vorstellung und kann nicht funktionieren! Man muss zumindest einen Teil dessen, was man durch zusätzlichen Einsatz, Kreativität, und Verantwortungsübernahme einbringt, auch für sich behalten zu dürfen, das ist der Ansporn.
Das Gespräch führte Andreea Surugiu
Mit Unterstützung von Claire Meyers
...beobachtet gerne, schreibt über Menschen und studiert Medizin. Die Welt wird durch das Schreiben kohärenter, ertragbarer, schöner.
...studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit anfangs des Wintersemester 2023/24 für den ruprecht. Besonders interessiert sie sich für Politik, schreibt aber auch gerne über Heidelberg oder kulturelle und gesellschaftliche Themen.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.