Die halbe Welt wählt 2024 – du auch? Am 09. Juni finden die Kommunal- und Europawahlen statt. Gute Gründe für den Gang zur Urne gibt es zur Genüge
El Salvador, Bangladesch und Russland sind durch, Indien ist seit Mitte April dran und Namibia, Georgien und die USA folgen noch. Was klingt wie die Bucket List einer Travel-Influencerin, sind nur einige der Länder, in denen dieses Jahr elektorale Großereignisse stattfanden beziehungsweise noch anstehen.
2024 gilt als Superwahljahr und zeigt deutlich, dass Wahlen nicht nur in demokratischen Systemen eine wichtige Rolle für die Politik spielen. Die Ergebnisse der anstehenden Abstimmungen werden die Weltpolitik der nächsten Jahre maßgeblich beeinflussen – das lässt berechtigte Sorgen aufkommen.
In Indien bahnt sich die Wiederwahl des hindu-nationalistischen Premierministers Narendra Modi an. Seine starken Autokratisierungstendenzen wird er wohl fortführen und die (noch) weltgrößte Demokratie weiter destabilisieren. Für Spannung sorgt ebenfalls die Neuauflage des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs von 2020. Ex-Präsident Trump, der sich aktuell mehreren Strafprozessen stellen muss, duelliert sich im November voraussichtlich mit der 81-jährigen Fauxpas-Maschine Joe Biden.
Auch in Deutschland kommt die aktuelle politische Entwicklung eher hellbraun als rosig daher. Während junge Erwachsene beim Feiern auf Deutschlands teuerster Insel rechtsradikale Parolen grölen, ist die AfD bei der Sonntagsfrage seit fast einem Jahr konstant zweitstärkste Kraft.
Unsere Demokratie steht vor horrenden Herausforderungen, aber es gibt dennoch etwas zu feiern: Am 9. Juni zelebriert nicht nur Johnny Depp seinen 61. Geburtstag, sondern jeder Depp (und auch jede Deppin) bekommt das Geschenk, vom eigenen Wahlrecht Gebrauch machen zu dürfen – und das direkt doppelt. Neben dem Europäischen Parlament werden die baden-württembergischen Gemeinde-, Ortschafts- und Kreisräte neu gewählt.
Das Recht auf allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen eröffnet Wahlberechtigten eine der niederschwelligsten und gleichzeitig mächtigsten Formen politischer Partizipation.
Trotz dieses Privilegs entschieden sich bei den Wahlen vor fünf Jahren jeweils etwa 40 Prozent aller Wahlberechtigten für die Stimmenthaltung.
Wahlfaule Möchtegern-Demokrat:innen sprechen den gewählten Gremien häufig ihre politische Handlungsmacht ab und diffamieren die Europawahl als Nebenwahl. Ein Trugschluss, denn das Europaparlament stimmt nicht nur über viele Gesetze ab, die langfristig unseren nationalen Politikalltag prägen, sondern verfügt seit dem Vertrag von Lissabon auch über weitgehende Kompetenzen bei der Haushaltsplanung der Europäischen Union und der Besetzung der Kommissionspräsidentschaft.
Noch direkteren Einfluss auf die Lebenswelt der Menschen üben politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene aus. Wer will, dass die eigenen Anliegen angemessen vertreten werden, muss wählen gehen. Denn die Interessen von Nicht-Wähler:innen werden logischerweise nicht vertreten.
Auch selbsternannte politisch „Meinungslose“ sollten ihr Wahlrecht nutzen, wenn sie an der Persistenz unserer demokratischen Grundordnung interessiert sind.
Im Kampf gegen Populismus und Extremismus ist das einfachste und effektivste Mittel die Stimmabgabe für eine demokratische Partei, egal ob auf kommunaler oder europäischer Ebene. Also ab an die Urne, denn das „h“ in Wahl ist ebenso wenig stimmlos wie du!
Nur eine Frage bleibt: Wen soll man bloß wählen? Mark Twain befand: „Es ist schon ein großer Trost bei Wahlen, dass von mehreren Kandidaten immer nur einer gewählt werden kann.“ Denkste! Vor 150 Jahren vielleicht. Mittlerweile dürfen Heidelberger:innen auf ihrem Kommunalwahlzettel bis zu 48 Stimmen abgeben. Wer da noch durchsieht, nimmt wahrscheinlich gerade ein Urlaubssemester für individuelle Kommunalwahlstudien. Für alle anderen bringt diese Ausgabe, mit ganz vielen Artikeln rund um das Thema Wahlen, hoffentlich ein wenig Licht ins Dunkle der Wahlkabine. Viel Spaß beim Lesen.
Von Robert Trenkmann
Till Gonser studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.