Nordamerika ist mehr als nur die USA. Die Geschäftsführerin der kanadischen Botschaft Evelyne Coulombe spricht über Forschung, Demokratie und Diversität.
Als chargé d’affaires in der kanadischen Botschaft hat Evelyne Coulombe gerade alle Hände voll zu tun. Zwischen G7, Neuwahlen und dem Zollchaos Trumps hat sie sich dennoch die Zeit genommen, um die Eröffnungsrede des Heidelberger Symposiums zu halten – und dem ruprecht ein paar Fragen zu beantworten.
Frau Coulombe, wie haben Sie Heidelberg und das Symposium bis jetzt erlebt?
Mich hat der herzliche Empfang auf dem Heidelberger Symposium beeindruckt. Heidelberg ist eine sehr schöne Stadt mit langer Geschichte. Es ist etwas ganz Besonderes, an einem so historischen Ort wie einer Universität, die im 14. Jahrhundert gegründet wurde, zu sprechen und mit den Menschen hier in einen Austausch kommen zu können.
Zwischen G7 Vorbereitungen und dem 28. Deutsch-Kanadischen Kongress haben Sie heute auf einem Studierenden-Kongress gesprochen. Wie kam es dazu?
Wir haben in der Botschaft gemerkt, dass wir viel Kontakt mit Politikern haben, mit Unternehmen, Akademikern und Forschern. Aber eben nicht so viel mit jungen Menschen. Uns wurde klar, dass wir mehr direkte Gespräche mit ihnen führen wollen. Als ich dann die Einladung zum Symposium erhielt, dachte ich, dass dies eine perfekte Gelegenheit dafür wäre.
Wie können deutsche und kanadische Studierende von gestärkten Beziehungen der beiden Länder profitieren?
Wenn unsere Länder gut zusammenarbeiten, entstehen mehr Möglichkeiten für Austausch, sei es an Universitäten oder über Programme für Schüler, die nach Kanada gehen, um Englisch oder Französisch zu lernen. Wenn Handel und Investitionen wachsen, können junge Menschen auch einfacher Praktika oder Arbeitsverträge in beiden Ländern bekommen. So kann man Neues lernen und sehen, wie Länder Dinge anders gestalten und das macht einen zu einer flexibleren und verständnisvollen Person.
In welchen akademischen Bereichen sehen Sie derzeit das größte Potenzial für deutsch-kanadische Beziehungen?
Ich sehe besonders im digitalen Bereich und in der Nachhaltigkeit großes Potenzial für die deutsch-kanadische Zusammenarbeit. Kanada ist führend bei KI und Quantenphysik, aber auch bei der Forschung zu umweltschonenden Technologien. Als Energie-Supermacht mit Vorkommen an seltenen Erden kann Kanada hier wichtige Impulse geben. Diese Wachstumsfelder sind auch im akademischen Austausch besonders vielversprechend.In beiden Ländern haben kürzlich Wahlen stattgefunden.
Welche Herausforderungen werden auf die neuen Regierungen zukommen?
Es gibt viele Herausforderungen im wirtschaftlichen Bereich und vor allem in der Verteidigung. Beide Regierungen wollen hier zusammenarbeiten. Und es gibt vieles, was wir tun können, um die Handels- und Investitionsbeziehungen zu vertiefen. Gerade angesichts der Bedrohung durch den Krieg in der Ukraine ist auch die sicherheitspolitische Kooperation wichtiger denn je. Indem wir konkrete Ergebnisse für die Bürger liefern, können wir auch unsere Demokratie unterstützen, das sehen beide Regierungen als Priorität. Wir können zusammenarbeiten, um multilaterale Institutionen zu stärken und Desinformation zu bekämpfen.
Was bedeuten die Zollpolitik der USA unter Trump für Kanada und seine Beziehung zu Deutschland?
Die Veränderungen in der US-Handelspolitik haben uns und den EU-Ländern gezeigt, dass wir unsere Handelsbeziehungen diversifizieren müssen. Die aktuelle Lage macht deutlich, dass wir unsere transatlantische Zusammenarbeit stärken müssen, um nicht mehr abhängig von den USA zu sein. Es zeigt auch den Deutschen, dass zu Nordamerika nicht nur die USA gehören, sondern auch Kanada, das scheint manchmal etwas unter den Tisch zu fallen.In Ihrem Vortrag erwähnten Sie die Geschlechterparität im kanadischen Kabinett.
Wie wichtig ist Diversität für Sie?
Ich glaube wirklich, dass Vielfalt und Integration wichtig sind. Unser Premierminister hat mit einem geschlechterparitätischen Kabinett ein wichtiges Signal gesetzt, da es sicherstellt, dass die Regierungsführung die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegelt, der sie dient. Es bringt ein breiteres Spektrum an Perspektiven in die Politikgestaltung ein, was zu inklusiveren und effektiveren Entscheidungen führen kann. Darüber hinaus signalisiert es ein starkes Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter und kann junge Menschen wie Sie inspirieren.
Mit welchen Herausforderungen und Aufgaben sehen Sie sich in Ihrer Arbeit als chargé d’affairs konfrontiert?
Als ich meine Arbeit an der kanadischen Botschaft in Berlin begann, war John Horgan noch Botschafter. Nachdem er im Juni vergangenen Jahres schwer erkrankte, wurde ich zur Geschäftsträgerin ernannt. Das war eine große persönliche und berufliche Herausforderung. Inmitten der Trauer musste ich schnell Verantwortung übernehmen. Das vergangene Jahr war intensiv, aber auch lehrreich. Trotz aller Schwierigkeiten liebe ich diesen Job sehr und durfte viel Neues lernen.
Das Gespräch führten und übersetzten Pauline Ammon und Pauline Zürbes
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.