Der Frauennotruf Heidelberg setzt sich seit 1978 für sexuelle Selbstbestimmung von Frauen* und Mädchen* ein. Für Opfer von sexualisierter Gewalt ist der Verein eine der wichtigsten Anlaufstellen. Meike Geider ist Teil des Teams. Mit dem ruprecht spricht sie über Prävention an Schulen, den Umgang mit Betroffenen und warum finanzielle Kürzungen durch die Stadt für den Verein schwerwiegende Folgen hätten
Wer bist du?
Ich bin Meike Geider, 28 Jahre alt und habe vor zwei Jahren in Heidelberg meinen Master in Soziologie abgeschlossen. Beim Frauennotruf engagiere ich mich seit über fünf Jahren. Ursprünglich habe ich als Werkstudentin angefangen, mittlerweile arbeite ich hauptberuflich als Fachkraft für Prävention und Intervention bei sexuellem Missbrauch.
Wie bist du zum Frauennotruf gekommen?
Wir leben in patriarchalen Strukturen, natürlich habe auch ich schon mit Sexismus oder sexualisierter Gewalt Erfahrungen gemacht. Für mich als Frau war das also schon immer ein Thema. Auch feministisches Engagement lag mir immer am Herzen. Im Rahmen meines Studiums habe ich dann an einem Seminar über Kriminalsoziologie teilgenommen. Dort habe ich gemerkt, dass mich Gewaltstrukturen sehr interessieren.
Worin besteht deine Arbeit beim Frauennotruf?
Unsere Schwerpunkte beim Frauennotruf sind Prävention und Beratung. Einige Kolleginnen von mir unterstützen Personen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, ich selbst organisiere Präventionsprogramme für Minta* (Mädchen, Inter-, Nichtbinäre, Trans- und Agender-Jugendliche). Dafür gehe ich an Schulen und mache dort entweder Workshops für *Minta* oder informiere bei Elternabenden. Dazu kommt dann noch die Entwicklung neuer Konzepte. Uns ist wichtig, dass die Beispielsituationen für sexualisierte Gewalt, die wir in unseren Workshops vorstellen, vielfältiger werden. Zu meinen Aufgaben gehört außerdem die Vernetzung mit anderen Heidelberger Vereinen, die sich in der Jugendarbeit engagieren, zum Beispiel über Instagram-Beiträge oder Informationskampagnen.
Wie sehen die Workshops in den Schulen aus?
Das kommt ganz darauf an, was die Schulen bei uns buchen. Mit einigen Schulen haben wir feste Kooperationen, dort bieten wir regelmäßig Workshops, meist ab Klasse acht, an. Zu Beginn der Workshops teilen wir die Klassen immer auf: Wir übernehmen die Mädchen, die Organisation „Fairman“ übernimmt die Jungen. Wer sich keinem dieser Geschlechter zuordnet, darf die Gruppe selbst wählen. Dieser Ansatz ist uns wichtig, da auch sexualisierte Gewalt geschlechterspezifisch ist. Inhaltlich geht es dann um zwischenmenschliche Beziehungen, mögliche Handlungsstrategien und darum, Grenzen zu setzen. Wir besprechen, an wen die Jugendlichen sich in Fällen sexualisierter Gewalt wenden könnten, ob in der Schule oder zu Hause. Wichtige Themen sind auch Schuld und Scham. Viele Betroffene sexueller Gewalt denken, sie hätten klarer „Nein“ sagen müssen. Deshalb vermitteln wir schon den Schüler:innen, dass ein solches „Nein“ in verschiedenem Formen geäußert werden kann. All das thematisieren wir durch viele interaktive Übungen, wie etwa der „Gewaltlinie“. Dort reflektieren die Jugendlichen, was sie als sexualisierte Gewalt empfinden.
Wie werden eure Workshops von den Schüler:innen angenommen?
Die Workshops kommen sehr gut an. Wir arbeiten auf Augenhöhe mit den Schüler:innen und versuchen, einen vertrauensvollen Umgang zu erreichen. Die Jugendlichen dürfen uns duzen und jederzeit den Raum verlassen, natürlich unter den Voraussetzungen der Aufsichtspflicht. Das ist insbesondere deshalb wichtig, da wir aus Statistiken wissen, dass im Durchschnitt ein bis zwei Schüler:innen pro Klasse von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Für sie kann so ein Workshop natürlich belastend sein.
Kommt es vor, dass Jugendliche nach den Workshops mit persönlichen Geschichten zu euch kommen?
Wir sind in den Workshops immer zu zweit. Dadurch geben wir den Jugendlichen die Möglichkeit, mit einer von uns beiden unter vier Augen zu reden. Dieses Gespräch suchen Schüler:innen auch öfter. Um ihnen auch die Beratungen niedrigschwellig zugänglich zu machen, bieten wir seit ein paar Jahren zusätzlich Minta*-Sprechstunden an. Dafür kommt eine Workshopleiterin von uns regelmäßig an die Schulen und bietet eine offene Jugendsprechstunde während der Schulzeit an. Dabei muss es dann gar nicht explizit um sexualisierte Gewalt gehen. Schüler:innen können auch zu uns kommen, wenn sie gerade jemanden zum Reden brauchen.
„Gewaltschutz ist kein ‚nice to have‘, sondern lebensnotwendig“
Ihr seid teilweise mit schweren Schicksalen konfrontiert. Wie geht ihr damit um?
Dafür haben wir alle unterschiedliche Strategien. Ganz allgemein ist Selbstfürsorge und sich selbst Grenzen zu setzen sehr wichtig. Zum Beispiel, indem man die Erfahrungen ganz bewusst am Arbeitsplatz lässt. Was immer super hilfreich ist, sind Gespräche mit Kolleginnen. Und wir haben regelmäßige Supervisionen, in denen wir Fälle gemeinsam besprechen können. Trotzdem bleibt der Umgang mit vielen Schicksalen schwer. Mir fällt das insbesondere bei Jugendlichen nochmals besonders schwer. Gerade, weil die jungen Betroffenen häufig noch weniger Möglichkeiten als Erwachsene haben, um sich aus einem gewalttätigen Umfeld zu befreien. Besonders belastend sind zum Beispiel Fälle sexualisierter Gewalt innerhalb der Familie, in denen man weiß, dass das Mädchen aus Liebe zu ihren Eltern eigentlich nicht zur Polizei gehen möchte. Sowas nimmt einen immer sehr mit.
Neben den Bildungsangeboten seid ihr vor allem eine Beratungsstelle …
Der Frauennotruf berät Frauen und Minta*-Personen ab dem Alter von 14 Jahren telefonisch, per E-Mail oder vor Ort – je nach Bedarf. In akuten Krisen, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung, geht es zunächst um die Stabilisierung Betroffener. Andere kommen mit Erfahrungen aus der Kindheit oder benötigen Hilfe bei Anträgen oder juristischen Fragen. Manche möchten wissen, ob eine Anzeige sinnvoll ist oder wie ein Gerichtsprozess abläuft. In den Gesprächen wird individuell geschaut, was die betroffene Person braucht und gegebenenfalls findet dann eine Vermittlung an weitere Stellen statt. Für manche ist ein einmaliges Gespräch ausreichend, andere brauchen mehr Zeit. Über die Tat zu sprechen ist keine Voraussetzung. Im Zentrum steht, dass die Person wieder selbstbestimmt leben kann.
Gibt es auch Betroffene, die immer wieder zu Euch kommen?
Ja, das kommt häufig vor. Wer eine intensive, regelmäßige Therapie benötigt, wird möglichst weitervermittelt. Angesichts knapper Therapieplätze kann das natürlich eine ganze Weile dauern. Wir lassen Betroffene in dieser Zeit aber nicht allein: Bei Bedarf sind auch fortlaufende Termine, etwa in einem zweiwöchigen Rhythmus, möglich. Es gibt keine festbegrenzte Anzahl an Gesprächsterminen, die Häufigkeit richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Manche kommen nur wenige Male, andere über Jahre hinweg in unregelmäßigen Abständen. Oft kommen die Betroffenen auch lieber zu uns, da wir die Fachexpertise zu dem Thema geschlechtsspezifische sexualisierte Gewalt haben und eine klare feministische Haltung vertreten.
Wie wirkt sich die aktuelle Haushaltslage Heidelbergs auf die Finanzierung des Frauennotrufs aus?
Wir werden finanziell von der Stadt Heidelberg gefördert. Durch Fortbildungen für Institutionen und Unternehmen erzielen wir aber auch eigene Einnahmen. Die Kürzungen, wie sie im Heidelberger Haushaltentwurf (vgl. ruprecht Nr. 214) zur Debatte standen, zum Beispiel am Etat des Amts für Chancengleichheit, hätten große Einschnitte in unsere Finanzierung bedeutet. Wir haben viel gekämpft, um das alles abzuwehren, und unter anderem eine Kundgebung veranstaltet. Es ist natürlich frustrierend, dass wir ständig für offensichtliche Notwendigkeiten kämpfen müssen. Das ist besonders bitter, weil unsere Finanzierung jetzt schon knapp ist. Der Bedarf nach Beratungen und Fortbildungen ist höher als das, was wir leisten können. Die fachliche Expertise haben wir, aber ohne zusätzliche Finanzierung wird es unter anderem für Beratungen Wartelisten geben. Das wollen wir um jeden Preis vermeiden. Es ist wichtig, dass der Gesellschaft bewusst wird, dass Gewaltschutz kein „nice to have“, sondern lebensnotwendig ist.
Wie könnte man eure Arbeit in dieser Lage unterstützen?
Gerade in Zeiten, in denen wir stark um die Anerkennung und Finanzierung für unsere Arbeit kämpfen müssen, ist öffentliche Aufmerksamkeit entscheidend. Bürger:innen können sich an die Stadt wenden, direkt Gemeinderät:innen ansprechen oder sich bei Demonstrationen beteiligen. Außerdem kann man sich bei uns ehrenamtlich engagieren. Dafür gibt es zunächst eine Grundschulung, in der es darum geht, was Gewaltschutz und sexualisierte Gewalt überhaupt sind und wie man mit Betroffenen umgeht. Danach können eigenverantwortlich Treffen vereinbart oder Aktionen geplant werden.
Was würdest du Betroffenen raten?
Wichtig ist, sich jemandem anzuvertrauen, egal ob Freund:innen, Eltern, einer Lehrkraft oder eben uns, dem Frauennotruf. Unsere Beratung ist anonym, niedrigschwellig und kostenlos. Es gibt keine Verpflichtungen. Ihr könnt jederzeit gehen oder auch einfach nur zum Kennenlernen kommen. Wichtig ist: Holt euch Hilfe, ihr seid nicht allein!
Und an alle anderen: Glaubt Betroffenen von sexualisierter Gewalt und unterstützt sie auf ihrem Weg. Zeigt Haltung gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung aller!
Das Gespräch führten Luna Nebija und Pauline Zürbes
...schreibt seit Wintersemester 2023/24 für den ruprecht – am liebsten über das, was Studierende und Heidelberg gerade bewegt.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.









