Grüne Gentechnik hat längst nichts mehr mit Science-Fiction zu tun. Wir klären, wie Bio-Modifikationen funktionieren
Wer beim Wocheneinkauf schon mal näher auf Milchprodukte, Fleisch oder Gemüse geschaut hat, sollte ein bestimmtes Siegel vielleicht kennen: Eine grüne Raute mit der Inschrift „Ohne Gentechnik“. Für Ottonormalverbrauchende dürfte der Begriff Gentechnik recht vage sein. Hat man jetzt ein richtiges Naturprodukt in den Händen und was genau ist Gentechnik?
Gentechnik im Kontext von Ernährung bezieht sich oft auf die sogenannte „Grüne Gentechnik“, also Verfahren, bei denen gezielt Gene ins Erbgut von Pflanzen eingeführt werden. Modifizierte Pflanzen produzieren im besten Falle in ihrer Nachfolgerschaft Pflanzen mit neuen Merkmalen und/oder Fähigkeiten. In der Regel hat man es auf Schädlingsresistenz, verstärkte Resilienz gegenüber Umweltbedingungen und auch auf höhere Erträge abgesehen. Für die Durchführung der gentechnischen Modifikation gibt es verschiedene Methoden.
Verbreitet ist der Einsatz des Bakteriums A. tumefaciens. Das Bodenbakterium löst bei Pflanzen tumorale Wüchse aus, indem es das eigene Genom in das pflanzliche Erbgut einschleust . Entnimmt man dem Bakterium sein pathogenes Potential, so kann man sich diesen Mechanismus zunutze machen und gewünschte Gene in Pflanzen einbringen.
Eine noch präzisere Methode ist das Genediting-Verfahren per Genschere CRISPR/Cas9. Darunter versteht man ein biotechnologisches Werkzeug. Sein Ursprung ist ein natürlicher Abwehrmechanismus von Bakterien gegen Viren. Das Prinzip funktioniert folgendermaßen: Eine sogenannte Leit-RNA führt das Schneideprotein Cas9 an eine bestimmte Stelle im Genom und erlaubt die Modifikation. Diese Leit-RNA dient also als eine Art Vorlage für die Schnittstelle und kann im Labor gezielt ausgewählt werden. Erzielte Veränderungen können ganz verschieden aussehen. Es können lediglich ein einziger Baustein aus einer millionenlangen Sequenz, oder ganze Gene ein- oder ausgeschleust werden.
Die Geschichte der Gentechnik bei Pflanzen hatte ihre Anfänge zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Entdeckung von A. tumefaciens. In den 1980er Jahren kam es zu einem Boom dieses Forschungsfeldes und Anfang der Neunziger kamen die ersten kommerziell erhältlichen Pflanzen mit verändertem Erbgut auf den Markt: Tomaten, die besonders lange frisch bleiben sollten. Schnell kristallisierte sich der Wert für die Herstellung von robusteren Agrarprodukten heraus. Auch im Hinblick auf den Klimawandel stellte die Gentechnik eine Hoffnung für die globale Ernährungssicherheit dar. Tatsächlich entstand aus der Grünen Gentechnik eine ganze Industrie und das nicht nur für die Agrarwirtschaft.
Auch die Pharmaindustrie orientiert sich in Teilen an Pflanzenwissenschaften. In Kanada wird ein Corona-Impfstoff in Pflanzenzellen hergestellt. In den USA wird Gentechnik bei Nutzpflanzen in großem Maße betrieben. Bei Mais, Soja und Baumwolle liegt der Anteil aktuell zwischen 94 und 96 Prozent. In der EU wird, mit Ausnahme von Spanien und Teilen Portugals, überhaupt keine Gentechnik auf Feldern eingesetzt. Theoretisch wäre der Anbau ausgewählter Pflanzen EU-rechtlich möglich. Aufgrund von legislativen Hürden und einer zum Teil starken Ablehnung der Bevölkerung erreichten Initiativen der Grünen Gentechnik jedoch kaum Fortschritte.
Denn: Für die kommerzielle Nutzung braucht es vorangehende sogenannte Freisetzungs-Experimente. Diese wurden überall in Europa Opfer von Vandalismus. Beispielhaft dafür ist der „Petunienkrieg“ von 1997, bei dem im Botanischen Garten Bochum Petunien mit einer künstlich erstellten Blütenfarbe von Besuchenden gezielt zerstört wurden.
Dr. Roland Gromes von der Biologischen Fakultät der Uni Heidelberg erläutert, dass es klare Interessenverbände gibt, die strikt gegen Grüne Gentechnik sind. Dass die Opposition „wirklich in der Breite und in der Heftigkeit in der Bevölkerung verankert ist, in der es gerne berichtet wird“, wagt er jedoch anzuzweifeln. Auf die Frage, ob es für Biodiversität und Umwelt wissenschaftlich erwiesene Bedenken durch modifizierte Pflanzen gebe, kann er klar mit Nein antworten. Gentechnisch herbeigeführte Mutationen ließen sich genetisch gesehen teilweise nicht von traditioneller Züchtung unterscheiden.
Dass es bei uns keine Produkte aus gentechnischer Herstellung gibt, stimmt allerdings nicht. Gentechnik ist in der Medizin fest etabliert und jede:r, der:die schon mal Vitamine zu sich genommen, oder einen Schnelltest gemacht hat, ist damit in Kontakt gekommen. Auch die europäische Viehindustrie ist stark von Gentechnik abhängig. Genmodifizierte Pflanzenerzeugnisse werden in großen Mengen, hauptsächlich aus den USA, importiert. Die jährliche Menge beträgt allein bei Sojabohnen und Sojaschrot etwa 30 Millionen Tonnen. Werden gentechnisch modifizierte Pflanzen als Futtermittel eingesetzt, muss man dies bei Fleisch auch nicht kennzeichnen, solange das Tier einige Monate vor dem Schlachten anders gefüttert wird. Ähnlich ist es bei Milch. Gerade beim Import könnte eine Lockerung der Gesetzeslage für die eigene Produktion mehr Mitbestimmungsrecht und Übersicht bringen. Dies bestätigt auch Dr. Gromes. „Beim EU eigenen Anbau könnten wir mehr Einfluss darauf ausüben, welche Eigenschaften wir haben wollen. Diesen geben wir aktuell komplett auf.“
Gentechnik bleibt ein kontroverses Thema. Den meisten Menschen liegt wahrscheinlich das Gleiche am Herzen: Ernährungssicherheit und ein umweltschonender Ressourcenumgang. Es gilt, Vor- und Nachteile unserer aktuellen Agrarwirtschaft mit einer potentiellen gentechnikfreundlicheren Alternative zu vergleichen. Wollen wir auf dem beharren, was wir kennen, oder doch einen Schritt weiter wagen?
Von Elena Lagodny
...studiert Biowissenschaften, schreibt seit WS 2023 für den Ruprecht und nutzt Interviews als Grund um mit interessanten Leuten zu reden