Wie wichtig Strom ist, merkt man erst, wenn er weg ist. Auf der Iberischen Halbinsel ist er Ende April stundenlang ausgefallen. Auch unsere Autorin war betroffen
Am 28. April fällt in weiten Teilen Spaniens und Portugals der Strom aus. Züge stehen, Mobilfunknetze sind nicht erreichbar, Bankautomaten funktionieren nicht mehr. Auch Anabelle, Medizinstudentin aus Heidelberg, die ihr Auslandssemester in Madrid verbringt, saß, als die Sonne unterging, mit im Dunkeln. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen vor Ort.
13 Uhr: In der Nationalbank brennt noch Licht.
Mit meinen fünf Prozent Rest-Akku auf dem Tablet sitze ich in der Bibliothek der Nationalbank Spaniens. Ausnahmsweise habe ich an mein Ladekabel gedacht, doch laden lässt sich nichts. Meine Mitbewohnerin, die gegenüber von mir sitzt, meint, dass bei ihren Eltern in Valencia der Strom weg ist und auch weite Teile Spaniens, Portugals, Frankreichs und Italiens betroffen seien. In WhatsApp-Gruppen wird gefragt: „Habt ihr Licht?“ Und jetzt? Ich schreibe einem Freund, Marcos, wir verabreden, dass er zu mir kommt.
14:20 Uhr: Chaos auf den Straßen, auf der Suche nach Verbindlichkeit
Als ich das Gebäude verlasse, realisiere ich das Ausmaß des Geschehens. Die sonst schon überfüllten Straßen, chaotisch. Die Ampeln sind ausgefallen und jeder läuft oder fährt, wie es eben möglich ist. Ich versuche, Marcos zu erreichen, kein Netz. Ich bekomme leichte Angst. Jetzt merke ich, wie selbstverständlich ich mich darauf verlasse, ständig erreichbar zu sein. Wir schreiben vage Nachrichten für Treffen, die nie zustandekommen oder verabschieden uns schnell mit den Worten: „Ich melde mich bei dir.“ Jetzt wünsche ich mir vor allem Verbindlichkeit. Ich laufe zurück zur Nationalbank, der einzige Ort, an dem ich noch WLAN habe, und schreibe so eindeutig wie möglich: „Wir treffen uns vor meiner Haustüre.“ Als wir uns dort finden, umarmen wir uns ein wenig länger als sonst. Auf der Straße treffe ich zufällig meine Mitbewohner:innen, so komplett versammelt waren wir schon lange nicht mehr. Alle versuchen hektisch, ihre Familien zu erreichen. Mein Handy hat mittlerweile noch etwa 50 Prozent Akku. Wie lange muss das noch reichen?
15 Uhr: Neue Freunde in der Pizzaschlange
Ich habe richtig Hunger. Kochen ist nicht möglich und der Supermarkt ist aus Sicherheitsgründen geschlossen. Aus einem kleinen Laden trägt ein Mann literweise Milch. Die Pizzeria mit Steinofen um die Ecke ist, zum Glück, weiterhin geöffnet. Wir reihen uns in die meterlange Schlange ein. Schnell kommen wir ins Gespräch mit einem Ehepaar aus Australien, das heute in Madrid gelandet ist, sowie einem jungen Mann aus Jordanien. Er wartet verzweifelt auf ein Lebenszeichen von seinem Freund, der womöglich noch am Flughafen festsitzt. „Herzlich Willkommen“, denke ich mir. Wir teilen Käsechips und er erzählt von seinen Erfahrungen beim Militär. „Nach drei verschwendeten Jahren wollte ich endlich anfangen zu leben. Also habe ich meine Firma gegründet, statt zu studieren.“ Fast vergesse ich, was gerade los ist. Wir spekulieren über mögliche Ursachen des Ausfalls. „Das waren die Russen oder die Chinesen“, ist sich der Australier sicher. Nach gut einer Stunde und ordentlich Hunger sind wir an der Reihe. Zur Sicherheit bestelle ich zwei Pizzen. Kartenzahlung wird natürlich nicht akzeptiert. Danke Oma, für das bare Geburtstagsgeld. Den jungen Mann lade ich ein, er hat kein Bargeld. Falls er das hier liest: Ich warte noch auf die Paypal- Überweisung. Der Pizzeria-Betreiber kündigt an, keine neuen Bestellungen anzunehmen. Mit leicht schlechtem Gewissen laufe ich mit meinen zwei Kartons an der Schlange vorbei. Wie lange muss mein Vorrat reichen?
17 Uhr: Endlich Zeit zum Memory spielen
Wir machen uns auf den Weg nach Hause. Am Ende der Straße wird ein Mann von der Feuerwehr gerettet, der beim Fensterputzen außen an der Fassade stecken geblieben ist. Wie viele Menschen wohl in Aufzügen festsitzen? Später lese ich, dass 5000 Notrufe und 370 Feuerwehr-Einsätze im Verlauf des Tages in Madrid registriert wurden. In sonst leeren Seitenstraßen sitzen Menschen um eine Radioantenne. Zwei Kinder fragen mich vom Balkon aus, wie lange es noch dauert, bis der Strom wieder da ist, in einem dunklen Fitnessstudio trainieren Menschen stoisch weiter. Plötzlich haben wir Zeit. Keine Nachrichten, die beantwortet werden müssen, keine Arbeit, die wartet. Ich lege die Vorrats-Pizza unter mein Bett und wir spielen Memory. Als Marcos geht, verabreden wir uns für morgen 13 Uhr vor meiner Haustür, die Klingel funktioniert selbstverständlich nicht. Wir werden verbindlich.20:10 Uhr: Mama, alles ist gutIch laufe noch einmal raus auf die Hauptstraße. Mittlerweile regeln Polizisten per Handzeichen den Verkehr, die großen Werbeanzeigen sind verstummt. Die Metro ist außer Betrieb und vor der Bushaltestelle bildet sich eine 200 Meter lange Schlange. Menschen blicken suchend umher, manche neugierig, andere weinend. Kaum einer schaut mehr auf sein Handy. So leicht wie heute, bin ich schon lange nicht mehr mit Menschen ins Gespräch gekommen. Ich suche einen Ort, an dem ich vielleicht noch Netz bekommen könnte, und ich erreiche für wenige Minuten meine Mama. Plötzlich gehen in der Hauptstraße die Laternen an. Es ist kurz vor 21 Uhr. Die Menge klatscht.
21:20 Uhr: Lauwarme Nudeln im Kerzenschein
Als ich in mein Viertel zurückkomme, ist es immer noch dunkel. Zu Hause sitzen meine Mitbewohner:innen im Kerzenschein am Esstisch. Es ist noch nicht ganz vorbei. Ich hole meine alten kalten Nudeln vom Vortag aus dem mittlerweile lauwarmen Kühlschrank. In dieser Nacht schließen wir auch das zweite Schloss unserer Haustür, zur Sicherheit, mal eben die Polizei rufen wird heute nicht möglich sein. Zu dritt sitzen wir auf dem Sofa. „Stellst du dir einen Wecker für morgen?“, frage ich meine Mitbewohnerin. Was für eine Frage, ihr Handy hat mittlerweile gar keinen Akku mehr. „Die Sonne wird mich wecken“, meint sie nur und wir lachen. Im Kerzenschein schreibe ich (wie romantisch) und gehe früher zu Bett als sonst.23:10 Uhr: Es werde Licht Gegen 23 Uhr, nach zehn Stunden „Blackout“, wird mein Zimmer plötzlich beleuchtet. Jubel klingt durch mein Fenster. Wir sind zurück. Ich schlafe ein.29. April: Der nächste MorgenAm nächsten Morgen versichere ich mich erstmal, dass meine Uni-Kurse auch wirklich ausfallen. Die Busse fahren, während auf die Metro noch gewartet wird. Die eine Pizza liegt noch unter meinem Bett und Marcos vergleicht Preise für ein Radio: „In Zukunft will ich vorbereitet sein.“ Bis dato ist nicht abschließend geklärt, warum der Strom ausgefallen ist.
Von Anabelle Kachel
Ist Heidelberg auf Stromausfälle vorbereitet?
Besteht auch in Deutschland die Gefahr eines stundenlangen Blackouts? Zuerst einmal: Das deutsche Stromnetz ist deutlich sicherer als das der iberischen Halbinsel. Ganz ausgeschlossen werden kann ein Stromausfall, zum Beispiel durch einen Cyberangriff, aber nie. In Deutschland sind die Kommunen für den Katastrophenschutz verantwortlich, dazu zählt auch der Umgang mit Blackouts. Christine Beister arbeitet für die Stadt Heidelberg. Sie betont die Stabilität des Heidelberger Netzes. „Heidelberg nimmt einen Spitzenplatz in der Sicherheit der Stromversorgung ein.“ Pro Letzt- verbraucher:in habe es in Heidelberg im letzten Jahr lediglich 6,89 Minuten Stromunterbrechung gegeben, bundesweit waren es 12,2 Minuten. Gänzlich könne aber auch in Heidelberg ein Stromausfall nicht ausgeschlossen werden. Für den Ernstfall prüft die Stadt deswegen die Resilienz Heidelbergs gegenüber Blackouts. Eine mögliche Maßnahme um diese zu steigern, könnten physische Notfallmeldestellen in den Stadtteilen sein. An diesen könnten Bürger:innen weiterhin Notfälle, zum Beispiel medizinischer Art, melden. Eine vollumfassende Hilfe in allen Bereichen sei aber einfach nicht möglich. Am wichtigsten sei deswegen der Selbstschutz, betont Beister. „So trägt jeder dazu bei, dass sich die Hilfsorganisationen auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und die notwendige Hilfe leisten können.“
Auf der Website des Katastrophenschutzes Heidelberg kann sich jede:r über notwendige Maßnahmen informieren. Wie auch Anabelle in Madrid festgestellt hat, sind für den ersten Moment Dinge wie Bargeld, Kerzen und Taschenlampen nützlich. Außerdem sollten Vorräte an Lebensmittel, Wasser und Medikamente für mindestens drei Tage in der WG-Küche vorhanden sein. Beister betont: „Vorsorge ist ein wichtiger Beitrag zur eigenen Sicherheit und damit letztlich zur Sicherheit aller in Krisensituationen.“
Von Marei Karlitschek
...studiert Humanmedizin und schreibt seit März 2021 für den „ruprecht“. Während im Studium die funktionellen Zusammenhänge des menschlichen Körpers im Vordergrund stehen, fasziniert sie bei ihrer Arbeit als Redakteurin der Mensch in seiner Gesamtheit. Besonders gerne tritt sie direkt mit den Menschen in Kontakt und interessiert sich für Einblicke in ihre Lebensrealitäten und Ansichten. So führte sie zahlreiche Interviews, zum Beispiel mit dem Comedian Florian Schroeder oder dem Lokalpolitiker Sören Michelsburg.
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte. Sie ist seit April 2024 beim ruprecht und schreibt für alle Ressorts, die sie in die Finger kriegt.
...studiert seit dem WiSe 2021 im Bachelor in Geschichte und Religionswissenschaft – beim ruprecht ist sie seit Studienbeginn, hat zwischendurch Hochschule mitgeleitet und ist zurzeit im Layout-Team. Bei Gelegenheit produziert sie auch Illustrationen für Artikel und schreibt am liebsten über Medien und internationale Themen.