Heidelberger Studierende zahlen dem Studierendenrat 900.000 Euro im Jahr. Trotzdem wissen die meisten nicht, was er ist und was er macht. Gewählt haben ihn dieses Jahr nur elf Prozent. Hier läuft eindeutig etwas schief.
„Ich hatte tatsächlich bessere Dinge zu tun, als auf den Link zum Wählen zu klicken“, antwortet Democritus* auf die Frage, warum er an den diesjährigen Wahlen des Studierendenrats (Stura) nicht teilgenommen hat. So wie ihm geht es anscheinend vielen. Die Wahlbeteiligung lag laut offizieller Bekanntmachung bei mageren 11,29 Prozent – noch weniger als im Sommersemester 2024. Da waren es 12,62 Prozent der Wahlberechtigten. Dabei stellt der Stura das Hauptorgan der sogenannten Verfassten Studierendenschaft dar, was laut Stura-Webseite die „gewählte Vertretung der Studierenden“ (VS) bezeichnet. Etwa 450.000 Euro zahlen wir der VS pro Semester durch unsere Semesterbeiträge, also 900.000 Euro pro Jahr. Damit wird unter anderem der günstige VRNnextbike-Tarif und die Theaterflatrate finanziert. Auch wenn das Kulturreferat der VS sich um das Aufrechterhalten solcher und Vereinbarung neuer Flatrates kümmert, so hat doch der Stura das letzte Wort. Heißt also: Dieses Gremium hat einen unmittelbaren Einfluss auf unser studentisches Leben und kulturelles Angebot. Außerdem stellt das Land Baden-Württemberg der Heidelberger VS jährlich etwa 1,8 Millionen an Qualitätssicherungsmitteln (QSM) zur Verfügung, damit die Lehre und das Studium verbessert werden. Gemeinsam mit dem QSM-Referat stellt der Stura – vereinfacht gesagt – das Geld den jeweiligen Fachschaften zur Verfügung. Diese wiederum ermöglichen dann den Studierenden vorzuschlagen, wofür diese Mittel ausgegeben werden. Konkret heißt das, dass Studierende Finanzierungsanträge stellen können, um zum Beispiel zusätzliche Lehrveranstaltungen zu organisieren, die über das reguläre Lehrangebot hinausgehen. Bei so viel Macht und um sicherzustellen, dass die Entscheidungen des Stura möglichst repräsentativ sind, gibt es die Stura-Wahlen. Dabei treten Listenvertreter:innen an, die oft von parteinahen Hochschulgruppen gestellt werden.
Trotz der Wichtigkeit, die Vielfalt der Heidelberger Studierenden im Stura widerzuspiegeln, gibt es einen Reality Clash zwischen dem Konzept und dessen Umsetzung: „Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wer diese Leute sind“, so formuliert es Chanakya*. Fairerweise muss festgehalten werden, dass sich die Verantwortlichen des VS um transparente und informierte Stura-Wahlen bemühen. So wird im Vorfeld ein Wahlomat zur Verfügung gestellt, um zu überprüfen, welche Liste welche Positionen vertritt. Auch können Aussagen unterschiedlich gewichtet werden. Zusätzlich hängen in der Nähe der Universität Plakate, die die einzelnen Listen bewerben. Und auf Instagram werden die wichtigsten Kernthemen der Listen ebenfalls vorgestellt. Die knapp 90 Prozent Nicht-Wähler:innen sind aber trotzdem ein Problem.

Auf Nachfrage, ob man mit der niedrigen Wahlbeteiligung und dem scheinbaren Desinteresse zufrieden sei, resümiert Stura-Mitglied, es sei ein „zerschmetterndes Nein“. Es gebe nichts, was nicht schon probiert worden wäre, um die Studierenden besser aufzuklären und die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Zurzeit überlege man, vor den Wahlen Stände einzurichten und in Vorlesungen zu gehen. Das könne möglicherweise dem Nicht-Lesen der Stura-Emails entgegenwirken. Außerdem bemängelt er die zu wünschen übrig lassende Kooperation der Fachschaften, da diese kein besonderes Interesse daran hätten, die Informationen zu den Wahlen an die Studierenden weiterzuleiten. Der Grund: Die Fachschaften entsenden ihre eigenen Vertreter:innen in den Stura und seien somit von den Wahlen nicht betroffen. Eine Auswirkung habe die Indifferenz ebenfalls; so säßen im Stura weniger Listenvertreter:innen als Fachschaftsvertreter:innen. Eine Konkurrenz zwischen den zwei Gruppen gebe es aber nicht. Wenn, dann seien es die politischen Differenzen der einzelnen Listen, die zu Spannungen führten.
Woran liegt es aber wirklich? die Heidelberger Studierenden als unpolitisch zu bezeichnen, wäre in jedem Fall falsch. Sei es beim Bündnis „Kein Schritt nach rechts“ oder wenn man an den diesjährigen Heidelberger Pride-March denkt. Junge Menschen in Heidelberg, viele von ihnen Studierende, sind politisch engagiert und setzen sich für verschiedene Anliegen ein. Ob die neuen Strategien der Verfassten Studierendenschaft, mehr Studierende für Hochschulpolitik zu begeistern, sich als erfolgreich erweisen, wird sich dann bei den nächsten Stura-Wahlen zeigen.
*Name von der Redaktion geändert
Von Seraphim Kirjuhin
...studiert (noch) am Südasien-Institut moderne indische Geschichte und Anthropologie, begeistert sich für Politik, stöbert gerne in seiner Lieblingsbuchhandlung in der Plöck und hat sein Herz in Heidelberg verloren. Beim ruprecht ist er seit 2025.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.









