Drei ukrainische Studierende berichten, wie sie in Heidelberg ankommen, den Krieg aus der Ferne mitverfolgen und was sie sich wünschen
Heimat ist dort, wo meine Familie ist, wo ich mich wohlfühle. Viele von uns haben jetzt zwei Heimaten“, so beschreibt die Ukrainerin Zhanna ihr Lebensgefühl in Heidelberg – zwischen Herkunft und Ankunft, zwischen Erinnerung und Alltag in einem neuen Land. Was bedeutet es, fern der eigenen Heimat zu studieren, einer Heimat, die seit drei Jahren von Krieg erschüttert wird? In Heidelberg leben viele junge Ukrainer:innen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten hierher gezogen sind. Einige kamen schon vor dem Krieg, etwa zum Studium. Andere flohen erst nach Beginn der Invasion, auf der Suche nach Sicherheit, Perspektiven und einem Alltag, der nicht von Sirenen und Stromausfällen bestimmt ist. Doch egal wann sie angekommen sind, ihre Lebensrealität hat sich seit 2022 grundlegend verändert. Der Krieg ist aus der tagesaktuellen Aufmerksamkeit weitgehend verschwunden. Er prägt dennoch weiterhin das Leben vieler Studierender, auch hier in Heidelberg. Deshalb haben wir mit drei ukrainischen Studierenden gesprochen, die hier leben und lernen. Sie erzählen, wie es ihnen heute geht, was sie beschäftigt und was sie sich wünschen.
Noch wichtiger als symbolische Gesten ist konkrete Unterstützung
Als Bodhana in diesem Wintersemester nach Heidelberg kam, fühlte sie sich sofort willkommen. In ihrem Studiengang Computerlinguistik hat sie eine unterstützende Gemeinschaft gefunden. Das Einleben fiel ihr leichter, weil sie bereits 2023 nach Berlin gezogen war, nachdem sie Studium und Arbeit in der Ukraine kriegsbedingt nicht mehr fortsetzen konnte. Durch ihr Studium hat sie bislang nur wenige ukrainische Studierende in Heidelberg kennengelernt, dafür engagiert sie sich im ukrainischen Pfadfinderbund „Plast“ und leitet dort Workshops für Kinder. Ihr liegt am Herzen, dass in Heidelberg mehr Wissen über die ukrainische Geschichte und Kultur vermittelt wird, über traditionelle Bräuche ebenso wie die aktuelle gesellschaftliche Situation ihres Heimatlandes. Ihre Zukunft ist ungewiss, zu oft hat sie erlebt, wie sich alles plötzlich ändern kann. Planungssicherheit fehle ihr, in Deutschland wird das aber oft vorausgesetzt.
„Ich bin hier an einem sicheren Ort und sie sind dort“
Auch Mykhailo beschäftigt sich mit der Frage, wo seine Zukunft liegt, in Deutschland oder in der Ukraine. Für ihn hängt das stark vom weiteren Kriegsverlauf und der politischen Entwicklung in beiden Ländern ab. Seine Ausgangslage ist jedoch eine andere: Er lebt seit 2015 in Heidelberg, wo er Medizin studiert und inzwischen an seiner Doktorarbeit schreibt. Die ukrainische Community in Heidelberg beschreibt er als jung und vielseitig. Nach Kriegsbeginn engagierte er sich in Initiativen wie der deutsch-ukrainischen Gesellschaft und dem Süddeutschen Veteranenkreis. Er sieht sich selbst als Deutsch-Ukrainer: „Ich bin seit zehn Jahren hier und Deutschland ist in dieser Zeit zu meinem zweiten Heimatland geworden.“ Von Stadt und Universität wünscht er sich mehr Solidarität mit der Ukraine und ein klares Bekenntnis zur Demokratie. Diese Haltung habe in den letzten zwei Jahren gefehlt, etwa seitdem die ukrainische Flagge nicht mehr am Rathaus gehisst wird. Noch wichtiger als symbolische Gesten ist ihm jedoch konkrete Unterstützung: etwa durch mehr Studienplätze für Ukrainer:innen in zulassungsbeschränkten Studiengängen. Chancengleichheit sei wichtig, doch in der aktuellen Lage bestehe zusätzlicher Bedarf.
Zhanna kam nach Kriegsbeginn nach Heidelberg, weil sie ihr Übersetzungswissenschaftsstudium in der Ukraine nicht fortsetzen konnte. Viele Kurse wurden unterbrochen und nicht wiederholt. Ein Großteil ihrer Familie lebt weiterhin in Kiew. Bei Luftalarmen erhält sie regelmäßig Warnmeldungen auf ihr Handy: „Das Schwierigste ist es, auf die Antworten zu warten. Ich bin hier an einem sicheren Ort und sie sind dort und ich kann keine Worte finden, um sie zu beruhigen.“ Sie kam allein nach Deutschland, fand aber schnell Anschluss. Wer in ukrainische Gruppen aufgenommen werden möchte, dem werde der Einstieg leicht gemacht, sagt sie. Gewöhnen musste sie sich allerdings an das deutsche Universitätssystem. Ob sie in die Ukraine zurückkehren wird, weiß sie nicht. Aber jedesmal wenn sie zurück in Kiew ist, würde sie am liebsten dort bleiben. Was alle drei Studierenden verbindet, ist nicht nur die gemeinsame Herkunft, sondern der Wunsch nach Offenheit, Empathie und echtem Miteinander. Drei Jahre nach Kriegsbeginn ist für sie vieles zur Dauerbelastung geworden: Das Leben in der Ferne, die Sorge um Angehörige und die Ungewissheit. Ihre Geschichten und Erfahrungen machen deutlich, auch wenn der Krieg aus den Schlagzeilen und dem öffentlichen Bild verschwunden ist, ist er für sie noch längst nicht vorbei. „Wir leben in einer Zeit, in der die Geschichte der Welt neu geschrieben wird – und jede einzelne Stimme und Tat spielt eine enorm große Rolle. Das darf nicht vergessen werden“, sagt Myhailo. Und genau deshalb lohnt es sich, hinzuhören.
Von Lea Manovski und Darwin Korte
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.








