Während eines Auslandspraktikums in Nepal fand sich ein Redakteur des ruprecht inmitten eines Generationenkonflikts am Dach der Welt wieder
Wehrpflichtdebatte, absurde Investitionsscheu unter dem Deckmantel der „Generationengerechtigkeit“, demografischer Wandel, eine durch Klimawandel zunehmend zerstörte Erde – die generationale Konfliktlinie zieht sich durch die (deutsche) Politik. Nie zuvor habe ich diesen Generationenkonflikt jedoch in einer solch archaischen Wucht entflammen sehen wie im vergangenen September in Kathmandu.
Am Montag, dem 8. September, wurden Proteste junger Menschen in Nepal durch die Polizei mit einer unfassbar unverhältnismäßigen Brutalität niedergeschossen. Grund war ein lediglich wenige Tage zuvor verordneter und unmittelbar inkraftgetretener Bann der populärsten sozialen Medien im südasiatischen Land. Dabei wurden neunzehn junge Menschen, vornehmlich Studierende, die friedlich protestierten, auf offener Straße ermordet. Die Polizei zeigte sich, einmal mehr, als durchschlagende harte Hand, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um Herrschafts- und Besitzordnung zu schützen.
Zu diesem Zeitpunkt war die internationale Berichterstattung spärlich und, insofern existent, nur oberflächlich zutreffend: Große Medienhäuser vertraten die simple, den Sehgewohnheiten entsprechende, Argumentationslinie: „Junge Menschen sauer, weil kein Social Media“. Doch die Gründe für die Proteste sind weitaus vielschichtiger. Der Bann war nur der vielzitierte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, während die grundlegenden Probleme von existentieller Natur sind: Junge Menschen sehen keine wirtschaftliche Zukunft in ihrem Land. Kanchan M. (26), Studentin aus Kathmandu, erzählt, dass diejenigen, die können, auswandern. Die Regierung wird als korrupt und gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung stehend wahrgenommen.
Initial war es die perzipierte Perspektivlosigkeit und vor allem das gänzlich fehlende Vertrauen in eine politische Klasse, die allem Anschein nach ausschließlich dafür sorgen möchte, ihren eigenen „Nepo Babies“ (ein in Nepal sehr aufgeladener Begriff, der innerhalb der Protestbewegungen prominent positioniert war) möglichst großen Wohlstand zu zuschustern, was die Menschen auf die Straße brachte. Als dann an jenem Montag in der beschriebenen Brutalität auf die legitime Kritik reagiert wurde, nahmen die Proteste revolutionäre Züge an: Keshab A. (31), Trekkingguide aus dem Süden des Landes, ist typischer Fall, indem er beschreibt, er habe zwar bereits vorher mit den Demonstrierenden sympathisiert, sei jedoch erst in Reaktion auf die Polizeigewalt selbst zum Protest mobilisiert worden.
Eine geeinte Menschenmenge griff die wichtigsten Regierungsgebäude und ministeriellen Privatresidenzen an, beseelt von einem kollektiven Zorn, der an jenem Tag durch alle Straßen des Kathmandutals waberte. Jahrelange Animositäten entluden sich in den mittäglichen Stunden – auch als außenstehender Beobachter konnte man fühlen, wie tief der Hass auf die herrschende Klasse sitzt. Parallel zu dem Generationskonflikt der „Gen-Z Protests“, war das Missverhältnis Herrscher – Beherrschte das prägende Motiv der Aufstände.
Die Wucht des revolutionären Moments brachte eine kollektive Selbstwirksamkeitserfahrung: Die Regierung trat zurück und binnen zweier Tage wurde die als integer geltende Sushila Karki, ehemals oberste Richterin am obersten Gericht, als Interimspräsidentin gewählt – in einer NGO-organisierten, frei zugänglichen Wahl über Discord. Mehr Gen-Z geht kaum.
Wenngleich die Personalie (die erste Frau in diesem höchsten Amt!) populär ist, so gibt es Vorbehalte bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Wahlprozesses, geäußert bespielsweise von Shyam P. (62), ehemaliger Jurist am selben Gericht. Die Revolutionäre würden wohl entgegnen, dass sie intentional außerhalb des Rahmens des von ihnen als ungerecht wahrgenommenen Systems operiert haben, um echte Veränderung bewirken zu können. Auch wenn unmittelbarer Erfolg erkennbar ist, so bleibt langfristiger Wandel fraglich und die Situation angespannt – das konnte ich aus allen meinen Gesprächen mitnehmen.
Von Finn Fabry
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.








