Bumble ist nicht nur Sex, Sex, Sex – sondern auch politisch. Wie die Hookup-Kultur unsere Beziehungen verändert.
Online-Dating geht für die meisten Nutzerinnen und Nutzer fast zwangsläufig mit einer ganzen Reihe von schlechten Erfahrungen einher. Wie soll man ein positives Selbstwertgefühl bewahren, wenn man kaum wissen kann, was das Gegenüber wirklich will? Wenn man ohne ersichtlichen Grund geghostet wird? Die Betreiber:innen der Dating-Apps verweisen auf die Telefonseelsorge, ein Angebot der Kirche. Paradox, dass ausgerechnet die Kirche die emotionalen Schäden der vermeintlichen sexuellen Freiheit begrenzen soll.
Die Soziologin Eva Illouz argumentiert in ihrem 2020 erschienenen Buch „Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen“, dass dies nicht nur ein scheinbarer Widerspruch ist, sondern emblematisch für den Zustand von Liebe und Sexualität in der Gegenwart ist. Denn die ursprünglich positive und emanzipatorische Idee der sexuellen Freiheit sei vollständig von den kapitalistischen Industrien vereinnahmt worden, so Illouz. Das Individuum habe sich nicht von gesellschaftlicher Unterdrückung befreit, sondern sich der Macht der Märkte unterworfen.
Weil kapitalistische Industrien Profit aus der Vermarktung des sexualisierten Körpers schlagen, geraten wir in einen ständigen Strudel der Selbstoptimierung. Wir sollen Unsicherheiten durch sichtbare Erfolge auf den Märkten von Liebe und Begehren kompensieren – Likes, Matches, Gelegenheitssex. Doch gerade diese Mechanismen der (Selbst-)Verdinglichung versperren den Blick auf das Gegenüber als ganzen Menschen.
Vor allem die Gleichberechtigung der Frau sei dadurch in eine schwere Schieflage geraten, denn letztlich seien es Männer, die in den Medien und in der Werbung bestimmen, was als attraktiv gilt. Damit positioniert sich Illouz eher am Rande des aktuellen feministischen Diskurses. Sie bezieht Stellung gegen den dort vorherrschenden Sex-Positivismus. Doch lässt sich die allgegenwärtige Sexualisierung tatsächlich so eindeutig dem weiblichen Körper zuordnen? Wenn sie primär dem Profitstreben der Industrie folgt, liegt es nahe, dass auch der männliche Körper zunehmend vereinnahmt werden wird. Beweisen nicht Figuren wie Barbies Freund Ken oder die Rollen Timothée Chalamets das Gegenteil?
Insgesamt liest sich Illouz‘ Buch über weite Strecken wie ein Appell, neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Sexualität und Partnerschaft zu finden. In einer nach wie vor männerdominierten Gesellschaft dürfte ein solcher Versuch jedoch kaum konfliktfrei umsetzbar sein. Ist Illouz‘ Kritik der sexuellen Freiheit also nur Wasser auf den Mühlen der Gleichstellungsfeinde?
Nein, denn die systematische Abwertung ganzer Personengruppen auf dem Markt der Liebe und Sexualität ist kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen uns der Frage stellen, inwieweit Körper- und Konsumkult mit der Idee der Gleichheit aller Menschen verträglich sind. Wenn der unattraktive und kranke Körper weniger liebenswert und seine Abwertung und Ausgrenzung gesellschaftlich legitim sind, wie weit entfernt ist die Vorstellung, dieser sei auch weniger lebenswert?
Auch wenn man Illouz’ Thesen nicht in allen Punkten teilt, bietet ihr Buch kluge Denkanstöße zu einem Thema, das uns alle betrifft. Es sei jedem ans Herz gelegt.
Eine Rezension von Felix Koch
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.