Wenn die Hitze den Kopf zum Stillstand bringt und der Serienmarathon langweilt, sind diese sechs Bücher die perfekte Rettung für das berüchtigte Sommerloch
Der Kaiser der Freude
Ein zerfallender Industrieort in Connecticut im Spätsommer 2009. Zwischen maschendrahtbehauenen Grundstücken mit vermodernden Vororthäusern wächst der 19-jährige Hai auf. Hier haben nicht nur Pendler:innen und Highways eine Bresche in die Leben der letzten Verbliebenen und Verbannten geschlagen, sondern auch Pillen und Heroin. Ocean Vuong schildert in „Der Kaiser der Freude“ die Geschichte des queeren Hai, der, durch Sucht und Misserfolg von der eigenen Familie entfremdet, seinem Leben ein Ende bereiten möchte. Doch er trifft auf Grazina, Überlebende des zweiten Weltkriegs. Zwischen Drogen und Demenz beginnt nun eine wunderbare Freundschaft. Obwohl zwischen dem ungleichen Paar vieles unausgesprochen bleibt, kümmern beide sich liebevoll. Selbst in der Not bewahren sie ihre Würde, gerade indem sie ihr Leben dem Gegenüber widmen. Dennoch schildert der Autor das Handeln seiner Figuren durchaus mehrdeutig, stets zwischen Eigennutz und Gemeinsinn schwankend. Vielleicht lässt sich der Roman als eine Allegorie auf unsere Gesellschaft lesen, in der sich unterschiedliche Identitäten immer schwerer einander vermitteln können, Gleichheit aber dennoch dort erfahrbar bleibt, wo Menschen sich in ihrer Verletzlichkeit anerkennen und füreinander sorgen.
Von Felix Koch
The Pairing
Wenn der European-Summer Trend und eine Pride Parade ein Kind zusammen hätten, dann wäre es dieses Buch. Casey Mcquiston (Red, White & Royal Blue) entführt die Leser:innen passend zum Sommer- beginn auf eine große Rundreise durch die bekanntesten Städte Europas.
Wie der deutsche Zusatztitel „Liebe ist Geschmackssache“ schon verrät, geht es um eine Kulinarik-Reise mit viel Wein und Herzschmerz. Mit an Bord des Reisebusses sind Theo Fairfield und Kit Flowerdale. Einst beste Kindheitsfreund:innen, dann ein Paar und nun seit vier Jahren getrennt. Rein zufällig und verdachtsunabhängig treffen sie sich zu ihrem gemeinsamen Entsetzen bei Reisebeginn wieder. Um diese unangenehme Situation zu erleichtern, schließen sie eine Wette darüber ab, wer auf der Reise die meisten Personen verführen kann. Das kann ja nur gut gehen und selbstverständlich hegen weder Theo noch Kit noch romantische Gefühle füreinander.
Wer gerade in einem Sommerloch feststeckt, findet mit diesem Buch garantiert wieder seine Motivation. Vor allem die Motivation, zur nächsten französischen Bäckerei zu laufen und die unfassbar bildlich beschriebenen Köstlichkeiten selbst zu testen, denn Futterneid ist bei diesem Buch vorprogrammiert.
Alternativ motiviert es auch, einen der unzähligen Flirtversuche von Kit und Theo an seinem eigenen Sommercrush auszuprobieren. Wer also Lust auf eine Sommerromanze hat, die den Vibe eines gut konzipierten Pinterest-Boards hat und von klassischen Tropes nur so wimmelt, dem sei dieses Buch empfohlen.
Von Lily Grau
Die Vermessung der Welt
Expeditionen ins Unbekannte, Lösungen für die ältesten mathematischen Probleme, Kannibalismus im Amazonas und die Wiederentdeckung eines Zwergplaneten. Anekdotisch und mit subtilem Humor erzählt Kehlmann die Lebensgeschichten und das Aufeinandertreffen zweier deutscher Ausnahmewissenschaftler: Alexander von Humboldt (Forschungsreisender, 1769–1859) und Carl Friedrich Gauß (Mathematiker, 1777–1855).
Der duobiografisch aufgezogene Roman ist eine gelungene Mischung aus Wissenschaftsgeschichte und fiktiven Episoden, wodurch nicht nur nerdige Feld-Menschen schnell in den Sog der Erzählung gezogen werden. Mit geradezu eleganter Lakonie und einem hochdynamischen Erzählstil macht der Autor die Lebenswege der in ihren jeweiligen Fachbereichen bedeutendsten Wissenschaftlern ihrer Zeit greif- und nahbar.
Der Roman schafft es, auf etwa 300 Seiten nicht nur die zwei rahmensprengenden Menschenleben zu fassen, sondern wird auch der für beide Forscher charakteristischen Ambivalenzen zwischen Gelingen und Scheitern sowie Erhabenheit und Absurdität gerecht. Es gelingt eine gute Mischung aus abenteuerlichen Kapiteln über fremde Welten und witzigen Episoden über den Alltag des reisefaulen Gauß, der seine Genialität oft nicht adäquat artikulieren kann.
Mit der kurzweiligen Geschichte aus der Geschichte entschwindet man nicht nur aus trägen Sommertagen in die explorative Zeit der wissenschaftlichen Revolution des 19. Jahrhunderts, sondern lernt nebenbei auch noch ein paar Funfacts für das nächste Pubquiz.
Von Robert Trenkmann
Love Letters
19. Dezember 1922: „Ich habe ganz mein Herz verloren“, schreibt Vita Sackville-West über Virginia Woolf nach dem ersten Treffen. Wenige Wochen danach, am 3. Januar 1923 Virginia schreibt zum ersten Mal Vita: „Würden Sie vielleicht zum Dinner zu uns kommen?“. Diesem ersten Brief folgen viele weitere. Aus „Liebe Mrs Woolf“ wird einige Monate später „Liebe Virginia“ und schließlich „Mein lieber Rüsselkäfer“.
Sie teilen Alltägliches, Meinungen zu Büchern und schlechte Haarschnitte: „So habe ich ihr, da ich gegen 12 Uhr nachts ein wenig beschwipst war, erlaubt es zu tun. In ein oder zwei Monaten wird es in Ordnung aussehen, sagt der Friseur“, schreibt Virginia am 16. Februar 1927. Als Frau des Botschafters Harold Nicolson schreibt Vita aus Isfahan, Bagdad und Luxor, manchmal ist die Korrespondenz dadurch über Wochen unterbrochen. 7. Juni 1926: „Hätte gerne einen Brief. Hätte gern einen Garten. Hätte gern Vita“. Mit ihren Briefen versuchen sie, die Entfernung zu überbrücken, die Sehnsucht erträglicher zu machen.
Die Autorin Alison Bechdel hat den 20 Jahre lang andauernden Briefwechsel mit zusätzlichen Tagebucheinträgen der beiden Schrift-*stellerinnen herausgegeben und nun kann man nachlesen, wie sich zwei Menschen anfreunden, verlieben, vermissen. „Love Letters“ entdeckt die fast ausgestorbene Gattung des Liebesbriefes wieder – und inspiriert vielleicht auch selbst einen zu schreiben!
Von Mara Renner
All About Love – New Visions
Die Liebe neu denken. Mit ihrem Buch „All About Love – New Visions“ erschafft Bell Hooks einen Raum des kritischen Hinterfragens, des radikal Ehrlichseins und der Möglichkeit, sich von den Fesseln unserer Gesellschaft loszulösen. Sie beleuchtet tief internalisierte Überzeugungen über ein gesellschaftliches Konstrukt der Liebe, zugleich öffnet sie Tore zu einer neuen Kultur des Liebens.
In einer Gesellschaft mit patriarchalen Denkmustern, Gewalt und Unterdrückung kann es nach Hooks keine wahre Liebe geben. Stattdessen fordert sie mit ihrer ermutigenden Utopie mehr Zuneigung, Hinwendung und das Ablegen von Dominanz. Sie betont dabei die Liebe als aktive Praxis, nicht nur als reines Gefühl, welche sich in Beziehungen, Partnerschaften, Freundschaften und auch in politischen Kämpfen praktizieren lässt. Die Wissenschaftlerin, Kulturkritikerin und Feministin vereint ihre ganz persönlichen Gedanken über die Liebe mit Inspirationen verschiedenster Philosoph:innen, Poet:innen und Denker:innen.
Die Kapitel lesen sich wie einzelne Lektionen, das Buch wie ein möglicher Leitfaden, der uns zeigt, wie wir wieder lieben können. Mit ihrer kompromisslos ehrlichen, analytisch präzisen und zugleich einfühlsamen Sprache trifft sie direkt ins Herz. Ein Buch, das jede:r gelesen haben sollte und das man immer wieder aufschlagen kann, um Neues zu lernen. „Um die Kunst des Liebens zu praktizieren, müssen wir uns zuerst für die Liebe entscheiden – uns eingestehen, dass wir die Liebe erfahren und wir wirklich lieben wollen, selbst wenn wir nicht wissen, was das bedeutet.“
Von Karla Walder
Im Wasser sind wir schwerelos
Ein Buchcover mit zwei Menschen, die kopfüber in einen strahlend blauen See springen – wenn das nicht nach einem Sommer-Read schreit. „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski spielt im Polen der frühen 80er Jahre. Ludwik ist 22 Jahre alt und hat gerade die Schule beendet. Bevor das Studium losgehen kann, wird er aber auf einen der Ernteeinsätze geschickt, zu denen junge Menschen im damals sozialistischen Polen verpflichtet wurden.
Während er also in der sengenden Hitze Rote Bete erntet, lernt er Janusz kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, obwohl ihre Liebe in dem autokratischen Staat verboten ist. Das klingt zunächst nach schwerem Stoff, aber in der Abgeschiedenheit eines verborgenen Sees im Wald erleben sie traumhafte Sommertage. Diese Zeit am See fühlt sich – passend zum Titel der deutschen Übersetzung – tatsächlich schwerelos an. Nicht ohne Grund wird der Roman als das bessere „Call Me by Your Name“ bezeichnet.
Doch auch der schönste Sommer muss einmal enden und die Beziehung der beiden wird in der Stadt auf die Probe gestellt. Auch die politischen Umstände machen es ihnen nicht leichter: 1980 kam es in Polen zu Preiserhöhungen, die eine landesweite Streikwelle auslösten. Aus der Streikbewegung entsteht schließlich die Gewerkschaft Solidarność, die sich gegen das Regime wendet. Das Land scheint an einem Scheidepunkt zwischen der bestehenden Diktatur und einer freien Zukunft zu stehen. Letztlich müssen sich auch Ludwik und Janusz entscheiden, ob sie für oder gegen das System sind.
Von Luna Nebija
...schreibt wonach ihr grade der Sinn steht und leitet seit dem Sommersemester 2025 die Bildredaktion als 50% einer Doppelspitze
...leitet Feuilleton und studiert nebenbei Geographie in Kombination mit Politikwissenschaft im Master.
Interessenschwerpunkte: ferne Länder, Tagespolitik & Sport.
...studiert Kunstgeschichte und Politikwissenschaft, seit 2021 schreibt sie über Kurioses aus Politik, Kultur und dem studentischen Leben










