Der plötzliche Tod des iranischen Präsidenten Raisi eröffnet neue Möglichkeiten für das Land
Mitten im nebligen Gebirge des nordwestlichen Iran stürzt ein Hubschrauber ab und alle Insassen sterben. Was zunächst wie eine Tragödie klingt, hat viele Menschen weltweit an jenem Tag Korken knallen und auf den Tod anstoßen lassen. Aber haben sie nicht vielleicht doch auf das Leben getrunken?
In der verunglückten Maschine saßen zwei Mitglieder der iranischen Regierung. Präsident Ebrahim Raisi und Außenminister Abdollahian. Der Theologe und Jurist Raisi zählte in der iranischen Regierung zu der Fraktion der Konservativen und wurde als Nachfolger des amtierenden Obersten Führers Ali Khamenei gehandelt. Das höchste Amt ist in dem republikanisch-theokratischen Mischsystem Theologen vorbehalten.
Der als „Henker“ oder „Schlächter von Teheran“ betitelte Präsident machte seit der Revolution Karriere in den staatlichen und religiösen Institutionen. Schon in den 1980ern war er als Jurist an der Hinrichtung tausender Oppositioneller beteiligt. Nach der Präsidentschaftswahl 2021 löste Raisi seinen liberaleren Vorgänger Rohani ab. Nachdem die Vereinigten Staaten 2018 unter Donald Trump das Atomabkommen einseitig aufkündigten, arbeitete der Iran unter Raisi mit Nachdruck dem Wiederaufleben des Abkommens entgegen. Das Land hat seine Bestände an potenziell waffentauglichem Uran in den letzten Jahren enorm aufgestockt, was international Zweifel über das Atomprogramm des Iran auslöst. Unter seiner Regierung nahm auch der Druck auf den Konflikt mit dem Nachbarn Israel stetig zu.
Während außenpolitisch die Spannungen stieg, verschärfte sich im Inneren die Repression gegenüber Oppositionellen. Der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini löste im Herbst 2022 die „Frau – Leben – Freiheit“-Bewegung aus. Seinen Ruf bestätigte Raisi mit knapp 20.000 gefangenen und über 500 getöteten Demonstrant:innen. Hinzu kommen 143 Hinrichtungen. Die Aufstände entzündeten sich dabei an dem Verhalten der Sittenpolizei, weiteten sich in ihrem Verlauf jedoch in Inhalt und Zusammensetzung der Aufständischen aus. Zu dem kulturellen und religiösen Ausgangspunkt kam die grundlegende Ablehnung vieler Iraner:innen dem Regime gegenüber.
Zurzeit übernimmt Raisis Stellvertreter Mohammad Mokhber die Regierungsgeschäfte kommissarisch bis zu den Neuwahlen für das Präsidentenamt. Angesetzt ist der Wahltermin auf den 28. Juni. Dabei werden die Kandidaten vom Wächterrat aufgestellt, ein Gremium bestehend aus sechs Theologen, die direkt durch den Obersten Führer eingesetzt werden, und sechs vom Parlament gewählten Juristen. Er trifft bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen eine Vorauswahl potenzieller Kandidaten, die vom Volk gewählt werden dürfen.
Der Tod Raisis löste gemischte Reaktionen in der iranischen Bevölkerung aus. Neben einer mehrtägigen Staatstrauer, kursieren im Internet Videos von Feiern mit Feuerwerk oder Aufnahmen von Zerstörungen der Trauerbilder mit Raisis Porträt.
Kurzfristig dürfte der Tod Raisis keine großen Veränderungen im Iran bewirken. Mittel- und langfristig jedoch stellt sich Frage um die Nachfolge für das Führeramt neu und verschärft, wenn der 85 Jahre alte Khamenei in Zukunft aus dieser Position scheiden wird. Expert:innen sehen dann die theokratischen Strukturen vor einem Ende. Welchen Weg der Iran dann gehen wird, ist dabei völlig offen. Denkbare Szenarien reichen von einer Militärdiktatur bis zu einem möglichen Zerfall des Staates Iran.
Von Robert Bretschi
Kaisa Eilenberger studiert seit dem WiSe 2021 im Bachelor in Geschichte und Religionswissenschaft – beim ruprecht ist sie seit Studienbeginn, hat zwischendurch Hochschule mitgeleitet und ist zurzeit im Layout-Team. Bei Gelegenheit produziert sie auch Illustrationen für Artikel und schreibt am liebsten über Medien und internationale Themen.