„Wir kennen die Nachtszene noch, wie sie vor 15 Jahren war. Da wieder hinzukommen, liegt uns am Herzen!“ Seit Februar diesen Jahres hat auch Heidelberg seine ersten Nachtbürgermeister. Nachdem Mannheim 2018 als erste Stadt in Deutschland das Amt einführte, zog Heidelberg gleich mit doppeltrer Kraft nach. Jimmy Kneipp und Daniel Adler, beide 33 Jahre alt, haben den Willen, das Heidelberger Nachtleben umzukrempeln. Jimmy ist Gastronom und betreibt das Bistro Fandango in Rohrbach, Daniel besitzt eine Medienagentur und leitet ein Heidelberger und Mannheimer Stadtmagazin. Aktuell steht zur Debatte, die zuerst auf ein Jahr befristete Amtszeit um mindestens ein weiteres Jahr zu verlängern. Wir wollen mehr über die Arbeit der Nachtbürgermeister erfahren und treffen uns auf einen Kaffee.
In welche Bars und Clubs geht ihr gerne?
Ganz klassisch Destille, Orange oder auch mal ins Hörnchen. Es gibt einige tolle inhabergeführte Locations.
Wie kann man sich euren Arbeitsalltag vorstellen? Müsst ihr also auch nachts arbeiten?
Wir sind auch ab und zu nachts unterwegs, um beispielsweise die Lage an der Alten Brücke einzuschätzen. Entgegen der Erwartungen findet jedoch der Hauptteil unserer Tätigkeit am Tag statt. Dabei ist kein Tag wie jeder andere! Wir sind Schnittstelle zwischen Anwohnern, Gastronomen, Feiernden, Clubbetreibern und vor allem auch den Ämtern, um Wege zu verkürzen und bei Konflikten zu vermitteln. So stehen wir zum Beispiel in Kontakt mit den Betreibern der Jingx-Bar, dem Cave 54 und dem Joe Molese, haben wiederum auch Treffen mit dem Bürgermeister, tagen in verschiedenen Ausschüssen oder planen Veranstaltungen.
Arbeitet ihr unabhängig vom Bürgermeister? Wie frei seid ihr in eurer Tätigkeit?
Auch wenn wir uns als unabhängige Stelle sehen, was wichtig ist, um neutral agieren zu können, sind wir Teil der Verwaltung. Wir sind bei der Stadt angestellt und teilen uns eine 100-Prozen-Stelle. In die Verwaltungsprogamme und -wege muss man sich einfinden. Manchmal geht es etwas langsam voran, aber man muss dranbleiben! Zeitlich können wir uns unsere Projekte sehr frei einteilen, lediglich die Pandemie bremst uns immer wieder aus. Außerdem gibt die Stadt einen finanziellen Rahmen vor. So war eine Idee dezentrale Plätze zum Feiern zu errichten, was unter anderem wegen des Budgets bis jetzt nicht umgesetzt wurde. Alternativ entstand so jedoch das Feierbad 21.
Das Feierbad war euer größtes Projekt bisher. Auf welche Resonanz seid ihr gestoßen?
Nach den Ausschreitungen auf der Neckarwiese im Mai war klar, dass schnell eine Alternative gefunden werden muss. So errichteten wir in Zusammenarbeit mit dem Jugendgemeinderat und der Stadt auf dem ehemaligen Außengelände des Schwimmbadclubs das Feierbad 21. Ein Ort, an dem im Sommer an elf Veranstaltungen 10 000 Menschen feierten. Wir waren bis an die Kapazitätsgrenze ausgebucht. Auch die Anwohner der Uferstaße zeigten sich erfreut, es seien die fünf ruhigsten Wochen des Jahres gewesen.
Ein großer Erfolg vor allem für die Feiernden, doch was waren Herausforderungen?
Bereits nach unserer ersten Veranstaltung gab es Beschwerden von den Anwohnern in Wieblingen, die der Schall über den Neckar erreichte, obwohl die Lautstärke sogar extra von unabhängigen Gutachtern ausgepegelt und von der Polizei nachgemessen wurde. Am Ende zählt dann doch wieder das individuelle subjektive Empfinden. Es ist unmöglich alle zufriedenzustellen. Dennoch ist es wichtig, diese Themen voranzutreiben.
Aber wie macht ihr das?
Das persönliche Gespräch ist von Bedeutung, so wird besser aufeinander eingegangen. Es fanden Treffen und Telefonate mit den Anwohnern in Wieblingen statt. Doch die Fronten sind verhärtet. Für den Winter planen wir die Umlagerung in ein schallisoliertes Zelt, ähnlich wie das früher beim Heidelberger Oktoberfest gemacht wurde
In den letzten Jahren war der Konflikt um die Lärmproblematik in der Altstadt deutlich zu spüren. Was sind hier eure Konzepte und wie soll das Angebot der Nachtszene verbessert werden?
Als ich 18 war, gab es hier eine Auswahl zwischen sechs verschiedenen Clubs. Von Metal bis Hip-Hop war für alle Musikrichtungen etwas dabei. Heute gibt es nur noch die Untere Straße oder Feiern im Privaten, nichts gegen die Untere Straße… Aber für Heidelberg als jüngste Stadt Deutschlands ist das schon traurig. Daher ist es langfristig unser Ziel, dass sich neue Clubs ansiedeln, sodass sich das nächtliche Treiben entzerrt. Doch wer eröffnet in diesen Zeiten einen Club? Auch dezentrale Plätze zum Feiern sollen dazu beitragen. Außerdem steht bereits die „Awareness-Kampagne“ in den Startlöchern, deren Umsetzung sich im Moment durch die Pandemie verzögert. Dafür wollen wir mit verschiedensten Gruppen, wie Anwohnern, Feiernden und Clubbetreibern ins Gespräch kommen, diesen eine Stimme geben, gleichzeitig aber auch für die Standpunkte Anderer sensibilisieren. Zusammengefasst funktioniert es nur über gegenseitige Rücksichtnahme.
von Anabelle Kachel
Anabelle Kachel studiert Humanmedizin und schreibt seit März 2021 für den „ruprecht“. Während im Studium die funktionellen Zusammenhänge des menschlichen Körpers im Vordergrund stehen, fasziniert sie bei ihrer Arbeit als Redakteurin der Mensch in seiner Gesamtheit. Besonders gerne tritt sie direkt mit den Menschen in Kontakt und interessiert sich für Einblicke in ihre Lebensrealitäten und Ansichten. So führte sie zahlreiche Interviews, zum Beispiel mit dem Comedian Florian Schroeder oder dem Lokalpolitiker Sören Michelsburg.