Es ist Freitagnachmittag. Alle Sitzplätze im oberen Stockwerk des Café Fresko am Adenauerplatz sind belegt. Sören Michelsburg hat den SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nach Heidelberg eingeladen, bei ihrer Wahlkampfveranstaltung “Kaffee mit Kevin” sprechen sie darüber, wie Studierende unterstützt werden sollen. Viele junge Sozialdemokrat:innen sind gekommen, um den früheren Juso-Chef zu treffen. Der Terminplan ist straff, eigentlich müssen die beiden längst weiter zur nächsten Veranstaltung in den Pfaffengrund. Dennoch wird jeder Fotowunsch erfüllt – auch für das Gespräch mit dem ruprecht nehmen sie sich noch Zeit.
Sie waren ja beide Studenten, kennen es also vermutlich selber, dass manchmal das Geld knapp wird. Wie wäre es für Sie gewesen, wenn die Stadt Sie in einer Energiekrise zum Sparen aufgefordert hätte?
Michelsburg: Ich hab im Wohnheim gewohnt und hatte eh einen Festpreis. Ich hab im Studium immer gearbeitet, weil ich es mir anders nicht hätte leisten können. Viele Studierende hatten ja jetzt das Problem, dass während Corona die ganzen Studierendenjobs alle weggefallen sind. Da muss man eher ein Angebot schaffen.
Kühnert: Ich hab in einer WG gewohnt damals zu der Zeit, also in einer privaten Wohnung. Der Energieträger war Gas, die Wohnung ist nicht saniert gewesen, das heißt die Fenster waren nicht besonders doll und die Anlage war nicht besonders modern und ich hatte keine Ausweichmöglichkeiten. Also wäre das jetzt heute meine Situation, dann wäre da nicht viel einzusparen gewesen, außer jemand hätte uns neue Fenster, neue Türen und eine neue Fassade spendiert. Aber das stand nicht zur Auswahl, also insofern, die Sparmöglichkeiten sind natürlich begrenzt.
Sparen ist ja ein Thema. Andererseits mangelt es vielen Studierenden von vornherein an Geld. Die Bundesregierung hat eine Einmalzahlung über 200€ an Studierende beschlossen, muss sich aber noch mit den Ländern abstimmen, wie und wann das Geld ausgezahlt werden soll. Im Spiegel hieß es dazu, das Geld fließe „frühestens Januar 2023“. Meinen Sie, das klappt bis dahin?
Kühnert: Mir ist völlig bewusst, dass die Zeit drängt und schnell eine Lösung mit den Bundesländern gefunden werden muss, in deren Verantwortung die Auszahlung schlussendlich liegt. Also um jetzt nicht zum hundertsten Mal das Problem zu beschreiben: Wir haben in den letzten Monaten einfach gelernt, ob bei Studierenden oder auch insgesamt: Geld an bestimmte Bevölkerungs- und Einkommensgruppen auszahlen zu können ist, in der Welt in der wir heute leben, entscheidend, also kritische Infrastruktur. Das soll es – leider zu spät – in Zukunft geben. Wichtig ist aber jetzt, dass verschiedene Hilfen unterwegs sind. Nach dem ersten Heizkostenzuschuss von 230 € für BAföG-Beziehende, kommt Ende des Jahres ein weiterer Betrag von 345 €. Und ich empfehle in diesen Tagen allen, auch Studis, ihren Wohngeldanspruch zu checken.
Die Gaspreisbremse soll wohl erst im März kommen. Bei einem Wahlsieg wären Sie da schon mehrere Monate im Amt. Können Studierende bis dahin auf Hilfe von der Stadt hoffen? Ihre Mitbewerberin Theresia Bauer hat einen städtischen Soforthilfefonds für Energiekosten vorgeschlagen.
Michelsburg: Ich weiß nicht, warum sie den vorgeschlagen hat, weil wir haben den schon im Gemeinderat eingebracht. Als SPD-Fraktion haben wir im September beantragt, dass es einen Sicher-Wohnen-Fonds geben soll, so dass man nicht aus der Wohnung rausgeschmissen werden darf, falls der Abschlag für Energie oder die Miete nicht mehr gezahlt werden können. Das ist schon in der Mache, kommt im November in den Gemeinderat und wird dann hoffentlich ab Dezember losgehen.
Die Bundesregierung hat kürzlich das BAföG reformiert: Die Bedarfssätze sollen um 5,75 Prozent steigen, mit Einberechnung des Wohnkostenzuschlags wären es sogar 8 Prozent. Gleichzeitig lag die Inflationsrate im Oktober bei 10 Prozent. Wieso wird der BAföG-Satz nicht mindestens an die Inflation angepasst?
Kühnert: Das ist aber das Ziel, das wir das jetzt dynamisieren. Was heißt das? Es war ja in der Vergangenheit ein Problem mit dem BAföG, dass es immer Gegenstand politischer Verhandlungen war: „Wollen wir bisschen mehr machen? Ja, Nein, Vielleicht“ – und dann ist es nicht passiert. Wir wollen, dass es so passiert wie beim Wohngeld auch. Das Wohngeld haben wir jetzt auch dynamisiert, das heißt es folgt künftig genau diesem Rhythmus, es wird jährlich an die Wohnkostenentwicklung angepasst und so ähnlich sollte es künftig mit dem BAföG dann auch laufen. Wir haben jetzt einige Verbesserungen hingekriegt, aber ich würde mir wünschen, dass was die Altersgrenzen und die Elternunabhängigkeit angehen, wir auch den letzten Schritt machen und richtige Elternunabhängigkeit und Altersunabhängigkeit hinkriegen, weil das einfach in einer Gesellschaft, in der wir immer von lebenslangem Lernen, Qualifizieren und Weiterbilden sprechen, auch nur konsequent wäre.
Michelsburg: Auf städtischer Ebene haben wir das für den „Heidelberg-Pass+“ auch beantragt, also dass wir das für diejenigen Menschen, die ein geringes Einkommen haben, auch an die Inflation dynamisieren, weil das auch drei Jahre nicht mehr angestiegen ist.
Die hohe Inflationsrate ist keine große Überraschung. Wieso wurde die Reform nicht schon in Vorausahnung an die Inflation angepasst?
Kühnert: Ich lerne als noch recht frischer Bundestagsabgeordneter auch viel, nämlich, dass je mehr ich in ein Gesetzgebungsvorhaben reinpacke, desto länger dauert es, bis es tatsächlich dann durch ist. Was Anhörungen im Parlament und so weiter angeht. Und alle Maßnahmen in diesem Jahr waren vor allem darauf ausgerichtet, dass sie schnell zur Geltung kommen, dass wir keine Zeit verlieren. Aber damit ist ja die grundsätzliche BAföG-Reform, die diese Koalition sich vorgenommen hat, nicht abgesagt. Also, ich würde es eher positiv sehen: Wir haben jetzt in der Ampel in diesem Jahr schon zweimal das BAföG verbessert. Und dabei haben wir noch nicht einmal die grundlegende BAföG-Reform gemacht, die kommen wird. Genauso die Kindergrundsicherung, die darauf abgestimmt werden muss. Entscheidend ist: Alle Ampel-Parteien wollen die Reform des Bafög und laufen wirklich in dieselbe Richtung.
Für manche Studierende sind bereits die Bedingungen um BAföG zu beantragen ein Problem. Wer sich etwa mit seinen Eltern zerstritten hat und so notwendige Nachweise nicht einreichen kann. Würde ein elternunabhängiges BAföG solche Hürden beheben?
Kühnert: Ja! Es steht auch im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis genau dazu drin. Und es folgt ja auch, wie ich finde, einem ganz logischen Menschenbild: Nämlich zu sagen, unser Grundgesetz kennt keine „jungen Erwachsenen“, wie es manchmal heißt, sondern es kennt nur Erwachsene. Diese sind für sich selber verantwortlich und stehen nicht in einer Zwangsabhängigkeit zu ihren Erzeugern, wo wir überhaupt nicht wissen, wie die familiäre Situation ist, ob es da einen guten Draht zueinander gibt, und so weiter. Ich freue mich für alle, die ein intaktes Verhältnis zu ihren Eltern haben, aber dass das der Fall ist, können wir ja nicht von Gesetzes wegen voraussetzen. Insofern heißt Elternabhängigkeit immer auch, dass Bildungswege faktisch vielfach versperrt werden.
In Heidelberg sind vor allem hohe Mieten eine große finanzielle Belastung. Wohnungsbau ist wichtig, geht aber nicht von heute auf morgen. Wie wollen Sie Mieter:innen kurzfristig entlasten?
Michelsburg: Erstmal müssen wir dafür sorgen, dass Vermieter die Mieten nicht anheben. Dass etwa das Studierendenwerk die Miete nicht anhebt und wenn da Kapitalengpässe sind, dass wir als Stadt auch unterstützen und sagen, die städtische Wohnungsbaugesellschaft GGH geht da mit rein, quasi als Darlehen um zukünftig auch neuen Wohnraum zu schaffen, aber eigentlich um jetzt erst einmal für Ruhe sorgen. Genauso auch bei Vermieterinnen und Vermietern, wobei ich da eigentlich nicht glaube, dass das kommen sollte. Da ist eher das wichtige Thema, dass die Mietpreisbremse und der Mietspiegel eingehalten werden und dass wir da eben auch die Möglichkeiten bieten, hier so was anonym melden zu können, damit die Stadt dagegen vorgeht.
Ihr Vorschlag, das „Referat für bezahlbares Wohnen“, würde also Bürger:innen bei Rechtsstreit mit ihren Vermieter:innen unterstützen?
Michelsburg: Ganz genau. In anderen Städten, wie Freiburg, wird das schon gemacht. Da gibt es so eine Anlaufstelle die vieles bündelt und das ist das Erste womit ich starten möchte, weil das brauchen wir jetzt sofort!
Ein wichtiger Bestandteil, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen ist das Patrick-Henry-Village (PHV). Ihr Mitbewerber Bernd Zieger (Linke) fordert, dort dem Studierendenwerk Heidelberg einen Zugang zu gewähren, um Wohnheime zu schaffen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Michelsburg: Das Studierendenwerk soll eine wichtige Rolle in der Entwicklung von PHV spielen und daher auch zu Beginn dabei sein. Für die ersten Entwicklungsfelder B3+B4 gibt es mittlerweile ein Konzept und innerhalb dieses Konzepts kann die Stadt gemeinsam mit dem Studierendenwerk Wohnraum für Studierende schaffen. Dafür müssen dann aber auch die verkehrliche Anbindung und die Nahversorgung gesichert sein.
Eine andere Stadt mit hohen Mieten ist Berlin, wo in den letzten Jahren viel versucht worden ist, zum Beispiel der Mietendeckel oder der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Was könnte sich Heidelberg davon abschauen?
Kühnert: Naja, die Versuche in Berlin haben ja am Ende auch per Gerichtsbeschluss eines hervorgebracht: Nämlich die Feststellung, dass für das Mietrecht der Bund und nur der Bund zuständig ist, außer er sagt, er gibt seine Kompetenz ab – das will er aber nicht tun. Das heißt, unser Job in der Ampel in Berlin ist es, jetzt Möglichkeiten für Länder und Kommunen zu schaffen. Wir haben uns auf vier konkrete Dinge geeignet, die jetzt nur umgesetzt werden müssen: Die Absenkung der Kappungsgrenze, um künftig Mieterhöhungen innerhalb von drei Jahren von 15% auf 11% zu senken. Die Verlängerung der Mietpreisbremse. Die Stärkung der Mietspiegel. Und ein besserer Kündigungsschutz. Das sind vier konkrete vereinbarte Sachen. Und falls ich einen Appell loswerden darf, falls das jemand liest, der den Justizminister vielleicht gut kennt: der muss jetzt halt mal ein bisschen aus dem Quark kommen und die Gesetzentwürfe dafür vorlegen. Wir können das so bald wie möglich beschließen, dann gilt es und dann schützt es auch sofort.
In Kevin Kühnerts Wahlkreis befindet sich das Tempelhofer Feld. Ein riesiger Freiraum mitten in Berlin, der andererseits auch viel Platz für Wohnraum bieten würde, worüber heftig diskutiert wird. In Heidelberg haben wir das Airfield – sozusagen das Tempelhofer Feld auf Wish bestellt. Wäre es nicht sinnvoll, da auch Wohnraum zu schaffen? Zum Feiern könnte man ja immer noch nach Mannheim fahren.
Michelsburg: Wir haben noch andere Bedarfe, die dort untergebracht werden können in den nächsten Jahren. Zum Beispiel muss das THW ausgelagert werden, weil ihr Bau in Wieblingen abgerissen und neugebaut wird. Wir haben Sportflächen, die dort integriert werden können. Wir haben Werkstätten, die dort reinkönnen. Auch eine Sporthalle oder Kreativräume. Es könnte eine Erholungsfläche für die Menschen in Heidelberg werden, weil wir da nur die Neckarwiese und die Altstadt haben, und das ein bisschen entzerren sollten. Der Tempelhof ist ja auch so eine Art Freiraum. Lieber das PHV schnell entwickeln, lieber im Neuenheimer Feld mehr Wohnraum schaffen, lieber im Kirchheimer Weg mehr Wohnraum schaffen. Da haben wir Möglichkeiten, es ist schon angebunden an die Stadt, da haben wir die Infrastruktur. Da das zu schaffen ist deutlich leichter als irgendwo anders. Im Airfield liegen noch überhaupt keine Leitungen, das müsste alles neu gemacht werden, was viel zu lange dauert, als woanders, wo schon bestehende Wohnungen sind.
Dass das Tempelhofer Feld bisher nicht bebaut wurde, liegt an einem Volksentscheid aus dem Jahre 2014. Auch in Heidelberg gab es in den letzten Jahren Bürgerentscheide gegen große Bauprojekte, etwa beim Neubau des Betriebshofs auf dem Großen Ochsenkopf. Gerade formiert sich Widerstand gegen eine geplante Bahntrasse an der südlichen Stadtgrenze. Haben die Heidelberger:innen vielleicht einfach keine Lust auf Veränderung?
Michelsburg: Ich glaube, dass es um etwas anderes geht. Die Menschen wollen sich beteiligen und einbringen. Sie möchten gehört werden und mitentscheiden können. Das wurde teilweise zu wenig gemacht. Beziehungsweise haben sich die Grünen, beim Ankunftszentrum, gegen die Haltung ihrer Basis entschieden. Ich möchte die Menschen von Beginn an stärker einbinden und damit dafür sorgen, dass Bürgerentscheide unnötig werden.
Das Gespräch führten Philipp Rajwa und Joshua Sprenger.
Philipp Rajwa hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.
Joshua Sprenger studiert Politikwissenschaft und öffentliches Recht und schreibt seit dem Sommersemester 2021 für den ruprecht. Er interessiert sich vor allem für Politik, die unterschiedlichsten Sport-Themen und alles was unsere Gesellschaft gerade so umtreibt. Seit dem Wintersemester 2021/22 leitet er das Ressort Weltweit.