Ludwigshafen hat einen schlechten Ruf. Verschrien als hässlichste Stadt Deutschlands, kennen auch so manche Heidelberger Studierende den Ort nur als Punchline von unlustigen, klassistischen Witzen. Hier hat nun der SWR mit der „Bayreuther Straße“ eine sechsteilige Sozialdokumentation über das gleichnamige Problemviertel gedreht.
Ein Jahr lang hat die Serie dessen Bewohner:innen begleitet. Viele beziehen Hartz IV, andere Rente; Familien wie Alleinstehende – Armut verbindet sie alle. Sorgen machen ihnen Gerichtsurteile oder schwere Erkrankungen. Alltägliche Herausforderungen bestehen darin, zehn Tage mit leerem Geldbeutel und leerem Kühlschrank zu überbrücken.
Offiziell gehören die Gebäude im Westen der Bayreuther Straße zum städtischen Einweisungsgebiet. Dort wird einquartiert, wer in Ludwigshafen unverschuldet obdachlos wird. Einmal eingezogen, schaffen nicht alle wieder den Absprung. Entstanden ist eine Parallelgesellschaft der sozial Abgehängten, die Häuser sind sanierungsbedürftig, ihre Bewohner:innen stadtweit stigmatisiert
Manche der Protagonist:innen wollen so schnell wie möglich wieder weg, andere haben sich mit ihrer Wohnsituation abgefunden. Wer bleibt, hat aber nicht aufgegeben, die Serie zeigt auch ihre Hoffnungen und Träume: einen Partner finden, die Kinder vom Jugendamt zurückbekommen, das Leben wieder auf die Reihe kriegen. Es gibt auch viele kleine Glücksmomente, etwa als ein Mann seine Ehefrau mit einem von der Tafel mitgebrachten Blumenstrauß überrascht.
Reportagen über Armut erfordern Sensibilität gegenüber ihren Protagonist:innen. Während der vielgesehene Spiegel-TV-Beitrag über einen Discounter auf der Hamburger Reeperbahn – wenn auch nicht frei von Kritik geblieben – noch als kultig-liebevoll wahrgenommen wird, gelten Privatsender-Formate wie „Hartz und Herzlich“ als bewusst erniedrigend und menschenverachtend. Durch Aufwandsentschädigungen erzeugen sie Anreize für die Dargestellten sich anhand von Regieanweisungen zu verstellen, um so bestehende Vorurteile zu reproduzieren.
Die SWR-Sendung hingegen wolle den „Bayreuther:innen“ auf Augenhöhe begegnen und sie frei erzählen lassen. Honorare seien ihnen nicht gezahlt worden. Die Kommentare aus dem Off beschreiben sachlich, ohne zu werten, und es gibt keine manipulativen Schnitte. Auch die Kamera filmt nur Wesentliches, anstatt beiläufig noch unaufgeräumte Fliesentische vorzuführen. Einen Fauxpas leistet sich die Serie dennoch: Menschen mit starken Akzenten oder Dialekten werden unnötigerweise untertitelt. Das entmündigt und ist herablassend.
Leider braucht es mehr als gute Absichten für gutes Fernsehen. Die Serie bleibt oberflächlich, zeigt überwiegend Momentaufnahmen der Bewohner:innen bei belanglosen Alltagsaktivitäten und geht wenig auf ihr Erleben und Empfinden ein. Emotionale Szenen berühren kaum, da die Menschen darin nicht greifbar werden. Ihre bewegten Biografien werden nur angedeutet.
Optisch macht die Serie wenig her. Schlecht belichtete Weitwinkelaufnahmen mit großer Schärfentiefe erinnern an billig produzierte Nachmittagsprogramme, und die langweilige Farbkorrektur lässt im Vergleich dazu selbst die Tagesschau wie einen Blockbuster aussehen.
Nach einem schwachen Einstieg steigert sich die Serie allmählich. Die Protagonist:innen tauen auf, zeigen ihre liebenswürdigen Seiten. Erzählstränge laufen zusammen und verdeutlichen den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl im Viertel. Leider alles etwas zu spät. Die interessanten, menschlichen Momente bleiben rar. Weniger Folgen und eine bewusstere Erzählstruktur hätten die Serie aufgewertet.
Von Philipp Rajwa
„Die Bayreuther Straße – Hoffnung, Hunger und Hartz IV“
Seit dem 26. November 2020 in der ARD Mediathek und auf SWR Doku.
Philipp Rajwa studiert Angewandte Informatik. Seit dem Wintersemester 2020 schreibt und fotografiert er für den ruprecht, hauptsächlich über Digitales, Lokales und Popkultur.