Der Pazifismus des Professors Emil Gumbel lebt heute noch weiter
Entgegen seiner späteren Gesinnung meldet sich Emil Julius Gumbel nach Mathematik- und VWL-Studium sowie anschließender Promotion 1914 freiwillig als Soldat: „Ich war noch jung genug, um mir von all den patriotischen Reden den Kopf verdrehen zu lassen“, schreibt er selbst dazu. Doch schon ein Jahr später kehrt er aus seinem Genesungsurlaub nicht mehr zurück an die Front. „Ich war zum überzeugten Pazifisten geworden.“ In seinem Buch „Zwei Jahre Politischer Mord“ und späteren Auflagen dokumentiert er ab den 1920er Jahren detailliert über 300 Morde der frühen Weimarer Republik – fast ausschließlich von Rechts. Er erkennt: „Es war ein System dahinter. Man konnte sogar voraussagen, wer die nächsten Opfer sein würden.“ Vor allem kritisiert er, dass die Mörder fast nie verurteilt wurden.
Diese Analyse ist so präzise wie unbequem. Gumbel wird zum Feindbild nationalistischer Kreise. Sein konsequenter Pazifismus wird ihm in den folgenden Jahren noch mehr zum Verhängnis. 1923 – Gumbel lehrt bereits in Heidelberg – argumentiert er auf einer Veranstaltung des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenbundes, das einzig würdige Denkmal für den Ersten Weltkrieg wäre eine Kohlrübe, um an die Hungerjahre 1917 und 1918 zu erinnern. Daraufhin wird er zur Zielscheibe von Freikorps und nationalsozialistischen Studentenverbänden, mehr als er es als Sozialist, Kriegsgegner und Jude ohnehin schon gewesen sein dürfte. Ab 1932 kann er ohne Polizeischutz sein eigenes Haus nicht mehr verlassen. 1933 landet er schließlich auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nationalsozialisten.
Die folgenden Jahre lehrt er in Lyon, im Oktober 1940 gelingt ihm knapp die Emigration in die USA. Dort erhält er 1953 eine Professur an der Columbia University. 1966 stirbt er in New York. Weil seine Entlassung schon vor der Machtergreifung erfolgte, tauchte sein Name nicht auf der Gedenktafel vertriebener Dozenten auf. Erst 1991 wurde er durch die Universität Heidelberg rehabilitiert.
In Heidelberg lebt sein Name weiter: Bei der jährlichen Lesung verbrannter Bücher wird regelmäßig aus seinen Texten gelesen. Auch findet sich Gumbels Erbe heute indirekt in der Arbeit der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) wieder. Diese listet Todesopfer rechter Gewalt von 1990 bis heute auf ihrer Website. Während von Seiten der Bundesregierung in diesem Zeitraum nur 115 solche Morde offiziell geführt werden, zählt die AAS mindestens 221 Opfer rechter Gewalt sowie 17 Verdachtsfälle. Bei diesen Fällen sei laut ihren Recherchen das Motiv gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und eine generelle „Vorstellung einer Ungleichwertigkeit von Menschen“ klar erkennbar. Die AAS kritisiert, wie einst Emil Gumbel, dass der Staat zu ungenau bei der Erfassung dieser Fälle vorgehe. Fakt bleibt: Außer Gumbels Recherchen und der AAS-Liste gab es in Nachkriegsdeutschland keine systematische Erfassung rechter Morde.
Von Louisa Büttner und Justus Brauer
…studiert Politikwissenschaft und Germanistik. Sie wirkt seit Herbst 2023 beim ruprecht mit, nimmt kein Blatt vor den Mund und plädiert stetig für ein Sport-Ressort.
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.









