Sind Erotikfilme sexuelle Befreiung oder Unterdrückung? Das Feministische Bündnis Heidelberg sieht das gesellschaftliche Verhältnis zu Sexarbeit kritisch und bot mit einer Tagung eine alternative Perspektive
Pornografie ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Umfragen schätzen, dass circa 90 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen regelmäßig pornografische Inhalte konsumieren. Und obwohl die Verbreitung an Minderjährige offiziell verboten ist, sind die Hürden dafür im digitalen Zeitalter denkbar gering. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Feministische Bündnis Heidelberg am 27. und 28. April die Tagung „Erregender Frauenhass. Eine Kritik der Pornografie“, um eine moderne, feministische Perspektive auf das Thema Sexarbeit zu bieten. Die ehemalige Prostituierte und Pornodarstellerin Sophie H. verurteilte gleich zu Beginn ihre ehemalige Branche. Das Narrativ der selbstbestimmten Sexarbeiterin sei für sie ein Mythos. Auch Handlungen, die sich im Moment freiwillig anfühlen, könnten im Nachhinein traumatisierend wirken. Prostitution und Pornografie blieben so im Lohnarbeitskontext moralisch unvertretbar.
Hannah Vatter von der Universität Potsdam kritisierte im nachfolgenden Beitrag vor allem die moderne Debatte über Pornografie: Viel Aufmerksamkeit liege auf der Porno-Sucht von Männern, zu selten werde der Fokus auf leidende Frauen gelegt. Auch gelte Sexarbeit mittlerweile als Form der endgültigen feministischen Emanzipation und Kritik an der Porno-Industrie selbst würde so leicht als Kritik an der sexuellen Selbstbestimmung abgewertet. Eine feministische Perspektive müsse aber auch moderne Formen der Pornografie kritischer betrachten.
Zum Abschluss des ersten Tages bot die Autorin Koschka Linkerhand noch einige interessante Betrachtungen zum Begriff der sexuellen Gewalt. Statt von sexueller, von sexualisierter Gewalt zu sprechen, rücke vor allem den Gewaltaspekt der Straftaten in den Vordergrund. Gleichzeitig rechtfertige er allerdings die Sexualität als Instrument der Verbrechen. Vernachlässigt werde dabei, dass gewaltförmige Sexualität dennoch Teil unserer Gesellschaft sei und vor allem von Männern ausgeübt werde. Sie betonte auch die enge Verbindung von Kapitalismus und Patriarchat.Am zweiten Tag befasste sich die Referentin Jagda Hügle mit dem Pornokonsum von Jugendlichen. Dabei betonte sie, dass Jugendlichen mittlerweile eine Doppelrolle zukomme – sowohl als Konsument:innen als auch Creator:innen, beispielsweise über Onlyfans. Hügle wies ebenso auf die schwierige Studienlage hin: Bei Untersuchungen müsse man sich auf bereits gemachte Erfahrungen der Jugendlichen verlassen, da ein Vorführen pornografischer Inhalte vor diesen einen Straftatbestand darstelle. Aufgrund dieser komplizierten Ausgangslage können zwischen sexuellem Verhalten und Pornografiekonsum keine kausalen Schlüsse gezogen werden, sondern nur Korrelationen.
Zum Abschluss bot Mona Schäck einen Ausblick, wie die „Por–No“-Bewegung, die ein Verbot jeglicher Pornografie forderte, reformiert werden könnte. Deutlich machte sie ihre Thesen am Film „Deep Throat“, der in den 1970er Jahren im regulären Kino gezeigt wurde und weltweit 600 Millionen Dollar einspielte. Die Hauptdarstellerin Linda Lovelace avancierte sich zum Sex-Symbol und einer Ikone der sexuellen Befreiung. In ihrer Autobiografie rechnete sie damit jedoch ab: Neben fehlender Bezahlung habe sie mehrfach sexuelle Gewalt erlebt, niemand am Set sei eingeschritten. Schäck übte generelle Kritik an den patriarchalen Produktionsbedingungen in der Mainstream-Pornografie. Trotz der sogenannten sexuellen Befreiung profitierten nach wie vor vor allem Männer von der Ausbeutung und Objektifizierung von Frauenkörpern. „Pornografie und ihre Konsument:innen halten uns einen Spiegel vor, was für sexuelle Fantasien und Verhältnisse in unserer Gesellschaft vorherrschen. Frauen werden wie Objekte behandelt und ihre Sexualität instrumentalisiert, um ausschließlich Männer zu befriedigen“, äußerte sich Charlotte H., Mitorganisatorin, rückblickend über die Tagung. Alle Vorträge sowie Hinweise auf neue Veranstaltungen finden sich auf feministisches-buendnis-hd.de. Auch findet am 15. Mai um 18 Uhr ein Neuentreffen für alle Interessierten im Laden für Kultur und Politik in der Kaiserstraße statt.
Von Simon Stewner und Justus Brauer
… hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.
Simon Stewner studiert im Global History im Master of Arts und ist seit Oktober 2023 beim ruprecht. Er interessiert sich sowohl für (stadt-)historische als auch gesellschaftliche Themen. Wenn er nicht gerade über seinen nächsten ruprecht-Artikel nachdenkt, unterstützt er die Bildredaktion.