Nerd-Corner: Unsere Rubrik zu nischigen Themen aus der Wissenschaft
Warum Biolog:innen mit Würmern und Fliegen hantieren
In der akademischen Welt ist der Gedanke, dass Forschung auch mit Wissenschaftskommunikation einhergehen sollte, mittlerweile angekommen.
Erkenntnisse der Öffentlichkeit verständlich zu vermitteln, erlaubt es nicht nur, die Relevanz des eigenen Themengebiets näher zu bringen, sondern ist gerade in Zeiten von Verschwörungstheorien, Falschinformationen und ungestützten Aussagen gegenüber Paracetamol von großer Bedeutung für die Stellung von Wissenschaft und Medizin in der Gesellschaft. Hat man als Feld-Studi mal Kontakt mit Menschen, die vielleicht nichts mit MINT-Fächern am Hut haben, fällt aber schnell auf: Das Ganze ist dann doch recht kompliziert. Spätestens, wenn man den Eltern am Mittagstisch erklären muss, dass man den lieben langen Tag eigentlich nichts anderes macht, als mit Würmern im Labor zu hantieren, kommt man sich vielleicht etwas doof vor. Physiker:innen beschäftigen sich mit Quanten und Sternen, Chemiker:innen mit komplizierten Synthesewegen und Biolog:innen eben mit Fliegen, Fischen und gelegentlich mal dem ein oder anderen Wurm.
Auf den ersten Blick hört sich die biologische Grundlagenforschung vielleicht etwas scherzhaft an. Dahinter steckt aber ein ganz zentrales Konzept – die Rede ist von sogenannten Modellorganismen. Es handelt sich dabei um ausgewählte Spezies, die im Labor als Modellsystem agieren. Das bekannteste Beispiel hier ist wahrscheinlich die Maus. Dass sie, besonders in der medizinischen Forschung, nicht wegzudenken ist, ist keine Frage.
Gerade aus ethischen Gründen versucht man sich, wo es möglich ist, jedoch von komplexen Lebewesen im Labor zu entfernen. Genetische Fragestellungen kann man beispielsweise in vielen Fällen auch an Fliegen klären – mit der teilen wir uns nämlich 75 Prozent unserer DNA. Die Fruchtfliege, oder auch Drosophila melanogaster, hat 1995 der deutschen Forscherin Christiane Nüsslein-Vollhardt den Nobelpreis eingebracht. Sie entschlüsselte anhand des Insekts grundlegende Mechanismen der frühen Embryonalentwicklung.
Ein weiterer wichtiger Organismus im Labor ist der Zebrabärbling. Ursprünglich war der kleine bunte Karpfenfisch vor allem in Bangladesch und Pakistan beheimatet. Neben seiner Beliebtheit als Aquarienbewohner interessieren sich Biolog:innen hierzulande jedoch unter anderem für seine regenerativen Fähigkeiten. Schwanzflosse, Augen und sogar Herz kann der Zebrabärbling nachwachsen lassen. Die molekularen Komponenten dieses Prozesses aufzuschlüsseln, könnte uns auch beim Verständnis der eigenen Gesundheit helfen. Klar kann man den Menschen nicht mit einem Fisch gleichsetzen, aber das braucht man in diesem Falle auch gar nicht. Viele Schlüsselkomponenten, die in biologischen Angelegenheiten greifen, sind nämlich “hoch konserviert”. Heißt: In den Genen und Zellen der unterschiedlichen Organismen laufen eigentlich sehr ähnliche, wenn nicht sogar die gleichen Prozesse ab.
Abstrakter wird es dann, wenn man sich weiter zu den nischigeren Modellorganismen hinbewegt. Der Strudelwurm Platynereis dumerilii ist lediglich zwei bis vier Zentimeter lang und kommt eigentlich aus der Küstenregion Japans. Im Labor kommt er in der Evolutionsbiologie zum Einsatz. Dass sein Nervensystem sich die letzten paar tausend Jahre nicht weiterentwickelt hat und der Wurm somit eine Art lebendes Fossil darstellt, ermöglicht es, ganz primitive neuronale Prozesse zu untersuchen.
Abhängig vom Labortier kann man also verschiedene Fragen in der Biologie beantworten. Zwar kommen mittlerweile vermehrt nicht -tierische Modelle zum Einsatz, ganz können Organoide, Zellkulturen und Co. Tierversuche aber nach dem aktuellen Stand noch nicht ersetzen. Klar ist: So weit wie heute wäre die Wissenschaft ohne Experimente an Tieren mit Sicherheit nicht. Dennoch verliert man bei der täglichen Laborarbeit mit Lebewesen recht schnell den Bezug dazu, was eigentlich moralisch vertretbar ist. Die Nutzung von Modellorganismen hat zwar den Vorteil, dass sie viele grundlegende Fragen auf vergleichsweise einfache Weise zugänglich macht, aber es entbindet uns nicht von der Verantwortung, ihre Nutzung auch ethisch zu hinterfragen.
Von Elena Lagodny
...studiert Biowissenschaften, schreibt seit WS 2023 für den Ruprecht und nutzt Interviews als Grund um mit interessanten Leuten zu reden
...schreibt wonach ihr grade der Sinn steht und leitet seit dem Sommersemester 2025 die Bildredaktion als 50% einer Doppelspitze









