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Kafka in zehn Sekunden

von Katharina Frank
10. April 2025
in Ausgabe, Feuilleton, Literatur, Startseite
Lesedauer: 3 Minuten
0
Kafka in zehn Sekunden

Grafik: Katharina Frank

Der Schriftsteller Franz Kafka erlebt auf Tiktok ein Revival, das seine zeitlose Relevanz unterstreicht – und Fragen nach der Tiefe des digitalen Hypes aufwirft

Als ich im letzten Jahr eines Morgens aus dem Scrollen auf Tiktok erwachte, fand ich mich in einem ungeheuer anderen Video auf meinem Bildschirm wieder. Denn der deutsche Schriftsteller Franz Kafka, dessen Todestag sich 2024 zum 100. Mal jährte, ist zu diesem Anlass nicht nur Gegenstand diverser Filme, wie „Die Herrlichkeit des Lebens“ oder der ARD-Serie „Kafka“. Zusätzlich erlebt er auch einen nie dagewesenen Hype in den sozialen Netzwerken. Ob ihm selbst dieser Wirbel um seine Person so recht gewesen wäre, wenn man bedenkt, dass er sein Werk nach seinem Tod verbrannt wissen wollte, sei einmal dahingestellt. Viel quälender ist jedoch die Frage, was im Besonderen die Generation Tiktok an seinem Werk so fasziniert, dass sie Videos dazu millionenfach klickt. Dies erscheint umso verwunderlicher vor dem Hintergrund, dass die Aufmerksamkeits- spanne, die benötigt wird, um ein kurzes Video auf Tiktok durchzuscrollen, wenig mit der zu tun hat, die letztendlich aufgebracht werden muss, um einen langen und voller Windungen steckenden kafka’schen Schachtelsatz in seiner Vollständigkeit zu entschlüsseln. Es ist ein eigentümlicher Apparat, dieses Smartphone, dass es einem scheinbar die deutsche Literatur näherbringen kann. Was in den Klassenzimmern oftmals misslingen mag, sodass dadurch ein Lehrer dem anderen vielleicht in großem Schwunge bereits seltsam lächelnd das Aufgeben empfahl, scheint nun erreicht. In gänzlich offensichtlicher, wenig kafkaesk rätselhafter Manier mag sich in obigem Abschnitt schon angedeutet haben, dass die letztjährige Aufmerksamkeit dem Namen „Kafka“ vielleicht wieder etwas mehr Leben einhauchen mag – seinem Werk aber kaum.  

Ganz davon abgesehen, dass sich darüber streiten lässt, ob man Worte, die so zahlreiche Interpretationen zulassen wie die seinen, durch eine Verfilmung in eine feste Form gießen sollte, ist sicher klar, dass ein maximal zehn Sekunden dauerndes Video ihm und seinem Werk kaum gerecht wird – manch ein Satz verweigert sich in dieser Spanne sogar dem Lesen. Umso interessanter also ist, was diesen Hype wohl befeuerte. 

Eine Rolle spielt gewiss der Umstand, dass Kafkas Werk gänzlich zeitlos ist, die Texte spielen zu keiner festen Zeit, an keinem festen Ort, sind oft so absurd, dass sie über eine Erzählung hinausgehen, tief in die Fantasie greifen und Bilder erschaffen, die man so kein zweites Mal findet. Aber darüberhinaus beschreiben sie tief empfundene Gefühle, losgelöst von den Ketten und aktuellen Problemen der Welt. 

Der Gedanke, sich fremd, einsam und fern von und in dieser zu fühlen, ist daher häufig mit Kafka verbunden. Auch dieser Umstand ist zeitlos und schafft gerade in unsicheren und von Krisen geprägten Zeiten wie den unseren einen Anflug von Vertrautheit. Vielleicht gelingt dadurch sogar das Kunststück, das Werk Kafkas nicht überzuinterpretieren, wozu es oftmals einlädt, sondern einfach auf sich wirken zu lassen. 

Zitate, aus den Erzählungen oder Briefen gerissen, die in Kacheln aufbereitet neben Tanzvideos und Lipsyncs vegetieren, werden dabei der künstlerischen Genialität des Autors wohl nicht gerecht. Aber sie stellen die Wirkung und das Empfinden über die kognitive Interpretation – und das ist etwas, was zu vermitteln in vielen Klassenzimmern und Vorlesungssälen mit Sicherheit misslingt.  

Fest steht also, dass der Konsum von Beiträgen, die mit dem Hashtag „#Kafka“ versehen sind, keinesfalls die Lektüre des selbigen ersetzt – aber dazu anregen kann, sie mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf zu rezipieren. 

Kafka Fun Facts

› Als Kafka das erste Kapitel seines Romanfragments „Der Prozess“ seinen Freunden vorlas, musste er vor Lachen das Vorlesen gänzlich unterbrechen.

› Mit seinem Freund Max Brod erfand Kafka im Spaß den Reiseführer „Billig in Paris“. Er brachte Brod tatsächlich dazu, mit Verlegern zu verhandeln. Die Verhandlungen mit dem Verlag scheitern, weil Max und Franz das Geheimnis des billigen Reisens nicht ohne gewaltigen Vorschuss verraten wollten. 

von Katharina Frank 

Katharina Frank
+ postsBio

...studiert Physik im Bachelor und schreibt seit Ende 2023 für den ruprecht. Sie interessiert sich besonders für Wissenschaftskommunikation und Berichte aus Musik, Film und Fernsehen.

  • Katharina Frank
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