Viele Heidelberger Studierende fahren täglich Straßenbahn – als Fahrgäste. Laura studiert ebenfalls, aber sitzt wöchentlich im Fahrhäuschen. Im Interview gibt sie unserer Redakteurin einen Einblick in ihre Perspektive als Straßenbahnfahrerin. Sie erzählt von der Ausbildung und worauf es beim Fahren ankommt. Außerdem berichtet sie von ihren Erfahrungen mit unliebsamen Fahrgästen und ihrer liebsten Straßenbahnlinie.
Wer bist du, Laura?
Ich bin Laura, 24 Jahre alt, studiere Biochemie im Master und stehe kurz vor meinem Abschluss.
Wie bist du zum Straßenbahnfahren gekommen?
Ich habe tatsächlich während des Bachelors eine Infoanzeige an einem Fahrkartenautomaten gesehen und fand ziemlich cool, dass es so etwas für Studenten überhaupt gibt. Aber mein Bachelorstudium war zeitlich ziemlich voll, weshalb die Idee ein bisschen in den Hintergrund gerückt ist. Weil ich dann aber beim Übergang vom Bachelor zum Master längere Zeit frei hatte, habe ich wieder dran gedacht, und dachte: Ja, jetzt mache ich das. Das war im Juli 2021 und da habe ich direkt mit der Ausbildung begonnen.
Wie funktioniert so eine Ausbildung, also wie lange dauert sie?
Die normale Ausbildung dauert vier Monate. Die für Studenten aber nur insgesamt acht Wochen, also zwei Monate. Das ist extra so komprimiert, weil Studenten schon mehr im „Lernmodus“ sind. Man muss sich aber schon sicher sein, dass man das will, weil es sehr zeitaufwendig ist. Zuerst hat man viele theoretische Inhalte. Man lernt beispielsweise erstmal die ganzen Strecken auswendig. Und dann lernt man, Signale zu unterscheiden, denn für die Straßenbahn gibt es nochmal ganz andere „Verkehrszeichen“.
Im Praxisunterricht fährt man dann viel. Man fängt tatsächlich schon ab dem zweiten Tag an zu fahren, weil man sehr viele Fahrstunden braucht – jede Strecke wird einmal abgefahren – einmal tagsüber, einmal nachts. Dafür gibt es eine Fahrschulstraßenbahn, also ein spezielles Fahrzeug. Zwischendurch hat man auch noch regelmäßig Tests und am Ende drei Prüfungen: eine schriftliche, eine mündliche und eine praktische Prüfung.
Was magst du besonders am Straßenbahnfahren?
Einerseits tatsächlich den Umgang mit Menschen. Das ist nicht jedermanns Sache, aber ich finde es cool, und manche Menschen sind auch immer sehr nett, wenn man ihnen hilft – zum Beispiel, wenn man eine Fahrplanauskunft gibt. Klar, der Bereich vorne ist abgeschlossen, aber viele Menschen klopfen dann einfach ans Fenster und so kommt man ins Gespräch. In neueren Zügen ist das allerdings nicht mehr so, da gibt es dann nur noch die Sprechanlage und das ist dann nicht so schön. Landschaftlich gefällt mir besonders die Strecke nach Bad Dürkheim, morgens durch die Weinberge. Und dann fahre ich natürlich einfach gerne, so wie andere Menschen gerne Auto fahren.
„Und dann fahre ich natürlich einfach gerne, so wie andere Menschen gerne Auto fahren.“
Wie wichtig ist der Kontakt beziehungsweise die Kommunikation mit den Fahrgästen?
Ich finde das sehr wichtig. Gerade bei hohen Verspätungen oder wenn man außerplanmäßig auf der Strecke halten muss, sehe ich es als Recht des Fahrgastes an, zu erfahren, was los ist. Denn dann fühlt man sich als Fahrgast in seiner Frustration ernst genommen, wodurch sich weniger Aggressionen anstauen können. Nur dann ist auch die Einsicht möglich, dass die Fahrer in der Regel gar nichts dafür können.
Warum gibt es so oft Verspätungen und wie beeinflusst dich das als Fahrerin?
Da gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. Manchmal dauert das Einsteigen lange, oder einige Fahrgäste stellen sich in die Türe. Manchmal muss ich auch halten, weil ein Unfall passiert ist und die Strecke deswegen gesperrt wurde – eine Straßenbahn ist ja auch nur ein Verkehrsteilnehmer.
Außerdem gibt es noch das Problem, dass man an den Endhaltestellen nicht viel Zeit zum Wenden hat. Hat man dann Verspätung gesammelt, verkürzt sich die Wendezeit weiter und als Fahrer bleibt weniger Zeit für eine kurze Pause. Das stresst natürlich auch die Fahrer – nicht nur die Fahrgäste. Wenn sich dann über mehrere Stunden Verspätungen anhäufen, hat man keine Zeit, mal kurz frische Luft zu schnappen oder aufs Klo zu gehen.
Natürlich versucht man als Fahrer, die Verspätung wieder reinzuholen. Aber man ist auch abhängig vom Verkehr. Und dann bleibt nicht mehr viel übrig, außer mit Verspätung so gut es geht durchzukommen.
Was waren deine prägendsten Erlebnisse beim Fahren – sowohl positiv, als auch negativ?
Das Schönste, was ich bisher erlebt habe, war Silvester. Da bin ich durch die Innenstadt gefahren und mit dem Feuerwerk war das einfach sehr schön. Tatsächlich hatte ich aber auch einmal beinahe einen Unfall. Zwei Autos sind über die rote Ampel gefahren, weil die Kreuzung frei war. Das eine Auto war dabei vom anderen verdeckt. Ich fuhr ganz normal über die Kreuzung – aber das Auto hatte mich nicht gesehen – und plötzlich stand es auf den Gleisen. Und ich fahre einen Langzug mit 40km/h und der Bremsweg ist einfach furchtbar lang. Zum Glück hat das Auto es dann noch rechtzeitig aus dem Weg geschafft. Danach war ich schon eine ganze Weile schreckhafter. Man hat als Straßenbahnfahrer letztendlich einfach sehr viel Verantwortung. Man ist der stärkste Verkehrsteilnehmer, trägt die Verantwortung für viele Menschen und kann nicht ausweichen.
Gibt es Vorurteile, die du klarstellen möchtest?
Also zum einen möchte ich betonen, dass Bahnfahrer auch nur Menschen sind. Es gibt dieses Vorurteil, wenn man dann irgendwann die Türen zu macht, dass man nur wegwolle, um zum Beispiel eine Raucherpause zu machen. Aber ich arbeite gerne mit Menschen, sonst könnte ich den Job nicht machen. Ich kann aber auch nicht auf jeden warten, der angerannt kommt, denn dann verspätet sich die Bahn und das ärgert wiederum andere Fahrgäste. Das ist ein Balanceakt. Tatsächlich begegne ich auch oft dem Vorurteil, dass man nur Bahn fährt, weil man sonst nichts anderes geschafft habe. Viele aber fahren Straßenbahn, weil ihnen das Spaß macht.
Interagierst du mit Kollegen, wenn sich zwei Straßenbahnen begegnen?
Ja, winken ist schon sehr wichtig, das ist so ziemlich das Erste, was man in der Fahrschule lernt. Manche heben die Hand, winken, geben Lichthupe. Jeder hat da seine individuelle Geste.
Wie beeinflusst der ÖPNV in deinen Augen die Lebensqualität der Stadt?
Im Vergleich zu ländlichen Regionen ist man mit dem ÖPNV im Urbanen sehr flexibel. Da Busse und Bahnen in der Regel alle zehn bis 20 Minuten fahren, kommt man so schnell von A nach B, auch noch spät abends. Dass man außerdem in der Innenstadt auf das Auto und somit auf langes Stehen im Feierabendverkehr verzichten kann, sehe ich als großen Gewinn an. Leider ist dieses Angebot durch den Fachkräftemangel stark eingeschränkt.
Was wünschst du dir von den Fahrgästen?
Zum einen, dass man die Fahrer mit mehr Respekt behandelt. Sowohl, wenn sich Aggressionen wegen Verspätungen sammeln als auch, wenn diese eigenverantwortlich entstehen, zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen. Zum anderen ist auch ein respektvoller Umgang mit den Fahrzeugen wichtig. Manchmal wird im Zug randaliert und es werden Scheiben eingeschlagen. Das betrifft dann sowohl mich als Fahrer, als auch die anderen Fahrgäste, weil zum Beispiel Türstörungen auftreten.
Und von anderen Verkehrsteilnehmenden?
Dass man beachtet, dass die Bahn kein Auto ist und einen sehr, sehr langen Bremsweg hat. Fußgänger oder Kinder, die schnell über die Gleise rennen oder an diesen spielen, denken da oft nicht dran. Natürlich klingele ich dann, bevor ich in den Bahnhof fahre oder so. Aber trotzdem ist das furchtbar gefährlich und ich bin letztlich verantwortlich. Da wünsche ich mir mehr Rücksicht.
Womit sollen sich Menschen mehr beschäftigen?
Bisher haben wir hauptsächlich über die Verantwortung des Fahrers gesprochen. Aber auch als Fahrgast kann man viel Einfluss darauf nehmen, ob Züge pünktlich ankommen und alles reibungslos abläuft. Man kann nach rechts und links schauen, wenn man nach dem Aussteigen über die Gleise läuft oder zügig einsteigen und darauf achten, dass man die Lichtschranken nicht blockiert – der Fahrer wird es danken!
Frage aus der Leser:innenschaft:
Siehst du den Beruf durch Technologie gefährdet, gerade in Bezug auf autonomes Fahren?
Eigentlich nicht direkt. Also klar, gegen den Fachkräftemangel wird es irgendwann tatsächlich ein großer Vorteil sein, weil man den Personalmangel ausgleicht. Aber das kommt auf die Strecke an. In Mannheim fährt die Bahn mitten durch die Fußgängerzone durch und da muss man dauerhaft fokussiert sein. Mein Fahrlehrer meinte in der Ausbildung: „Man muss schon wissen, ob eine Person über die Straße läuft, bevor die Person es selbst weiß.“ Und das kann die Maschine eben nicht. Auf anderen Strecken ist es vielleicht möglich, die Maschine zu programmieren, aber auf Straßen, wo so viele Menschen sind, halte ich das für unrealistisch.
Das Gespräch führte Katharina Frank
Katharina Frank studiert Physik im Bachelor und schreibt seit Ende 2023 für den ruprecht. Sie interessiert sich besonders für Wissenschaftskommunikation und Berichte aus Musik, Film und Fernsehen.
Bastian Mucha studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.