Erste deutsche Doktorin der Chemie und Pazifistin. Unsere Reihe zum Matilda Effekt
Jedem armen Tropf, der sich durch den Chemieunterricht der 9. Klasse quälen durfte, sollte das Haber-Bosch-Verfahren zumindest abstrakt ein Begriff sein. Kurz gesagt geht es um die Ammoniak-Synthese. Für die Entwicklung des Verfahrens erhielten Fritz Haber und Carl Bosch den Nobelpreis für Chemie. Unerwähnt in der Geschichte bleibt jedoch oft die Chemikerin Clara Immerwahr. Als erste deutsche Frau erhielt sie 1900 einen Doktor der Chemie. Ihre Dissertation über schwerlösliche Metallsalze wird bis heute viel zitiert.
Nach ihrer Heirat mit dem eingangs erwähnten Fritz Haber und der Geburt ihres Sohnes sah sie sich gezwungen ihre Labor- und Forschungstätigkeiten aufzugeben. Im Bekanntenkreis des Ehepaares wurden ihre Kochkünste allseits gelobt. Das muss für die promovierte Wissenschaftlerin sicherlich sehr erfüllend gewesen sein. Kompensatorisch las sie regelmäßig die Manuskripte und Forschungsartikel ihres Mannes Korrektur und hielt Vorträge für Arbeiter:innen über Chemie in Küche und Haushalt. Während Haber einen wissenschaftlichen Erfolg nach dem anderen feierte, entfremdete sich Immerwahr zusehends von ihrem Mann. Ein wesentlicher Grund hierfür war, dass Haber im Ersten Weltkrieg dafür arbeitete, die Giftgase Chlor und Phosgen kampfbereit zu machen (er trägt heute den Beinamen „Vater des Gaskriegs“).
„Ich halte Vortrage für über 100 Hörerinnen: Die Damen sind begeistert.“
Immerwahr empfand den Einsatz von Giftgas jedoch als inhuman, bezeichnete ihn als Perversion der Wissenschaft und sprach sich deutlich gegen die völkerrechtswidrige Verwendung der Giftgase aus. Im Mai 1915 beging die Chemikerin mit nur 44 Jahren Suizid. Über ihre Motive gibt es keine Klarheit. Sowohl ihr zerrüttetes Eheverhältnis und die Entdeckung der Untreue Habers als auch ihre Gewissenskonflikte aufgrund des Gaskriegs gelten als mögliche Erklärungen.
Den Namen ihres Mannes findet man heutzutage in jedem Geschichts- und Lehrbuch. Der Name Clara Immerwahr findet hingegen höchstens in Fußnoten oder Randnotizen Erwähnung. Ein klassisches Beispiel für den Matilda-Effekt, denn die akademischen Errungenschaften und die pazifistische Haltung von Clara Immerwahr waren herausragend für die Zeit, in der sie lebte.
Von Lily Grau
...schreibt wonach ihr grade der Sinn steht und leitet seit dem Sommersemester 2025 die Bildredaktion als 50% einer Doppelspitze








