Kein Instagram, kein Spotify, kein Whatsapp: Was passiert, wenn man sieben Tage lang kein Smartphone benutzt? Unsere todesmutige Redakteurin hat den Retro-Lifestyle ausprobiert
Egal, welcher Studie man glaubt: Im Durchschnitt schauen die Deutschen über fünfzig Mal am Tag aufs Handy. Die Bildschirmzeit summiert sich auf mehrere Stunden. Eine Woche lang will ich mir meine Zeit zurückholen. Von Social Media und Messengerdiensten halte ich mich für die Dauer dieses Selbstversuchs vollkommen fern. Internetzugang habe ich nur über meinen Arbeitslaptop.
Am Abend vor dem Selbstversuch schreibe ich mir die wichtigsten Handynummern auf Papier und teile wichtigen Kontakten meine neue Nummer mit. Ich füttere mein stilechtes Nokia, das luxuriöserweise mit integriertem MP3-Player daherkommt, mit einer Playlist. Erst als das Smartphone schon aus ist, fällt mir ein, dass ich gar keinen Wecker mehr besitze – zum Glück hat das Tastenhandy eine spartanische Weckfunktion.
Der erste Tag, ein Mittwoch, beginnt mäßig. Ich sitze im Bus, als ein Freund mich anruft. Am Bismarckplatz wird die Verbindung zu schlecht, wir müssen auflegen.
In Vorlesungen wird mir schneller langweilig, als sonst. In einer Endlosschleife der Übersprungshandlungen aktualisiere ich immer wieder mein Mailpostfach.
Abends treffe ich Freunde. Einer freut sich über meinen Retro-Klingelton, nur um mich Minuten später aufzufordern, ihm ein Video von dem ich rede, doch einfach zu zeigen. Er bemerkt den Fehler bei der Sache erstaunlich spät.
Vor dem Schlafengehen schaue ich die Wettervorhersage an – und fahre dafür gezwungenermaßen den Laptop nochmal hoch. Weil mir Podcasts fehlen, nutze ich zum ersten Mal seit Jahren wieder den CD-Modus meiner Stereoanlage.
Am zweiten Tag wache ich auf und will mit irgendjemandem reden. Ich rufe den Freund an, der am ersten Tag im Bus mit mir telefoniert hat. Plötzlich bricht die Verbindung ab und ich muss feststellen, dass ich mit meinem Tarif nicht in alle Netze kostenfrei telefonieren kann. Ich suche, aber finde spontan keine Allnetflatrate ohne inkludierte mobile Daten. Man muss eigentlich überall für Internet mitzahlen. Aus versehen 11 Euro für ein Telefonat auszugeben finde ich ziemlich retro.
An diesem Abend kommt zum ersten Mal der Punkt, an dem ich mich auch zuhause langweile. Es dauert nicht lange, bis ich in alte Muster falle und etwas zeichne. Das habe ich früher oft getan, aber seit sicher einem Jahr nicht mehr einfach so. Ich skippe das erste Kapitel der CD zum Einschlafen.
An Tag drei gehe ich trainieren. Meine MP3s passen dazu überhaupt nicht, also muss ich mir die Musik im Studio antun. Trotzdem fühlt es sich falsch an, das Handy im Spind zu lassen. Ich nehme es sinnlos von Gerät zu Gerät mit. Meine Kalender-App fehlt mir. Stattdessen nutze ich jetzt SMS-Entwürfe für meine Notizen. Als am Abend in einer Gruppe zwischendurch alle auf ihre Smartphones schauen, schaue ich auf mein Nokia. Dabei gibt es nichts zu sehen.
Am vierten Tag rufe ich morgens wieder den Freund an. Jamend fragt mich, wie das Experiment sei. Ich kann nicht viel berichten. Trotz allem fühlt es sich bisher nicht so unnormal an, wie ich erwartet hätte. Abends lasse ich jetzt oft nebenbei Netflix laufen. Ich suche online neue Musik, weil mir meine Auswahl schon zu klein wird. Ich tausche die CD in meiner Anlage aus. An Tag fünf bin ich krank, kann also niemanden treffen und mangels Stimme auch nicht telefonieren.
Insgesamt bin ich sehr unzufrieden. Ich esse mehr als sonst, werde aber nicht satt. Mein Hirn sucht sich Beschäftigung: Ein Bekannter hat Drehtabak bei mir liegen gelassen, also lerne ich, Zigaretten zu drehen – dabei rauche ich gar nicht. Ich google nach Immobilienpreisen und Ausbildungsberufen und zweifle plötzlich an meinem Leben. Das könnte ein Zufall sein, aber es fühlt sich nicht so an. Meine Pseudo-Sozialkontakte und Youtube-Shorts fehlen mir. Ich liege lange lethargisch am Fenster und tue gar nichts. Tag sechs. Ich habe ein ganz deutliches Verlangen nach meinem Smartphone. Es ist vergleichbar mit der Lust auf Alkohol oder Schokolade.
Obwohl ich mich noch nicht komplett fit fühle, telefoniere ich und treffe Freunde. Meine Laune bessert sich merklich. Der Abend bringt noch einmal nihilistische Schübe, aber ich habe das Gefühl, mehr bei mir zu sein als sonst. Definitiv bin ich ruhiger und meine Gedanken fokussierter. Am siebten Tag geht das Interesse am Handy wieder zurück. Abends gehe ich zur Sitzung des Studierendenrats. Ich kommuniziere mehr mit meinem Sitznachbarn als sonst und male den Serviervorschlag auf einer Müsliriegelpackung ab. Vergleichbare Selbstbeschäftigungsmaßnahmen sind mindestens so lang her, wie mein letzter Kurs mit Anwesenheitspflicht. Das ist der letzte Abend des Selbstversuchs.
Am ersten Tag danach schalte ich das Smartphone erst nachmittags wieder ein. Es widerstrebt mir irgendwie, den Flugmodus zu verlassen, also nehme ich mir Zeit bis 21 Uhr. Verteilt auf vier Messenger habe ich knapp 350 neue Nachrichten. Sie durchzusehen fühlt sich an, wie Mails zu beantworten. Es dauert eine Woche, bis das große Smartphone in der Tasche nicht mehr stört. Die Angewohnheit, ständig auf neue Nachrichten zu kontrollieren, ist schneller wieder da und wie viel leichter ich Antworten eintippen kann, ist befreiend. Auch Sprachnachrichten habe ich vermisst. Ein paar Tage nach Versuchsende vergesse ich, als ich in die Küche gehe, ein letztes Mal das Smartphone am Schreibtisch.
Das Fazit? Ich habe nicht mehr für die Uni getan, aber produktiver prokrastiniert. Simple Dinge haben mehr Spaß gemacht. Die ständige Bestätigung oder Ablehnung im Chat gegen seltenere, aber dafür persönliche Telefonate zu tauschen, hat mir gutgetan. Die Leute, die mich wirklich erreichen wollten, waren im Schnitt zuverlässiger als sonst. Mein subjektives Verhältnis zu den Menschen um mich herum war über die Woche auffällig gut. An Social Media haben mir weniger die Inhalte gefehlt – Zeitungsmeldungen konnte ich zum Beispiel gut anderswo finden – durchaus aber der Dopamin-Kick. Dann hat Ablenkung am besten geholfen. Am effektivsten war alles mit haptischer Resonanz, also Sport oder Handwerkliches.
Unpraktisch war die Abhängigkeit von der Informationsweitergabe aus Gruppenchats durch Einzelpersonen. Auf Dauer wäre ein Kompromiss praktischer, wie zum Beispiel stationäre Smartphonenutzung nur zuhause. Grundsätzlich war die Woche Auszeit aber erlebens- und empfehlenswert. Gerade für all diejenigen, die noch mehr als ich das Gefühl haben, nicht mehr ohne zu können.
Von Carolin Roder
Carolin Roder studiert Soziologie. Seit dem Sommersemester 2023 schreibt sie für den ruprecht. Am liebsten über gesellschaftliche Themen und alles das, was eigentlich verändert gehört.
Philipp Rajwa hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.