Viele Männer leiden unter den gängigen Rollenklischees. Lorenz geht diesem Problem auf den Grund und hinterfragt Männlichkeit. Seit Kurzem kann man nun auch seinem Podcast „Lorenz Lauscht“ zuhören. Im Interview gab er unserer Redakteurin einen Einblick in seine Arbeit als Podcaster und in die Themen, die er darin behandelt. Warum auch Männerarbeit wichtig ist, mit welchen Problemen junge Männer zu kämpfen haben und wie es zur Idee des Podcasts kam.
Wer bist du, Lorenz?
Ich bin Lorenz, studiere Spanisch, sowie Ur- und Frühgeschichte im Bachelor und arbeite nebenbei bei einer gemeinnützigen Firma, die psychosoziale Beratung für Männer anbietet.
Wie bist du dazu gekommen, dich für Männer zu engagieren?
Ich habe zuerst drei Semester BWL in Mannheim studiert, dann sechs Jahre Jura, ein Jahr davon war ich in Spanien. Schon vor dem Erasmus, aber vor allem währenddessen, habe ich mich mit Männerarbeit beschäftigt, denn ich habe schon immer gemerkt, dass ich nicht in die klassischen Männerklischees passe. Mir hat dann immer so ein bisschen die “Männlichkeit” in meinem Leben gefehlt. Ich fragte mich: kann ich das nicht auch anders für mich leben oder irgendwie auf eine andere Weise rausfinden? Ich merkte, dass ich zu meinem Vater kein gutes Verhältnis hatte – die Beziehung hat sich mittlerweile stark verbessert. Generell hatte ich eher Angst vor Männern und hab mich unter Frauen wohler gefühlt. Allerdings fand ich es immer doof, wenn diese mich nicht als potenziellen Partner gesehen haben, sondern eher als Freund. Es kam noch dazu, dass ich gemerkt habe, dass das mit dem Jurastudium nicht mehr passt. So reflektierte ich und merkte, dass ich etwas verändern möchte. Im Ausland hatte ich mir ein Buch gekauft, in dem es um Männerarbeit ging. Ich habe gegoogelt, ob es Männerkreise in Heidelberg gibt und so stieß ich auf den Männerkreis, aus dem jetzt die Circle of Men gGmbH hervorgegangen ist.
Was ist der “circle of men”?
Der „Circle of Man“ ist eine gemeinnützige GmbH, die im Frühjahr diesen Jahres gegründet wurde. Die Gründer haben zuvor Männer Kreise privat organisiert und daraus entstand die gGmbH. Jetzt haben wir auch Räume in Mannheim angemietet, die wir gerade am Ausbauen sind. Dort sollen dann Gesprächskreise, Seminare und am liebsten auch Einzelcoachings – wenn wir jemanden finden, der das macht – stattfinden. Es gibt auch weiterhin einen kleinen Raum in Heidelberg, in dem Gesprächskreise stattfinden. Die Idee war, das Ganze zu professionalisieren, denn dann ist es in vielerlei Hinsicht leichter. Wir haben beispielsweise noch eine Gemeinnützigkeitsbindung, das heißt wir genießen steuerliche Vorteile, dürfen aber keinen Gewinn machen. Als gemeinnützige Organisation kann man auch Spenden annehmen, und die Gemeinnützigkeitsbindung wird jährlich überprüft. Die Idee, den Namen auf Englisch zu machen kommt von der Vision, dass das Alles richtig groß werden soll. Jetzt geht es aber erstmal darum, hier in der Region fuß zufassen. Es gibt im Moment zwei Männerkreise in Heidelberg und es soll jetzt noch einen Dritten in Mannheim geben. Der erste Männerkreis wurde 2013 gegründet der zweite dann 2015 und die GmbH gibt es jetzt seit April diesen Jahres.
Wie kam es zur Idee des Podcast?
Als ich gemerkt habe, dass mir die Männerkreise etwas bringen, hatte ich das Bedürfnis etwas weiterzugeben. Die Freunde von mir, die die Männerkreise bisher privat veranstaltet haben, meinten, sie würden gerne eine gemeinnützige GmbH, den Circle of Men, gründen, um das ganze größer und professioneller zu machen und haben dann gefragt, ob ich da nicht auch mitmachen will. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Weil ich selbst auch schon immer Podcasts gehört habe, die mir auch selbst viel gegeben haben, kam dann die Idee auf, dass ich auch einen Podcast mache könnte. In Deutschland gab es bis dato noch nicht so einen Podcast oder ich habe ihn noch nicht gefunden (lacht), in dem man auch über Männer redet, und der eben nicht nur ein Sexpodcast ist. Davon gibt’s viele und das ist auch gut so! Auch in meinem Podcast wird teilweise über Sexualität gesprochen, aber eben nicht nur. Ein Podcast hat etwas sehr Intimes, denn du kannst dir die Kopfhörer in die Ohren stecken und keiner bekommt mit, was du hörst, denn du bist einfach für dich. Ein Podcast kann natürlich nicht das leisten, was eine Therapie leistet, aber er kann Impulse und Anregungen geben. Der Podcast heißt „Lorenz Lauscht“, denn ich rede zwar auch prinzipiell viel und gerne, aber letztlich geht es darum zu hören, was mir erzählt wird.
Wie würdest du jemandem deinen Podcast erklären, der ihn nicht kennt?
Ich rede einmal mit Expertinnen und Experten über das Thema Männergesundheit – physisch wie psychisch. Und dann rede ich mit Menschen, die eine inspirierende Geschichte haben, die mit Rollenklischees aufbrechen. Es geht mir darum, zu gucken, wie jemand tickt oder welche persönliche Geschichte jemand hat.
Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, über das Thema “Männerarbeit” zu sprechen?
Ich kann verstehen, dass es erstmal vielleicht ein bisschen komisch klingt, wenn man sagt: „ich kümmere mich um Männer!“, denn man kann argumentieren, dass Männer Jahrtausende privilegiert waren – Thema Patriarchat. Das verstehe ich auch und gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, dass es bei Männerarbeit darum geht, dass diese auch Probleme oder Angst haben, wütend sind, eine Depression haben oder in Trennungssituationen überfordert sind. Es geht uns darum, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Männer auch ein Hilfsangebot brauchen und dass es Anlaufstellen geben muss. Dies sollte auf eine gesunde Weise geschehen, denn es gibt auch toxische Verhaltensmuster von Männern und Angebote von Pick-up Artists, bei denen es nur darum geht, zu lernen, wie man manipuliert. Davon differenzieren wir uns stark. Ich will bewirken, dass Männer die Hilfe brauchen, auch Hilfe bekommen. Es gibt mehr Hilfsbedürftige, als man denkt und ich glaube, es fehlt das Bewusstsein, dass auch Männer sowas brauchen. Der zweite Grund ist, dass ich merke, dass es auch immer mehr Männer gibt, die gerne etwas verändern würden, aber noch nicht wissen wie. Hier geht es mir darum eine gesunde Anleitung oder einfach den Raum zu geben. So kann jeder für sich herausfinden, wie er leben will.
Mit welchen Problemen haben junge Männer in unserer Gesellschaft zu kämpfen?
Das kann sich in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich auswirken. Im jungen Alter erleben viele eine herausfordernde Phase, in der man von der Schule kommt und dieses Korsett, diese vorgegebene Struktur, die einem Halt gegeben hat, plötzlich wegfällt. Einige ziehen vielleicht auch aus und man muss irgendwie seinen Weg finden. Gerade die 20er sind eine Phase der großen Unsicherheit, in der man dann merken kann, dass bisherige Rollenbilder unter Druck setzen und man es anders machen will. In so einer sensiblen Phase hat man genau dann auch den Raum, sich zu erforschen. Ich finde, da ist manchmal die Gefahr, wenn es keine Hilfsangebote gibt, dass man dann wieder in Muster zurückfällt. Wenn man sich verloren fühlt, ist irgendeine Orientierung immer besser als keine. In der ersten Podcastfolge habe ich mit einem Berater von einer psychologischen Beratungsstelle für Studierende gesprochen und er meinte, dass junge Männer oft der Welt der Videospiele zum Opfer fallen, da dort noch klassische Männerbilder existieren. Es ist in dieser sensiblen Phase wichtig, diese Zweifel und Unsicherheiten nicht durch exzessives Spielen oder exzessiven Konsum einfach runterzuschlucken. Der Grund, warum wir auch junge Männer erreichen wollen, ist, weil man im jungen Alter noch die Kraft hat Sachen wegzudrücken. Wenn man mit 40 oder 50 Jahren langsam die Energie nachlässt und dann die Themen aufkommen, kann es schlimmer kommen, als wenn man diese mit 20 oder 30 schon bearbeitet hat. Je länger man wartet, desto schwieriger wird’s. Mittlerweile sind auch im Männerkreis ein paar jüngere Männer da, dennoch ist es so, dass eher ältere Männer zu uns kommen.
Wie verläuft der Prozess einer Folge? Von der Idee bis zur Aufnahme.
Im Grunde schaue ich zunächst immer, was ich selbst spannend finde, oder wen man vielleicht schon kennt, den man gerne interviewen würde. Ich bekomme auch Empfehlungen von anderen. Manchmal entsteht das eher durch Zufall, weil man dann selbst etwas liest oder hört. Dann informiere ich mich zum Thema, zum Beispiel durch Dokus oder Paper. Meistens verabrede ich auch ein Vorgespräch mit den Gästen, bei dem ich mir ein Cluster mache, von dem ich fünf Themen besprechen möchte. Es ist schon ein paarmal passiert, dass ich etwas gefragt habe und dann hat mir aber mein Gesprächspartner etwas erzählt, mit dem ich nicht gerechnet habe. Das lasse ich dann einfach laufen, denn dann war die Antwort viel besser als das, was ich mir erhofft hatte. Ich empfinde es als Privileg diese Folgen produzieren zu dürfen, weil ich mit den Leuten davor schon rede und auch danach unterhält man sich meistens nach so einer Aufnahme. Ich habe dann bisher nach den Interviews immer das Gefühl gehabt, dass ich richtig viel gelernt habe, denn ich durfte aus erster Hand mitkriegen, was mir die Person aus ihrem Beruf oder aus dem Leben erzählt hat. Bisher bin ich zu den Leuten nach Hause gegangen, denn ich habe mobile Aufnahmegeräte, was mich sehr flexibel macht.
Was würdest du jemandem raten, der mit dem Podcasten beginnen will?
Machen! Handy raus, Aufnahme-App und anfangen; Leuten zeigen. Ich glaube gerade beim Podcast existiert die Angst, sich mit der eigenen Stimme zu zeigen. Aber man merkt meistens, dass das Feedback besser ist als man erwartet. Auch große Podcasts haben mal klein angefangen. Es ist auch wichtig, keine Angst vor der Technik zu haben.
Wen hast du bereits eingeladen und wer soll noch kommen?
Für die erste Folge habe ich einen Berater von einer psychologischen Beratungsstelle für Studierende interviewt. Wir sprachen über junge Menschen, vor allem über junge Männer oder Männer in Übergängen im Leben, Stichwort „Identitätsfindung“. Die zweite Folge interviewe ich einen ehemaligen Bundeswehrsoldaten. Die nächste Folge wird wahrscheinlich mit einer Musiktherapeutin aufgenommen, denn Musiktherapie ist etwas relativ Unbekanntes; ein eigener Zugang zu Gefühlen oder zu einem selbst ist nicht nur durch Sprache möglich. Dann würde ich gerne mit dem Herrn von dieser Männerberatungsstelle in Sachsen, den ich auf einer Tagung kennengelernt habe, über Gewaltschutz sprechen und über das Thema „Väter“. Einen Urologen würde ich auch gerne noch interviewen und ich würde tatsächlich auch gerne nochmal eine Folge darüber machen, was auch der Feminismus der 60er Jahre für die Männerarbeit getan hat. Da wären wir wieder bei dieser Verschränkung, denn vieles was damals angesprochen wurde hat den Weg dafür geebnet, dass es zum Beispiel sowas wie Männer-Arbeit gibt. Denn man hat ein Bewusstsein für solche Themen geschaffen.
Könntest du dir auch vorstellen Frauen zu interviewen?
Klar, denn wir sind eine Gesellschaft und nichts passiert isoliert voneinander. Außerdem gibt es auch Frauen, die sich beruflich mit der Gesundheit von Männern beschäftigen. Es gibt Urologinnen, genauso wie es auch Gynäkologen gibt. Auch Frauen sind betroffen, zum Beispiel von toxischer Männlichkeit. Der Fokus liegt zwar beim Mann, aber genauso gut kann es auch eine Frau oder eine nicht-binäre Person sein, die sagt „Ich habe da eine Geschichte“.
Was verstehst du unter Geschlechtergerechtigkeit?
Geschlechtergerechtigkeit ist für mich, dass jeder Mensch zu seinen Gefühlen stehen kann und darf. Das sollte man tun können, ohne Furcht vor juristischer oder gesellschaftlicher Zurückweisung. An der Oberfläche wirken wir alle unterschiedlich, aber ich glaube, im Kern sind wir Menschen alle gar nicht so anders und das schon seit Jahrtausenden und Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen Jahren. Menschen waren schon immer traurig, wütend, haben sich gefreut, hatten Hunger, hatten Durst, hatten Bedürfnis nach Nähe, hatten auch das Bedürfnis nach Distanz. Wir alle manifestieren uns in dieser Welt einmal durch unseren Körper, aber auch durch unseren Namen oder unser Verhalten. Dadurch kann man sich gehindert fühlen, bestimmte Emotionen zu fühlen und zuzulassen. Geschlechtergerechtigkeit ist für mich, dass jeder Mensch seine Gefühle annehmen und danach handeln darf. Im Grunde darf man vieles, zum Beispiel wenn man als Mann Teilzeit arbeiten will, darf man das. Wenn aber eine Frau Vollzeit Vollzeit arbeiten will, gibt es immer Menschen, die dies hinterfragen. Auf dem Papier, also rein juristisch-administrativ, ist vieles gleich, aber in der Realität dann doch nicht. Geschlechtergerechtigkeit oder Gleichberechtigung ist kein Kampf, denn wir können es nur gemeinsam schaffen. Was ist denn das Ziel des Kampfes? Wann hat eine Seite gewonnen? Es geht eher darum, zueinander zu finden. Zum Beispiel hat auch der Feminismus oder die LGBTQI+ Bewegungen viel für die Männerarbeit gemacht. Es ist also eher so, dass es verschiedene Aspekte gibt, aber man das gleiche Ziel verfolgt. Folglich ist es nicht so, dass wenn man sich für die eine Seite einsetzt, gegen die andere hetzt.
Was würdest du jungen Männern raten, die gerade mit ihrer Identität hadern?
Wir sind so drauf gedrillt immer gleich eine Lösung zu finden oder zu funktionieren. Es ist dann wichtig Raum zu geben, zuzuhören oder in den Austausch mit anderen Menschen zu gehen, denn wir spiegeln uns auch immer in anderen wieder. Armin, einer der Gründer des Circle of Men, sagt immer: „Wir begegnen immer nur uns selbst“. Das bedeutet auch hinzugucken, was man in seinem Gegenüber sieht. Tatsächlich sollte man Hilfsangebote nutzen. Es gibt niedrigschwellige Hilfsangebote, auch an unserer Uni, da kann man auch einfach mal einen Termin ausmachen. Vielleicht sogar Therapie, Coaching oder eine Gesprächsgruppe in Anspruch nehmen, oder manchmal ist es auch schon okay, wenn man jemanden hat mit dem man gut reden kann. Bei Männern ist das eine Tendenz, Vieles mit sich selbst auszumachen. Man sollte nie Angst vor der Verletzlichkeit haben, weil im Grunde passiert nichts, selbst wenn man jetzt als Mann in der Öffentlichkeit weinen würde – bei sowas hab auch ich meine Hemmungen. Man(n) darf Gefühle haben und man darf auch hinschauen, schauen wie geht’s einem.
Wo siehst du dich selbst in ein paar Jahren?
Ich finde es toll, irgendwann mal eine Jubiläumsfolge zu haben. Vielleicht mache ich aber auch Männerarbeit hauptberuflich. Eventuell bin ich aber auch bei Ausgrabungen in Spanien oder Lateinamerika. Ich möchte auf jeden Fall immer wieder großartige Leute kennenlernen, beruflich, aber auch persönlich. Das gibt mir sehr viel. Außerdem möchte ich stets dazulernen. Es gibt Situationen im Leben, die sich im Moment sehr schlecht anfühlen, aber im Nachhinein kann das auch ein wichtiger Wendepunkt im Leben gewesen sein.
Ist Heidelberg bereit für deinen Podcast und deine Arbeit?
Unsere Haupträume sind aktuell in Mannheim, da es einfach ein größeres Einzugsgebiet hat und zudem besser zu erreichen ist. Ich denke aber schon, dass Heidelberg bereit ist, denn einige aus den Männerkreisen kommen bereits aus Heidelberg oder aus der Region. Ich glaube, bei sowas braucht es erstmal einen Dosenöffner, was in Heidelberg manchmal ein bisschen länger braucht (lacht). Aber ich glaube, Heidelberg ist auf jeden Fall bereit dafür, denn es gibt hier viele junge Menschen. Letztens habe ich mich mit einem jungen Mann unterhalten, der meinte, er trifft sich einmal im Monat mit Freunden privat, so eine Art privater Männergesprächskreis, was ich auch cool fand.
Frage aus der Leser:innenschaft:
Was heißt es Mann zu sein?
Das kann ich dir nicht beantworten. Es geht eher darum, einen Raum zu schaffen, in dem das jeder für sich selbst klären kann.
Das Gespräch führte Anja Haffner
Bastian Mucha studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.