Wenn langersehnte Semesterferien zur mentalen Herausforderung werden: Leisure-Sickness betrifft viele Studis
Vorlesungen vorbei, Klausuren überstanden, und plötzlich herrscht Stille. Die sonst gut gefüllte To-Do-Liste bleibt nun unberührt auf dem Schreibtisch und eigentlich könnte man morgens einfach im Bett liegen bleiben. Schließlich hat man frei – oder etwa nicht? Die gewohnte Tagesstruktur ist plötzlich eine offene Frage: Muss man sie überhaupt noch einhalten, wenn es ohnehin nichts mehr zu tun gibt? Im Kopf herrscht Chaos – was soll ich mit mir anfangen, jetzt, wo nichts mehr zu erledigen ist? Es fühlt sich fast schon falsch an, einmal nichts tun zu müssen.
Leisure-Sickness, auf Deutsch Freizeitkrankheit, bezeichnet das ärgerliche Phänomen, das stets pünktlich zum Urlaub vor der Tür steht. Manche erkranken in den Ferien an der Grippe und andere spüren eine Art „mentale Gefangenschaft”. Die Semesterferien sind für die meisten mit viel Freizeit und Entspannung verbunden – ein deutlicher Unterschied zur Klausurphase.
Doch für viele Studierende hat diese plötzliche Freiheit einen negativen Effekt auf eine vermeintlich schöne Zeit. Das Phänomen äußert sich auf psychischer Ebene; dabei spielen mentale Downs eine entscheidende Rolle und oft begleiten Gefühle wie Einsamkeit und Antriebslosigkeit die Betroffenen während der Semesterferien.
In einer vom ruprecht geführten Umfrage wurden Studierende zu ihren Erfahrungen mit Leisure-Sickness befragt. Viele geben an, dass ihre mentale Kapazität nach der Klausurenphase stark erschöpft sei. Es scheint, als ob die intensive Vorbereitung und der Stress der Prüfungszeit den eigenen Körper dazu zwingen, in einen lähmenden Zustand zu verfallen. Um diesem Phänomen näher auf den Grund zu gehen, hat der ruprecht mit dem Psychologen Wolfgang Sessar über stressbedingte Verhaltensmuster von Studierenden gesprochen. Laut Sessar verfallen viele Studierende nach der Klausurphase in einen passiven Modus. Je länger man in diesem Zustand verweilt, desto schwieriger werde es, wieder in eine Routine reinzukommen. Oftmals erhoffen Betroffene sich zum Beispiel durch einen übermäßigen Medienkonsum Erholung. Das bewirke jedoch das Gegenteil und führe zu einer Reizüberflutung, welche letztendlich nicht entspannt. „Medienkonsum an sich ist durchaus in Ordnung, aber es ist entscheidend, ihn zeitlich zu begrenzen“, erklärt Sessar. Nach einer gewissen Zeit sei es ausschlaggebend, aus der „Nichts-Tun“-Phase wieder herauszukommen. Dies wird besonders wichtig im Kontext von Hausarbeiten, die in einigen Studiengängen in die Semesterferien fallen. Denn der Verfall in ein mentales Tief hänge oft mit der Art zusammen, wie Studierende ihre freie Zeit gestalten. Meist entstehe erst gegen Ende der Semesterferien die Motivation, etwas für sich oder mit anderen zu unternehmen. Problematisch wird das, wenn diese Phase mit der Deadline für die Hausarbeit kollidiert und Panik sich wie Schauer über den Rücken ausbreitet. Psychologe Sessar empfiehlt daher, sich auch während der Semesterferien klare Ziele zu setzen und diese, obwohl es vielleicht nervig klingen mag, rechtzeitig anzugehen. Dabei sei es wichtig zu betonen, dass damit nicht gemeint ist, sich direkt nach Beginn der Semesterferien an die Hausarbeit zu setzen und sich keine Auszeit zu gönnen. Vielmehr solle man laut Sessar nach einer Down-Phase langsam wieder zu einer Tagesstruktur finden, um so wieder den eigenen Rhythmus aufzubauen.
Auch ist es wichtig, dem Körper die nötige Zeit zu geben, sich an den drastischen Wechsel von Stress zu Freizeit zu gewöhnen. Denn das mentale Tief hat seinen Ursprung in körperlichen Veränderungen, die sich wiederum auf die Psyche auswirken können. Geduld mit sich selbst und das Verständnis für diesen Prozess sind entscheidend, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Es ist also völlig okay, wenn man sich in den ersten Tagen nach den Klausuren komisch fühlt und nicht genau weiß, wie man die freie Zeit nutzen soll. Um der Antriebslosigkeit entgegenzuwirken, muss man sie erst einmal akzeptieren. Mag seltsam klingen, doch umso mehr man dagegen ankämpft, desto schlimmer kann der Stress und der entsprechende Effekt auf den Körper werden. Mit schlechtem Gewissen und Selbstvorwürfen ist also niemandem geholfen. Stattdessen können Struktur und eine langsame Umstellung der eigenen Routine dabei helfen, die körperliche und seelische Gesundheit zu verbessern. Und wenn alle Bemühungen ins Leere laufen, bleibt nur noch der ultimative Ratschlag einer Betroffenen: „Akzeptiert einfach die Leere.“
Von Giulia Gregori und Michelle Schmid
Michelle Schmid studiert derzeit Amerikanistik und schreibt seit November 2023 für den ruprecht, um während ihres Studiums bereits Erfahrungen und Praxiskenntnisse für ihren Traumberuf als Autorin und Journalistin zu sammeln. Ihre besonderen Interessen im Schreiben liegen in den Bereichen Psychologie, Bildungswissenschaften und Popkultur.
Guter Artikel, mit interessanten Thematik. Mir würde es interessieren, ob diese Freizeitkrankheit auch auf Berufstätige oder Azubis gilt; bzw. ob es mit dem Alter an her geht oder dies eher ein Entwicklungsprozess ist, den man mit regelmäßigen und festen Arbeitsplatz sich bessert – man gewöhnt sich irgendwann dran.