Wer unter dem Impostor-Syndrom leidet, unterschätzt die eigenen Leistungen. Ein Blick auf die Statistik zeigt: Viele Menschen fühlen sich manchmal wie Betrüger:innen – obwohl sie das gar nicht sind
Die 1,3 in der Hausarbeit war doch nur Glück! Das Lob vom Professor? Reiner Zufall!“ So hallt es durch die Flure der Universität. Was auf den ersten Blick bescheiden wirkt, kann auf Dauer in übermäßigen Zweifeln an der eigenen Leistung enden. Auch permanente Angstzustände sind möglich. Psycholog:innen sprechen hier vom Impostor-Syndrom oder dem Hochstapler-Syndrom.
Da es sich hierbei jedoch um kein Störungsbild, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt, empfiehlt es sich, vom Impostor-Phänomen zu sprechen. Es zeichnet sich durch das Gefühl aus, im Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten zu betrügen, erklärt Mona Leonhardt von der Universität Frankfurt. Sie forscht seit einigen Jahren zum Impostor-Phänomen und ist zudem als Coachin für Betroffene tätig.
Trotz herausragender akademischer Leistungen oder einer vorbildlichen Karriere werden Betroffene von der Angst geplagt, andere zu betrügen und früher oder später als Hochstapler entlarvt zu werden. Ihre Erfolge schreiben sie externen Faktoren wie Glück, Manipulation, Zufall oder Sympathie zu – dass der Erfolg das Ergebnis ihrer Arbeit und Fähigkeiten ist, kommt kaum infrage. Misserfolge hingegen werden auf eigenes Versagen zurückgeführt.
Das Erleben dieser Gefühle ist von Person zu Person unterschiedlich, und es lässt sich nicht anhand klarer Zahlen entscheiden, ob man nun vom Impostor-Phänomen betroffen ist oder nicht. Stattdessen greift man zu Instrumenten wie dem Impostor-Selbstkonzept-Fragebogen: Anhand der normierten Fragebögen kann man ermitteln, wo sich der oder die Betroffene auf dieser Skala der Ausprägung bewegt und die Selbstzweifel können mit dem Testergebnis eingeordnet werden.
„Ein wesentliches Kriterium für die Auswahl von Intervention ist jedoch, wie sehr sich eine Person davon belastet fühlt und eingeschränkt ist. Das hängt mit der Frage zusammen, wie stark mich die Bewältigung einer Aufgabe belastet und ob ich mich anschließend von dieser Belastung erholen kann“, ergänzt Leonhardt in diesem Zusammenhang.
Erstmalig wurde das Phänomen 1978 von den Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Ament Imes von der Georgia State University an erfolgreichen Frauen beschrieben. Sie beobachteten, dass leistungsstarke Akademiker:innen dazu neigten, jeden Beweis ihrer Kompetenz wegzudiskutieren. Vielmehr beschrieben sie sich als inkompetent.
Die Ursache des Symptoms sahen Clance und Imes vor allem im familiären Umfeld. So hielten Eltern ihren eigenen Nachwuchs für intelligenter, begabter und charakterlich ausgeprägter als andere Kinder und präsentieren dies mit Stolz. Daraus folge oftmals eine Kluft zwischen der Selbstwahrnehmung der Kinder und der idealisierten Darstellung durch die Eltern.
Doch auch das Gegenteil kann der Fall sein, wenn etwa Eltern die Geschwister im Übermaß loben und Betroffenen somit das Gefühl geben, sie würden es niemals so gut machen wie ihre Geschwister. Insbesondere bei Frauen trügen auch gesellschaftliche Rollenbilder zum Impostor-Phänomen bei: Einer Frau, die zur aufopferungsvollen Hausfrau erzogen wurde, falle es schwerer, eigene berufliche Erfolge anzuerkennen.
Die Wissenschaft nahm lange an, dass zumeist Frauen ein Impostor-Phänomen hätten. Mittlerweile zeigen Studien jedoch, dass Männer gleichermaßen darunter leiden. „Was diese Wahrnehmung prägt, dass vor allem Frauen vom Impostor-Phänomen betroffen sind, ist die Tatsache, dass dieses Erlebensmuster vor allem Frauen zugesprochen wird.
Solche mit Selbstzweifeln verbundenen Gedanken, Gefühle und derartige Kognitionen über die eigenen Leistungen zu haben, schreiben wir gesellschaftlich eher Frauen zu“, erläutert Psychologin Leonhardt. So hänge das Impostor-Phänomen stark mit negativer Feminität zusammen, also mit negativ feminin konnotierten Eigenschaften wie Unsicherheit und Ängstlichkeit, wobei diese genauso häufig bei Männern vorhanden sind.
Unterschiede lassen sich jedoch bei den Inhalten der Selbstzweifel vermuten. „Möglicherweise handelt es sich bei Frauen eher um eine generalisierte Form der Selbstzweifel, wohingegen sich die Selbstzweifel bei Männern auf konkretes Wissen beziehen, die viel besser geschlossen werden können und folglich weniger langfristige Auswirkungen haben. Das ist aber noch nicht abschließend geklärt“, ergänzt Leonhardt.
Ein reicher Nährboden für das Impostor-Phänomen ist vor allem das universitäre Umfeld, welches von ständigen Testsituationen geprägt ist. Der ständige Druck, sich beweisen zu müssen, kombiniert mit dem Gefühl, ohnehin nicht in die akademische Welt zu gehören, nährt die Selbstzweifel und steigert die persönlichen Ansprüche ins Unermessliche.
Laut einer Studie der Psychologen Jaruwan Sakulku und James Alexander von 2011 kommen 70 Prozent aller Menschen einmal in ihrem Leben mit dem Phänomen in Berührung. In besonders intensiven Studienfächern wie Medizin leiden sogar 90 Prozent aller Studierenden unter dem Phänomen, so eine Studie der Pennsylvania Medical School aus dem Jahre 2021.
Das Interesse am Impostor-Phänomen ist in den letzten Jahren gestiegen. In den Buchhandlungen wächst die Auswahl an Titeln wie Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann? von Sabine Magnet oder Dein Erfolg ist kein Zufall von Jessamy Hibberd.
Unzählige Podcasts und Instagram-Beiträge machen auf das Thema aufmerksam. Auch bekannte Persönlichkeiten wie die ehemalige First Lady Michelle Obama oder Tennislegende Serena Williams erzählen offen von ihren leistungsbezogenen Selbstzweifeln.
Daneben häufen sich auch jene Artikel, die das Phänomen als eine Art Doping zugunsten der Selbstoptimierung verstehen: Wer das eigene Scheitern um jeden Preis verhindern wolle, bereite sich oft übergründlich vor und scheine auf den ersten Blick tatsächlich erfolgreicher zu sein.
Leonhardt zufolge lässt diese Sichtweise einen wichtigen Punkt außen vor: „Wenn jedoch mit dem Erfolg verbunde positive Emotionen, wie zum Beispiel die Erhöhung des Selbstwerts, ausbleiben und Personen anschließend nicht auf ihre Leistung stolz sein können, verlieren wir diese positiven Effekte von Erfolg bei Personen mit Impostor-Selbstkonzept. Mittel- und langfristig führt der Erfolg bei Betroffenen beispielsweise nicht zu einer Steigerung des Selbstwerts und der Selbstwirksamkeit, was sehr ungünstig ist im Hinblick auf das psychische Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit.“
Dieser Teufelskreis aus höherer Arbeitsbelastung und wachsenden Ansprüchen endet nicht selten in einem Burnout oder einer Depression. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Denkmuster zu erkennen und sich seiner eigenen Leistung bewusst zu werden. In einem ersten Schritt hilft es bereits, dass sich die Thematik an Popularität erfreut und Personen somit ihren Ängsten einen Namen geben können.
Zu wissen, dass man mit seinen Zweifeln nicht allein ist, kann den Druck bereits deutlich lindern. Gleichzeitig können Erfolgstagebücher das Selbstwertgefühl in Zeiten der Zweifel unterstützen und dabei helfen, positives Feedback einfacher anzunehmen.
Dabei kann auch ein professionelles Coaching eine mögliche Lösung für Betroffene sein. Doch neben diesen Selbsthilfemaßnahmen liegt die Verantwortung auch bei Arbeitgeber:innen. Diese können Bedingungen schaffen, die Impostor-Gefühle lindern oder gar die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens verringern. Dazu zählt Leonhardt beispielsweise diversere Teams, in denen Männer und Frauen sowie Menschen verschiedener Herkunft stärker durchmischt sind, zusammen mit einer veränderten Erfolgs- und Misserfolgskultur.
Bei klinisch relevanten Symptomatiken sollten Betroffene sich professionelle Hilfe suchen, wie etwa bei der psychosozialen Beratungsstelle der Universität oder psychotherapeutische Hilfe.
Von Maja Seewald
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.