Es zischt, es sprudelt, es schäumt. Ein gutes Bier. Am besten gekühlt serviert, zusammen mit Freund*innen in einer Bar getrunken, auf ex. Nächste Runde.
Was sich für Deutschland wie ein schmerzlicher Rückblick in das Jahr 2019 anhört, ist in Großbritannien bereits Realität. Am 12. April endet der dritte, viermonatige „Lockdown“ für die Rund 67 Millionen Inselbewohner*innen. Der Einzelhandel darf nun endlich wieder seine Türen öffnen und die Brit*innen an den wichtigsten Ort der Welt zurückkehren, den Pub. Dies gilt bis dato zwar nur für die Außengastronomie, aber Regen und Kälte ist man im Vereinigten Königreich sowieso gewohnt. Ja, so schön kann es sein im Land der (weitgehend) Geimpften.
Gestützt von sinkenden Fallzahlen und einer gut anlaufenden Impfstrategie verkündet der britische Premier Boris Johnson am 22. Februar seine „Exit“ Strategie. Diese besteht aus vier Stufen und soll am 21. Juni mit der Aufhebung aller Corona-beschränkungen enden. Vorausgesetzt die Fallzahlen bleiben stabil. Nach der Verkündung im Unterhaus geht ein merkliches Aufatmen durchs Land. Die Aussicht auf Lockerungen löst eine Welle an Erleichterung und Zuversicht aus.
Jedoch trauen nicht alle Brit*innen ihrem Premier über den Weg. Dieser hatte zu Beginn der Pandemie verkündet, dass ein drei-wöchiger Lockdown ausreichen würde und vor Weihnachten das ganze Fest wegen der britischen B 1.1.7 Mutante kurzfristig abgesagt. Dieses Mal soll Boris Johnson jedoch Recht behalten. Oder er hat einfach Glück, wer weiß.
Pünktlich zu sagenhaft strahlendem Wetter startet am 12. April der Wettlauf auf die besten Pub-plätze. Schon Wochen im Voraus sind fast alle Restaurants und Pubs mit Außengastronomie ausgebucht. Wer bis dahin noch keine Reservierung ergattert hat, muss auf die lokale Parkbank ausweichen. In den darauffolgenden Wochen herrscht ein Ausnahmezustand. Der Chef der größten Pub-Kette Mitchell & Butlers, Phil Urban, erklärte der „Financial Times“ kürzlich, dass das Bier langsam knapp werde. Die Nachfrage habe jede Prognose übertroffen. Meine Friseurin beschwert sich daraufhin jüngst „sag mal, müssen die Leute nicht irgendwann arbeiten?“. Nein, das ist wohl einer der Vorteile des Homeoffice und der Online-Uni.
Trotz all der Öffnungseuphorie bleiben Maßnahmen wie Maskenpflicht und die 2-Meter Abstand Regel weiterhin Pflicht. Allerdings lassen sich diese in dicht gedrängten Schlangen vor dem Pub oder nach einigen 2-4-1 Cocktails eher schlecht als recht einhalten. Die lokalen Ordnungsbehörden zeigen zwar Präsenz, greifen aber nur bei offensichtlichem Fehlverhalten ein. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass auch die im Dienst stehenden Polizist*innen zu einem Pint Bier nicht nein sagen würden.
Gleichzeitig bleiben die Fallzahlen auf einem niedrigen Niveau. Denn mit einer guten Prise Pragmatismus impft sich Großbritannien weiterhin Richtung Freiheit. Niemand würde hier ernsthaft auf die Idee kommen eine Spritze AstraZeneca zu verweigern, der Impfstoff kommt ja schließlich aus Oxford. Die Skepsis der Europäer, insbesondere der Deutschen, die den Impfstoff erst zulassen, nur um ihn dann wieder ganz einzustellen oder nur teilweise freizugeben, stößt hier weitegehend auf Unverständnis. „Dann hatte der Brexit wenigstens einen Vorteil“, lacht mein Mitbewohner, bevor er sich, Überraschung, auf den Weg zum Pub macht.
Einen hohen Preis haben die Briten für ihre jetzige Freiheit jedoch bezahlt. Im Dezember trieb die britische Mutante B 1.1.7 die Sieben-Tage-Inzidenz teilweise auf über 1.000 Neuinfektionen pro 10.000 Einwohner. Das Gesundheitssystem NHS riskierte laut britischen Behörden in den jeweiligen Gegenden einen totalen Kollaps. Viele litten nicht nur einmal, sondern gleich zweimal unter einer Covid-19 Erkrankung. Um so sicherer ist man sich jetzt, den größten Spuk bereits hinter sich zu haben. Mit einer Impfquote von 51% Erstimpfung und 25% Zweitimpfung Stand Anfang Mai könnte die Brit*innen sogar Recht behalten. Vorausgesetzt, das Virus mutiert nicht nochmal.
Als nächstes soll laut dem Masterplan à la Boris Johnson die Innengastronomie wieder öffnen dürfen. Bis jetzt sieht es so aus, als ob sein Plan auch ein zweites Mal aufgehen wird. Dies ist auch bitter nötig, denn Anfang April kann es auch für kälteerprobte Brit*innen abends ungemütlich werden. Von uns Europäer*innen auf der Insel ganz zu schweigen.
Von Lina Abraham
Hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.