Auf der 77. Frankfurter Buchmesse wurde viel geredet, über Politik, Caroline Wahl und manchmal auch über Literatur. Der Morgen danach
Na, hingegangen? Egal. Die Frankfurter Buchmesse bleibt Treffpunkt der internationalen Literaturszene und Pilgerstätte des Feuilleton. Doch es herrscht schon länger Katerstimmung.
Vom 15. bis 19. Oktober besuchten, laut eigener Angabe, etwa 238.000 Menschen die Messe. Man zeigt sich zufrieden über den Besucher:innenzuwachs, schließlich hat man noch eine Pandemie in den Knochen. Und zumindest der Samstag war ausverkauft.
Angeboten wird Sigmund Freuds Gesamtwerk. Ein Auslauf-Modell
Die Messe steht da wie ein buntes Happening. Vor allem kulturell wurde wieder breit aufgefächert, untermauert durch den Ehrengast Philippinen. Das Gelände ist riesig, in den brodelnden Hallen sind alle schwer beschäftigt.
Wir gehen natürlich in die Halle 3.1, denn dort verspricht man uns „Literatur und Sachbuch“, oder so ähnlich. Klar, wer das Angebot der großen Verlagshäuser wie C. H. Beck oder Suhrkamp studiert, wird nach wie vor fündig. Dort will man auf Nachfrage nichts von einer „Lesekrise“ wissen. Doch die ist nun mal nicht zu übersehen. Ringsherum haben sich Stände zu „Touristik“, „Kalender“ oder „Bildung“ breit gemacht. Wo ist denn der Platz für Literatur hin, wenn man fragen darf? Darf man nicht? Okay.
Immerhin, der Stand des Bundestags entzückt mit einer kleinen Glaskuppel. Leider kommen wir mit den umherhuschenden Abgeordneten nicht ins Gespräch; dafür greifen wir die kostenlosen Jutebeutel ab. Wer sucht, der findet.
An den kleineren Ständen gilt noch ein anderer Zeittakt – Geldverdienen erscheint eher zweitrangig. Hier suchen Menschen das Gespräch. Abseits von großen Bühnen können Interessierte lernen, was es mit dem „Dritten Testament“ auf sich hat oder in Kontakt mit den buddhistischen Lehren treten. Das tut gut.
Natürlich sind auch die unabhängigen Fach- und Kleinverlage vertreten – zumindest das, was von ihnen übrig geblieben ist. Wie etwa der Psychosozial-Verlag, der vor allem psychoanalytische Schriften vertreibt. Angeboten wird Sigmund Freuds Gesamtwerk. Ein Auslauf-Modell.
Währenddessen werden in den Panels von Faz und Die Zeit die ganz großen Fragen bearbeitet. Hier sind die Kameras. Die Kulissen sind weiß lackiert, auf den Sofas herrscht gute Stimmung und wer mag, kann noch einen Ratgeber kaufen. Wir müssen stehen, als wir weitergehen möchten, versperrt uns plötzlich eine Menschenmenge den Weg. Einige Stände weiter spricht Michel Friedmann mit rotem Kopf in ein Mikrofon. Kein Durchkommen.
Verwest hier ein ganzer Medienzweig vor unseren Augen?
Insgesamt ist schon viel los, wobei sich die Menge an den Ständen der wichtigen Medienhäuser konzentriert, während es sich abseits der großen Bühnen verläuft. Ursprünglich wollten wir an dieser Stelle die Transformation der Medienlandschaft ansprechen, aber das erscheint banal, da wir nun mal den Tatsachen gegenüber stehen. Die Situation des Prints bleibt prekär, selbst große Konzerne haben Lieferengpässe. Vielleicht hat es die taz kapiert. Als erste Tageszeitung hat sie den Print eingestellt und sie wird damit wohl nicht allein bleiben. Man hat jetzt auch Tiktok. Ob die Strategie aufgeht, bleibt jedoch unklar.
Verwest hier ein ganzer Medienzweig vor unseren Augen? Aus Verlegenheit suchen wir Halt bei hogrefe, das ist vielleicht die bedeutsamste Adresse für Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie. Ausgerechnet ein Ratgeber über Online-Sucht sticht heraus. Kostenpunkt: 25 Euro.
Wir können ohne Literatur leben. Die Unterhaltungsindustrie ist jedenfalls längst weitergezogen, immer mit dabei auf dem Smartphone. Schöne neue Welt, benutzer- freundlich und auf Hochgeschwindigkeit. Egal ob Dostojewski oder die Tagesschau, in Zukunft lassen wir nur noch lesen; am liebsten in der Kurzversion „100-Sekunden“. Nur zum Nachdenken bleibt keine Zeit.
Von Till Siegert und Tobias Prolingheuer
...studiert Politikwissenschaften und Philosophie. Er interessiert sich für Politische Theorie und schreibt am liebsten für das Feuilleton.
...schreibt wonach ihr grade der Sinn steht und leitet seit dem Sommersemester 2025 die Bildredaktion als 50% einer Doppelspitze









