Bestehlen wir uns selbst, wenn wir den Mensa-Löffel nicht abgeben?
Wer kennt es nicht: In der heimischen Besteckschublade sieht es mau aus, man ist gerade eingezogen und die Kaffeetassen fehlen oder die Mitbewohner:innen haben die Hälfte der Gläser bei nächtlichen Gelagen bruchstückhaft im Flur verteilt. Eine simple Lösung: Das Inventar der universitären Mensen und Cafés plündern. Schließlich sitzt man hier fast jeden Tag zum Mittagessen und der finanzielle Schaden durch den ein oder anderen Tellerklau hält sich in Grenzen, oder?
Wir haben beim Studierendenwerk Heidelberg nachgefragt und sind auf Zahlen gestoßen, die im Gegensatz zum vernachlässigbaren Einzeldiebstahl auf organisierten Raub ganzer Servicesammlungen hinweisen. Laut Studierendenwerk werden jährlich bis zu 10.000 Teile Besteck nachbestellt. Die Kosten liegen dabei zwischen 5000 und 10.000 Euro. Wer sich jetzt ertappt fühlt, darf beruhigt sein: Die Bilanzsumme des Studierendenwerks lag 2022 bei 127 Millionen Euro und die Mensen und Cafés nehmen jährlich 3,6 Millionen Euro ein.
Dennoch sollte man die Kleptomanie nicht kleinreden. Zwar sind 10.000 Euro im Verhältnis zu den Gesamtumsätzen nicht der Rede wert, es ist jedoch Geld, das an anderer Stelle fehlt. Das Studierendenwerk ist weder Rewe noch Aldi, deren Ausrichtung allein der Erfolg auf dem Markt – sprich der Profit – ist. Stattdessen finanziert es auch durch Semesterbeiträge zentrale Dienstleistungen für Studierende, die das studentische Leben erleichtern: Es bearbeitet unter anderem Baföganträge, unterhält viele Studierendenwohnheime und betreibt die Mensen. Das Studierendenwerk basiert auf Gemeinnützigkeit und ist für Studierende da. Es bezahlt nicht zuletzt die Gehälter des Mensapersonals, das oft selbst aus Studierenden besteht.
Eine studentische Aushilfskraft in der Hochschulgastronomie in Heidelberg verdient bei einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden etwa 1100 Euro monatlich. Die zusätzlichen Beiträge, die das Studierendenwerk zahlen muss, um kleptomanische Neigungen mancher Studierender auszugleichen, könnten also fast das Jahresgehalt einer Aushilfskraft bezahlen. Diese ermöglichen überhaupt erst den Betrieb der Hochschulgastronomie. Beißt sich die Katze also selbst in den Schwanz, wenn wir uns beklauen? Apropos: Das 24-teilige Besteckset mit dem Namen „Förnuft“ aus dem schwedischen Einrichtungshaus deiner Wahl kostet aktuell 9,99 Euro. Förnünftig wäre es, sich lieber dort umzuschauen, findet ihr nicht auch?
Von Simon Stewner
Simon Stewner studiert im Global History im Master of Arts und ist seit Oktober 2023 beim ruprecht. Er interessiert sich sowohl für (stadt-)historische als auch gesellschaftliche Themen. Wenn er nicht gerade über seinen nächsten ruprecht-Artikel nachdenkt, unterstützt er die Bildredaktion.