Wenn wichtige Medikamente fehlen
Ein Kind mit seltener Immunerkrankung kommt auf die Welt. Die Ärzte geben ihm nur wenige Monate zu leben. Die Eltern sind verzweifelt: Gibt es nicht ein Medikament, um das Kind zu retten? Und ja, tatsächlich gibt es eins – doch es wird nicht mehr verkauft. Wieso? Weil es nicht lukrativ genug war. Dieses Szenario war im Falle des Medikaments Strimvelis die Realität. So bezahlen Menschen mit ihrem Leben, weil Pharmaunternehmen profitorientiert arbeiten.
Die Entwicklung eines neuen Medikaments kann zwölf bis 15 Jahre dauern. Die Kosten reichen von 137 Millionen Euro bis zu 3,86 Milliarden Euro. Es gibt viele Phasen bis zur Zulassung, in denen die Entwicklung des Medikaments scheitern kann. Für Pharmaunternehmen müssen sich die teure Forschung und das Risiko also lohnen.
Dies führt dazu, dass mehr an Medikamenten mit langer Anwendungsdauer geforscht wird, zum Beispiel für chronische Krankheiten. Alternativ fokussiert sich die Forschung auf häufig vorkommende Erkrankungen. In die Forschung an sogenannten „Orphan Diseases“, also sehr seltenen Krankheiten, wird demnach viel weniger Geld investiert. Paradoxerweise weisen Studien darauf hin, dass die Entwicklungskosten von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen im Schnitt nur halb so hoch sind. Rechnet man dies gegen die Zahl der Patient:innen auf, sind die Kosten pro Kopf deutlich höher.
Es kann auch vorkommen, dass Medikamente bereits entwickelt und zugelassen sind, aber wieder vom Markt genommen werden, weil sie nicht den gewünschten Profit bringen. So auch im Falle der Gentherapie Strimvelis. Dieses Medikament behandelt eine schwere genetisch bedingte Defizienz des Immunsystems, die in Europa jedoch nur bei einer von 200.000 Personen auftritt. Die Immunerkrankung macht sich bereits im Säuglingsalter bemerkbar und führt unbehandelt frühzeitig zum Tod. Die Krankheit kann durch Knochenmarktransplantationen behandelt werden, doch häufig fehlen passende Spender:innen. In diesem Fall ist Strimvelis eine wichtige alternative Therapie. Das Medikament wurde sechs Jahre nach der Zulassung 2022 aus mangelnder Rentabilität vom Markt genommen. Das Unternehmen gab jedoch die Rechte am geistigen Eigentum für die Behandlung an die Wissenschaftler:innen zurück.
Nun hat sich die italienische Stiftung Telethon der Sache angenommen und startet einen innovativen Versuch, Strimvelis selbst zu produzieren. Sie wäre damit die erste Non-Profit-Organisation, die eine Gentherapie kommerzialisiert. Es ist ein schwieriges Unterfangen, Medikamente außerhalb von profitorientierten Unternehmen herzustellen, und nur wenige Stiftungen haben die finanziellen Mittel, um die Kosten zu stemmen. Eine ideale Lösung stellt dieser Weg also auch nicht dar. Doch die Telethon-Stiftung bietet erstmals einen Lichtblick, um Patient:innen mit Medikamenten zu versorgen, auch wenn diese für die Industrie nicht rentabel sind.
Von Heinrike Gilles
Heinrike Gilles studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.
Simon Stewner studiert im Global History im Master of Arts und ist seit Oktober 2023 beim ruprecht. Er interessiert sich sowohl für (stadt-)historische als auch gesellschaftliche Themen. Wenn er nicht gerade über seinen nächsten ruprecht-Artikel nachdenkt, unterstützt er die Bildredaktion.