PRO: Tatjana Volk (Doktorandin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht)
Seitdem das Kabinett in Spanien den „Menstruationsurlaub“ beschlossen hat, fand das Thema auch in Deutschland mediale Aufmerksamkeit. Online spielt sich eine Debatte ab, die häufig nur mit Spott und nicht mit dem Austausch guter Argumente geführt wird. Schnell scheint festzustehen, ein zusätzlicher Urlaubsanspruch bevorteile Frauen, mache sie zum schwachen Geschlecht und überhaupt wolle dann niemand mehr Frauen einstellen. Eine gelinde gesagt „interessante“ Denkweise im Jahr 2022, bei der man wohl froh sein muss, dass Mutterschutz, Eltern- und Pflegezeit bereits gesetzlich verankert sind. Wer eine Freistellung wegen Menstruationsbeschwerden als zusätzlichen Urlaub versteht, hat leider nichts verstanden. Wenn natürliche Vorgänge, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, als Schwäche gelten, sollten wir nicht die Beschwerden kleinreden oder einen Freistellungsanspruch verteufeln, sondern unsere gesellschaftlichen Vorstellungen von Schwäche überdenken.
CONTRA: Alina Meier-Böke (Studentin und Vorstandsmitglied der Liberalen Hochschulgruppe)
Die Ermöglichung einer Arbeitswelt, die mittels Prinzipien der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung agiert, ist ein wichtiges Leitbild für unsere Gesellschaft. Auch im Berufsleben muss die Chancengleichheit aller gerecht gefördert werden, um für jeden eine Aufstiegsperspektive eröffnen zu können. Das Schaffen eines gleichberechtigten Arbeitsverhältnisses zwischen Mann und Frau erfordert Vieles. Einen Menstruationsurlaub aber nicht. Die Einführung eines Menstruationsurlaubes, wie er im europäischen Arbeitsraum immer mehr diskutiert wird, entfremdet seinen eigenen Zweck. Er schafft mehr Differenzen zwischen Mann und Frau, anstatt diese zu beseitigen. Ebenso übertönt er essenzielle Diskurse, die eigentlich in unserer Arbeitswelt geführt werden müssen. Die Debatte um den Menstruationsurlaub entwickelt ein Randthema zu einer trendhaften Bewegung, ohne einen nennenswerten Fortschritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung beizutragen.
These 1: Es benötigt keinen Menstruationsurlaub, weil man sich einfach krankschreiben lassen kann
Volk: Personen mit Menstruationsbeschwerden sind nicht per se krank, auch wenn ihre Beschwerden zu einer Arbeitsunfähigkeit führen. Laut Techniker Krankenkasse haben 75 Prozent aller Frauen zeitweise mit Beschwerden während ihrer Menstruation zu kämpfen. Es wird vom Normalzustand eines nicht menstruierenden Körpers ausgegangen, der für viele Menschen eben nicht die Ausgangslage ihres eigenen Körpers ist. Arbeitnehmer:innen lassen sich bei Beschwerden häufig nicht krankschreiben, da sie sich nicht als „krank“ empfinden. Sie gehen zur Arbeit, obwohl sie sich nicht arbeitsfähig fühlen. Eine Menstruationsfreistellung könnte den Betroffenen sehr helfen. Fehlzeiten wegen Krankheit können im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung berücksichtigt werden und sich daher negativ für die Betroffenen auswirken.
Meier-Böke: Die Regelungen für die Krankschreibung in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Ländern sehr großzügig. Wenn Arbeitnehmer in Deutschland erkranken, haben sie die Möglichkeit, sich bis zu 6 Wochen mittels ärztlichen Attests krankschreiben zu lassen und trotzdem weiterhin bezahlt zu werden. Dies steht auch Frauen bei Regelschmerzen zu. Japan, ein Land, das seit 1947 die Möglichkeit für Menstruationsurlaube bereitstellt, notiert mittlerweile rückläufige Zahlen bei der Beantragung. Nur 0,9 Prozent der weiblichen Beschäftigten beantragten im Jahr 2017 noch Menstruationsurlaub . Bei der Mehrheit gilt, dass der Alltag weitgehend ungestört von der Periode abläuft. Es ist fraglich, ob ein Menstruationsurlaub in Deutschland überhaupt genutzt wird, wenn die Krankschreibung eine bessere und weniger persönliche Alternative darstellt.
These 2: Menstruationsurlaub ist gegenüber nicht menstruierenden Personen diskriminierend
Volk: Nein. Zunächst ist klarzustellen, dass es sich nicht um eine Bevorteilung menstruierender Arbeitnehmer*innen handelt, sondern um einen Ausgleich für ihre Beschwerden. Die Menstruationsfreistellung, wie ich sie befürworte, knüpft auch nicht an das Diskriminierungsmerkmal Geschlecht an. Ich spreche mich für eine Menstruationsfreistellung aus, die nur Betroffenen zugutekommt. Das schließt neben cis-Männern auch alle Personen aus, die nicht (mehr) menstruieren und keine Beschwerden haben. Das lässt sich zum Beispiel mittels einer jährlichen ärztlichen Bescheinigung nachweisen. Auf dieser könnte attestiert werden, dass die Voraussetzungen für den Anspruch bei der Person vorliegen. Liegt dieses Attest vor, können Betroffene durch Mitteilung gegenüber dem:der Arbeitgeber:in beispielsweise bis zu drei Tage monatlich menstruationsfrei geltend machen.
Meier-Böke: Ich würde nicht von einer Diskriminierung sprechen, da dies ein sehr starker Ausdruck ist. Man kann aber nicht verneinen, dass es mehrere Typen chronischer Schmerzen gibt, die Personen vom Arbeiten abhalten können. Migräneanfälle und chronische Rückenschmerzen, um nur einige Fälle zu benennen. Diese werden von einem Menstruationsurlaub überhaupt nicht berücksichtigt, sind aber genauso schwerwiegend für einige Personen. Die Belastungen der Menstruation können auch ohne die Außerachtlassung anderer anerkannt und verringert werden: So kann schon durch Tampons oder Binden in öffentlichen Toiletten geholfen werden. Die ETH Zürich beispielsweise bietet dies an allen Universitätstoiletten an. Ein Vorbild für die Universität Heidelberg, Menstruation zu enttabuisieren.
These 3: Ein Anrecht auf Menstruationsurlaub trägt zur Anerkennung der Belastung von Menstruierenden bei
Volk: Absolut, denn die Themen Menstruation und Menstruationsbeschwerden sind immer noch ein Tabu in unserer Gesellschaft. Belastungen werden kleingeredet, den Betroffenen wird wenig Verständnis entgegengebracht. Dabei zeigt die Studie von John Guillebaud, Professor am University College London, dass Krämpfe während der Periode schmerzhafter sein können als ein Herzinfarkt. Unternehmen, die selbstständig die Menstruationsfreistellung anbieten, haben damit gute Erfahrungen gemacht. Durch das entgegengebrachte Verständnis waren die Betroffenen noch motivierter und konnten nach den Ausfallzeiten konzentrierter arbeiteten. Es ist Zeit, dass die Gesellschaft über die Menstruation spricht. Niemand sollte sich dafür schämen. Niemand sollte trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit gehen und Menstruationsbeschwerden aushalten müssen.
Meier-Böke: Bereits jetzt werden Frauen mit Kindern bei Bewerbungsprozessen benachteiligt. Diesen Effekt könnte auch eine Art Menstruationsurlaub haben. Arbeitgeber würden die Einstellung von Männern bevorzugen, da dies weniger Kosten und Nachteile für den Betrieb bedeuten würde. Die Bewertung des Menstruationsurlaubes als gute Sache und Anerkennung der Belastungen, würde die falsche Richtung einschlagen: „Menstruationsurlaub“ würde eine neue Bevorzugung und damit folgende Stigmatisierung von Frauen am Arbeitsplatz darstellen. Dem männlichen Manager erklären zu müssen, dass man sich ein paar Tage freinehmen muss aufgrund seiner Periode, kann nicht nur unangenehm sein, sondern negative Stereotypen von Frauen zurückbringen. Der arbeitenden Frau würde dies mehr Übel als Gutes tun.
Zarah Janda studiert Molecular and Cellular Biology und ist seit dem Wintersemester 2020/21 beim ruprecht dabei. Am liebsten schreibt sie über Wissenschaft im Alltag.