Alina(*) ist eine der vielen, die den Glauben an die Linke verloren haben. Seit 2018 engagiert sie sich bei der Partei, die auf Wahlplakaten für mehr Solidarität wirbt. Nun hält sie es im Kreisverband Heidelberg nicht mehr aus. „Es herrscht ein Klima der Angst, alle Strukturen des effektiven Opferschutzes haben versagt“, sagt sie und stützt den Kopf in den Händen ab.
„Ich habe an die Partei und ihre Selbstansprüche geglaubt und dachte, wir könnten es besser machen“, sagt sie.
Auslöser ist der Streit zwischen zwei Studierenden- und Jugendverbänden der Linken in Heidelberg, der Linksjugend sowie dem sozialistisch-demokratischen Studierendenverband der Linken, abgekürzt SDS. Es geht um politische Themen wie Feminismus und Transsexualität sowie Diskriminierungserfahrungen.
Am 24. Juli 2021 eskalierte die Situation. Nach einer Veranstaltung im „Café Gegendruck” mit Vertretern beider Gruppen berichten Mitglieder der Linksjugend, um circa 22 Uhr gegen ihren Willen eingesperrt worden zu sein. Zusätzlich sei eine der Betroffenen von einem Mitglied des SDS gepackt worden. Dies geht aus einem dem ruprecht vorliegenden Gedächtnisprotokoll einer der Betroffenen hervor. Eine zweite Zeugin, die nicht namentlich erwähnt werden will, bestätigt dies.
Das Gedächtnisprotokoll ist seit Dezember 2021 Teil eines Ausschlussantrags gegen den mutmaßlichen Täter. Der Antrag wird von vier Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern der Linksjugend verfasst und von fünf weiteren Mitgliedern unterstützt.
„Es herrscht ein Klima der Angst“
Der SDS bestätigt, dass die Tür des „Café Gegendruck” nach den offiziellen Veranstaltungen von innen abgeschlossen werde, so auch am 24. Juli 2021. Er bestreitet jedoch den Einsatz physischer Gewalt. In einer schriftlichen Richtigstellung legen sechs Mitglieder des SDS dar, wie ein Mitglied der Linksjugend nach einem Gesprächsangebot der SDS ausfallend und verletzend geworden sei.
Am 31. August 2021 eskaliert der Streit ein zweites Mal bei einer Schreibwerkstatt des SDS. Vier Gedächtnisprotokolle berichten von aggressivem und bedrohlichem Verhalten eines Mitglieds des SDS. Zwei Zeug*innen schildern eine Drohung mit erhobener Hand vor dem Gesicht einer Anwesenden. Aus zwei weiteren Gedächtnisprotokollen geht hervor, dass dasselbe Mitglied des SDS einem Anwesenden einen Stoß versetzt haben soll. Dieser habe seine Schulter anschließend nicht richtig bewegen können.
In einer Richtigstellung bestreiten die beteiligten Mitglieder des SDS das beschriebene Verhalten. Die schriftliche Stellungnahme bestätigt jedoch eine zunehmend aggressive Stimmung. Ausgegangen sei diese jedoch von der Linksjugend.
Beide Vorwürfe können nicht unabhängig geprüft werden.
Beide Parteien schildern einen Konflikt zwischen Privatpersonen, der zunehmend auf Strukturen der Studierenden- und Jugendverbände der Linken übergreife.
„Eine Beteiligte habe ich nach einem der Vorfälle kaum noch bei Parteiveranstaltungen gesehen. Insgesamt wirkte sie von da an verängstigt und verstört“, sagt Alina. Sie selbst, die Mitglieder des SDS und der Linksjugend gut kennt, fühlt sich zunehmend unter Druck gesetzt. Alina meidet gewisse Orte, engagiert sich weniger in der Partei. „Das hat mich psychisch sehr belastet“, sagt sie.
Hilfesuchend wendet sich Alina an die Landesvorsitzende Sahra Mirow. „Ich habe Sahra erzählt, dass ich das nicht alleine schaffe“, sagt sie. Die Landesvorsitzende schlägt ein Schlichtungsgespräch zwischen den beteiligten Parteien vor und verweist auf die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens.
Ein Schiedsverfahren ist ein parteiinternes Ordnungsverfahren, das verschiedene Parteistrafen wie einen Parteiausschluss verhängen kann und eine bindende Wirkung für die Organe und Mitglieder der Partei entfaltet. Eine Schiedskommission wird nur auf Antrag tätig. Später bestätigt Mirow dies gegenüber dem ruprecht schriftlich.
Diese Antwort beruhigt Alina nicht. „Ein bloßes Schlichtungsgespräch ist bei Fällen der Gewalt nicht ausreichend. Zur Schiedskommission zu gehen, das ist in Parteien grundsätzlich hoffnungslos – es ist unglaublich schwer, ein solches Verfahren zu gewinnen und dauert ewig“, sagt sie.
„Dass die Person selbst nach einem vorläufigen Urteil ungehindert bei Parteiveranstaltungen auftaucht und sich niemand verantwortlich fühlt, dies zu stoppen, hat mein Vertrauen in die Struktur endgültig zerstört.” Nach dem Gespräch mit Mirow fühlt sich Alina weiterhin alleingelassen. „Ich bin auf Granit gestoßen“, sagt sie darüber.
Sahra Mirow äußert sich nach einem kurzen Telefonat schriftlich zu den Vorfällen. „Entschieden widersprechen muss ich auch den Vorwürfen, ich wäre in der Sache untätig gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich und der Kreisvorstand haben die Vorwürfe selbstverständlich ernst genommen, sind ihnen nachgegangen und haben uns nach Kräften um eine Lösung bemüht.“
Sie nennt die Interpretation ihrer Aussagen „absurd“ und verweist darauf, dass das von ihr vorgeschlagene Verfahren satzungsgemäß gewesen sei. Darüber hinaus sei von der hier anklagenden Konfliktpartei „selber dann ein Verfahren bei der Landesschiedskommission angestrengt“ worden, so Mirow.
Sie äußert schriftlich ihren Unmut über die Recherchen des ruprecht. Mirow betont mehrfach, den Text prüfen zu lassen und gegebenenfalls juristisch gegen den ruprecht vorzugehen.
Linken-Mitglied Joni(*) kennt die Situation in Heidelberg, persönlich beteiligt ist er daran nicht. Was er in der Linken erlebt, beschreibt er als eine Vielzahl an „internen Machtkämpfen“.
Insbesondere das Fehlen von Handlungsmöglichkeiten im Konfliktfall, außerhalb eines Schlichtungsgesprächs oder eines Schiedsgerichtsverfahrens, sieht er kritisch. Dies sei eine „Toleranz solcher Eskalationen seitens der Partei“, sagt er. Damit werde eine Drohkulisse geschaffen, in der solche Vorfälle wie in Heidelberg immer wieder auftreten könnten und ungestraft blieben, so Joni.
Mitglied des Kreisvorstandes Markus Jakovac kann die erhobenen Vorwürfe im Fall Heidelberg nicht nachvollziehen. „Wir haben mehrfach ein Schlichtungsgespräch angeboten, das aber von den streitenden Parteien nicht angenommen wurde. Wir können die Beteiligten nicht dazu zwingen.“ Damit bleibe nur die Möglichkeit eines Schiedsgerichtsverfahrens.
„Bei einem Schiedsgerichtsverfahren ist das wie mit einem Gericht, damit sind wir als Kreisverband raus und müssen die Füße stillhalten“, sagt er. Auch Sahra Mirow bekräftigt schriftlich, dass „jede weitere Einmischung meinerseits oder des Kreisvorstands ab diesem Moment ein Eingriff in ein laufendes Verfahren gewesen“ wäre. Aus diesem Grund hätte der Kreisvorstand nun jegliche Kommunikation mit allen Konfliktparteien zu den Geschehnissen einstellen müssen.
Die Kritik an der parteiinternen Schiedskommission weist Jakovac zurück. „Wenn eine Schiedskommission sinnlos wäre, dann hätten wir sie doch schon längst abgeschafft.“
Er weiß, dass es „schwer sein kann, Menschen aus einer Partei auszuschließen. Aus der Historie einer der Vorgängerparteien der Linken ist es uns wichtig, Menschen nicht aufgrund politischer Gründe auszuschließen“.
„Jede Form der Gewalt ist zu
verurteilen, das ist ganz klar“
Für Jakovac ist die Linke aber nicht immun gegen Kritik. „Unsere Partei ist kein luftleerer Raum. Es ist doch klar: dort, wo Menschen sind, dort gibt es auch Konflikte.“ Zur Lösung dieser Konflikte müssten aber alle Beteiligten bereit sein: „Kommunikation ist keine Einbahnstraße“, so Jakovac.
Joni und Alina glauben nicht an eine einfache Lösung. Beide betonen ein Problem der Linken im Umgang mit Kritik.
Joni berichtet aus eigenen Erfahrungen: „Wenn man sich bei der Partei kritisch äußert, lautet der Vorwurf der Partei immer, man sei unsolidarisch.“ Alina hat nach jahrelanger Parteiarbeit den Eindruck, dass Kritik nie richtig aufgearbeitet werde. Interne Kritik werde im Wahlkampf politischen Zielen untergeordnet, so Alina.
Die Augen der Kreisvorständin Zara Dilan werden groß, als sie mit diesen Vorwürfen konfrontiert wird. „Ich bin mir sicher, dass es solche Fälle der politischen Kultur bei der Linken gibt – das will ich gar nicht leugnen. Ich erlebe die politische Kultur in Heidelberg jedoch als sehr angenehm und solidarisch.“
Sie betont, dass in Heidelberg immer alle Ohren für Betroffene jeglicher Form von Gewalt offen stünden. Markus Jakovac betont: „Wir nehmen es sehr ernst, wenn sich Genossinnen und Genossen unsicher und unwohl fühlen. Das ist auf jeden Fall eine Situation, die nicht hätte passieren sollen. Jede Form von Gewalt ist zu verurteilen, das ist ganz klar“, sagt er.
Seit Mai dieses Jahres baut die Partei ihre Strukturen weiter aus. „Seit dem letzten Kreisparteitag haben wir auch ein parteiinternes ‚Awarenessteam‘ hier vor Ort, dort soll der Schutz der Betroffenen im Fokus liegen“, sagt Dilan.
Auch Mirow bekräftigt, dass sie sich gerade auf Bundesebene dafür einsetze, „dass die Satzung der Linken hier künftig auch Vorständen mehr Handlungsmöglichkeiten bietet als Mediationsverfahren.“
Bei den Vorfällen in Heidelberg versichert sie, sollten sich „die Vorwürfe im Zuge des derzeit laufenden Verfahrens erhärten, werden wir natürlich alle satzungsgemäß möglichen Schritte unternehmen.“ Für sie ist klar: „Bei uns gibt es keinen Platz für Gewalt oder Sexismus.“
Die neu geschaffenen „Awarenessstrukturen“ erreichen Alina nicht mehr. Nun zieht die Studentin Konsequenzen aus den letzten Monaten. Die Partei, die ihr das erste Mal das Gefühl gegeben hat, mit Respekt oder Wertschätzung behandelt zu werden, ist ihr fremd geworden.
Sie möchte nun erstmal aus der Politik aussteigen.
(*) Name geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.
Von Lina Abraham
Hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.