Das Stück „Blaupause“ erzählt im Theater Heidelberg von Gefühlen und Körpern, die durcheinandergeraten
Auf einmal war sie weg. Blau war weg,“ schallen die ersten Worte durch das Publikum des Theaters in der Zwingerstraße 3. Der doch eher kleine Raum ist bis an die Grenzen der Auslastung gefüllt. Dem Stück gelingt es sogar diejenigen Zuschauer:innen zu begeistern, die sich mit der Treppe als Sitzplatz begnügen müssen. „Blaupause“ eröffnet den 41. Heidelberger Stückemarkt mit seiner Uraufführung und stellt diesen Satz an seinen Anfang. So ist das Stück auch der Gewinner des letztjährigen Autor:innenwettbewerbs im Rahmen des Stückemarkts geworden.
Leonie Lorena Wyss schreibt in „Blaupause“ über Coming-of-Age, Queere Identität, Body Dysmorphia und Verlust. Sie beweist damit vor allem eines: Theater ist für alle da. So erzählt „Blaupause“ fragmentartig von dem Erwachsenwerden, Sich-Selbst-Werden oder auch Sich-Selbst-Fremdwerden einer jungen Frau, von ihrer ersten Liebe und dem plötzliche Ende dieser. Gesellschaftliche Konventionen und soziale Normen sprechen etwa durch die chorartig fungierenden Cousinen der Protagonistin Tanja, die bei den jährlichen Familientreffen die Köpfe tuschelnd zusammenstecken. Küsschen links, Küsschen rechts: Was macht das Leben? Was macht die Schule? Alle möglichen Tanten und Onkels begutachten den ersten Freund einer Cousine („Ist das etwa SEB-AST-I-AN?“), kommentieren Körper („Fußballerwaden – mit denen kannst du schnell wegrennen, wenn dir jemand was böses will“) und missachten jegliche Grenzen. Identifikationsmöglichkeiten bietet Blaupause also allerlei.
Leonie Lorena Wyss schildert mit Witz von der jugendlichen Awkwardness, mit Zärtlichkeit vom Kennenlernen und Näherkommen zwischen Protagonistin Tanja und dem Mädchen, das später ihre Freundin werden soll und mit Sinnlichkeit von dem eigenen sexuellen Entdecken. Inmitten von all dem steht der Verlust, der Tod der Freundin, der schließlich die Welt der Protagonistin (noch mehr) erschüttern lässt. „Hätt ich gewusst, dass es dich nur gibt, wenn was bricht, dann hätt ich nicht-“. Auch die Inszenierung verdeutlicht die Intimität der Geschichte, die hier erzählt wird: Alle fünf Schauspieler:innen, die alle die Protagonistin verkörpern und zwischendurch in die Rollen der Cousinen, Tanten oder des Freundes schlüpfen, schmiegen sich in beinahe durchsichtigen Jumpsuits an übergroße Hände, tanzen Macarena oder vertonen die dargestellten Szenen mit 2000er Jahre Pop. „Blaupause“ unterscheidet sich also insofern von dem Großteil des restlichen Programms des diesjährigen Stückemarkts, als es durch die Perspektive einer jungen Frau spricht und dabei auch gar nicht versucht, etwas anderes zu sein.
Die dargestellten Erlebnisse erzählen weniger aus den Leben des klassischen Theaterpublikums, sondern vielmehr etwa aus dem der jüngeren Generation und sprechen dabei auch in ihrer Sprache: Zwischen Online-„Bin-ich-lesbisch?“-Tests oder Referenzen zu „Germany’s Next Topmodel“ wird deutlich: „Blaupause“ ist ein Stück von und für junge Menschen. Und das in einer Sprache, die nicht nur für jede:n zugänglich und verständlich ist, sondern auch besonders in ihren Bildern glänzt: Stille, die „mit keinem Pflaster abzukleben ist“, Pilzsuppe, in die man vor Scham abtauchen will oder eben die Farbe Blau, die sich aus allen Dingen zieht. Was da aufgeführt wird, ist eine Geschichte, die sonst eher selten einen Platz auf den Theaterbühnen findet und gerade deshalb umso mehr begeistert. Das Stück ist noch bis zum 10. Oktober im Theater und Orchester Heidelberg zu sehen.
Von Nicola van Randenborgh
Nicola van Randenborgh studiert Philosophie & VWL und schreibt seit dem Wintersemester 23/24 für den ruprecht - Und das am liebsten über das, was sie oder die Welt eben gerade bewegt.