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Gabelpudding

von Christiane Winter
8. November 2025
in Ausgabe, Feuilleton, Startseite
Lesedauer: 2 Minuten
0
Gabelpudding

Grafik: Christiane Brid Winter

Die Jugend gibt den Löffel ab. Und alle haben eine Meinung dazu – auch der ruprecht

Kommentar

Es ist mal wieder so weit: Ein neues Internetphänomen hat die Bundesrepublik ergriffen. Massen an jungen Erwachsenen vernetzen sich online und strömen in die Parks Europas, um Pudding zu essen … mit der Gabel selbstverständlich. Der Ablauf ist dabei recht simpel. Irgendjemand druckt in eifriger Begeisterung und Mangel an sauberen Utensilien einen Flyer, verteilt diesen und zack, versammeln sich die Massen.

Dann beginnt das mysteriöse Ritual: Schritt 1: Mit Gabel und angedickter Süßspeise deiner Wahl auf dem Boden sitzen, Schritt 2: Unter Countdown mit der Gabel auf der verschlossenen Pudding-Verpackung herumklopfen, und zuletzt Schritt 3: Die Gemeinschaft und den Pudding genießen.

Das Ganze ist in der Umsetzung dann gar nicht mal so abstrus, wie es scheint. Vor allem der gedruckte Flyer wirkt überraschend vintage, zumindest für einen Trend der „Generation Brainrot“. Es handelt sich quasi um eine Mixed-Media-Experience. Die digitale und die analoge Welt arbeiten zusammen.

Was daran jetzt das Besondere ist, können nicht einmal die verschiedenen Medieneinrichtungen, die das Ganze wie Dokumentarfilmende verfolgen, erklären. Trotzdem versuchen sie es natürlich. Laut des Onlineformats der „Tagesschau“ ist der Trend wohl ein Symptom der Post-Corona-Jahre, im Zuge derer die Jugend vereinsamt. So oder so ähnlich zumindest. Möglicherweise handelt es sich auch (mal wieder) um einen Weltuntergangsindikator. Unbeachtet davon zeugt es wohl insbesondere von der kreativen Punk-Energie der deutschen Gesellschaft, der nichts witzigeres einfällt, als kollektiv ein leicht unpraktischeres Besteck zu verwenden. Oder aber wir sind Zeugen eines neuen Genres der Performance Art: ein Rückgriff auf die Happenings der 60er Jahre. Damals wurde das Publikum mit in das Kunstwerk eingebunden, die Grenzen zwischen Künstler:in und Alltag verschwammen. Auch Essen ist in diesem Feld keine Neuheit: Alan Kaprow lies 1964 Marmelade von einer Autooberfläche lecken. Da ist verpacktes Dessert aus dem Supermarkt doch um einiges appetitlicher. Zumal die Künstler:innen nun kaum präsent sind. Wer genau den genialen Einfall hatte, ist nämlich unbekannt (auch wenn eine Karlsruher Memeseite sich mit der Genesis des Trends rühmt). Die Happenings wurden jetzt also weiterentwickelt. Konzeptkünstler:innen mit zu viel Selbstbewusstsein wurden durch Frechdachse mit zu viel Zeit vor dem Bildschirm ersetzt.

Denn im digitalen Zeitalter gewinnt die Nummer einen international-performativen Aspekt. Ganz nach dem Motto „pics or it didn’t happen“ kursieren zahlreiche Videos im Netz, entweder von enthusiastischen Beteiligten oder verwirrten Beobachter:innen. Mittlerweile wurde die Kunstform auch für diverse Werbespots instrumentalisiert, was wohl nur Schlechtes für ihre Zukunft prophezeit. Vielleicht auch nicht, Cringe ist ja bekanntlich tot und Werbung schon seit der Mad Men Kunst.

Allgemein ist das alles kaum so wundersam oder bescheuert, wie alle tun, sondern einfach ein bisschen witzig. Die einzigen Opfer? Fernsehmoderator:innen, die sich zur hämischen Unterhaltung der Social-Media Abteilung mit Selbsttests erniedrigen müssen.

Von Christiane Brid Winter

Christiane Winter
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