Zwischen Fast-Food und Klamottenläden: Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin des Antiquariats Hatry über den Wert dieser besonderen Buchläden in der City of Literature Heidelberg
Große, goldene Buchstaben über dem Eingang und – bei gutem Wetter – Stapel um Stapel alter Bücher auf roten Sandsteinfensterbänken laden dazu ein, näher zu treten. So manch einem:r mag auf dem Weg zum Uniplatz, beim Durchschlängeln zwischen Touri-Gruppen und Schulausflügen, die Ladenfront von Hatrys Antiquariat aufgefallen sein. Beim genaueren Betrachten seiner Fensterfassade fallen die sorgfältig kuratierten Schaufensterzusammenstellungen auf, in denen thematische Buchzusammenstellungen über Architektur bis Märchen regelmäßig durchwechseln. Die Tür steht offen. Als ich das Geschäft betrete, kommt mir der Geruch von altem Papier entgegen. Die Regale stapeln sich bis zur Decke. Jede Fläche ist bedeckt mit Büchern, alten Drucken, Atlanten oder Ähnlichem. Gegen die hereinschallende Geräuschkulisse der Hauptstraße wirkt das Ladeninnere trotz der ständig wechselnden Kundschaft ruhig. Seit 1986 gehört das Antiquariat zum Heidelberger Stadtbild – ab 1995 am heutigen Standort. „Wir möchten Schwellenängste mindern, die mit der Vorstellung von ‚dem elitären Antiquariat‘ einhergehen“, meint Sandra Müller, die vor etwa sechseinhalb Jahren die Geschäftsführung von ihrem Mann übernommen hat.
Während ich auf meine Gesprächspartnerin warte, gucke ich mir einen Ständer mit alten Postkarten an. Aus Erfahrung weiß ich: Wenn ich anfange die Bücher durchzustöbern, werden Stunden vergehen, ohne dass ich es merke. Wir stellen uns schließlich an die Theke und das Gespräch beginnt. Im Laufe der Unterhaltung werden wir immer wieder von den verschiedensten Kund:innen unterbrochen, im Laden und via Telefon. Mehrere von ihnen möchten wissen, wo es bestimmte Werke gibt, jemand braucht dringend „irgendeine Bibel“ für ihr Studium, jemand anderes möchte Bücher verkaufen. Ein Jugendlicher fragt, wie alt das älteste Buch im Laden sei. Antwort: Es ist aus dem 16. Jahrhundert. Solche Fragen kämen häufig, meint Müller. Auch gehen viele mit der Erwartung in den Laden, ihn wie eine Buchhandlung nutzen zu können. Es gibt jedoch keine „klassische Beratung“, keinen festen Bestand und einfach so bestellen kann man nichts. Der Laden ist in Themenbereiche unterteilt, die wiederum nach Autor:innen sortiert sind. Wenn jemand nach etwas Bestimmten sucht, verweist Müller auf einen Themenbereich wie zum Beispiel Philosophie. Vielleicht gibt es das Buch dann dort, vielleicht muss woanders weiter gesucht werden.
Mit dem Begriff „Antiquariat“ wird jeglicher Handel mit alten Büchern bezeichnet – sowohl in Geschäften wie auch online. Auch von dieser Kategorie gibt es Beispiele in Heidelberg. Unter anderem das Antiquariat Welz, welches der ruprecht zusammen mit dem Antiquariat Canicio im Artikel „Alt und verstaubt?“ bereits 2018 einmal vorstellte. Damals hatte man auch bei Welz noch die Wahl zwischen Besuch und online, doch Ende 2020 schloss der Ladenbetrieb. Es ist nicht unüblich zweigleisig zu fahren, doch Hatry konzentriert sich seit mehreren Jahren primär auf das Geschäft in der Altstadt. Denn das Konzept läuft in der Hauptstraße gut. Das breite Angebot und die Lage sorgen für viel Laufkundschaft. Doch das funktioniert bei vielen Antiquariaten nicht so gut wie bei Hatry. Je kleiner der Laden, desto besser sei es, einen festen Kundenstamm aufzubauen, so Müller. Es sei ein generelles Problem, auch auf die Seitenstraßen und andere Stadtteile aufmerksam zu machen. Auch in Heidelberg kommt es immer wieder zu Schließungen von Einzelhandel. Antiquariate gehören für Müller zu Heidelberg. Immerhin ist die Stadt „Unesco City of Literature“. Im diesem Rahmen gab es vor wenigen Jahren auch Förderung von Events in Buchhandlungen und Antiquariaten, bei Hatry fanden damals Lesungen statt.Im Laufe des Gesprächs wird die Liebe zum Buch immer wieder spürbar. Das Antiquariat Hatry will dazu einladen, sich mit Büchern zu beschäftigen. Von Sammler:innen bis neugierigen Tourist:innen, das Antiquariat schafft es ein breites Publikum anzusprechen. „Idealerweise findet die Kundschaft bei uns auch Dinge, die sie vielleicht gar nicht gesucht hat.“
Hatry
Hauptstraße 119; Mo. bis Sa., 11 bis 18 Uhr
Blaumilch
Plöck 56a; Di. bis Fr. 13 bis 19 Uhr, Sa. 11 bis 15 Uhr
Canicio
Plöck 64a; Di. bis Fr. 12 bis 18:30 Uhr, Sa. 11 bis 15 Uhr
Ambiente 51
Schulzengasse 10; Mo. bis Sa. 10 bis 17:30 Uhr
Von Emma Helene Neumann
...illustriert und schreibt für den ruprecht und bildet die anderen 50% der Bildredaktions-Doppelspitze.








