Das Schöne an Grundrechten ist, dass man sie hat, ohne etwas dafür tun zu müssen. Man hat sie sogar auch dann, wenn man sie nicht will. Und so sollte es auch bleiben. Ich darf mich zur Impfpflicht äußern, auch wenn ich keine Ärztin bin oder keine Ahnung von dem Thema habe. Wäre ja schrecklich, wenn mir aus Desinteresse ein Recht entzogen würde.
Beim Datenschutz denken viele anders. ‚Ich habe doch nichts zu verbergen‘ ist ein Klassiker. Abgesehen davon, dass Menschen sich mit dieser Aussage unfassbar uninteressant machen, ist sie zusätzlich natürlich gelogen. Ich erzähle nicht jedem alles, verschweige vielleicht, dass ich bei der letzten Wahl die AfD gewählt habe, wie häufig ich meinen Pornhub-Premium-Account nutze und wo sich meine untergetauchte Familie in Syrien aufhält. Alle haben etwas zu verbergen. Zu Recht. Mit Recht.
Ein gewisses Vertrauen in die Sinnhaftigkeit von Grundrechten schadet nicht. 2016 sagte Edward Snowden auf einer Podiumsdiskussion (auf Englisch, weil es schöner ist): „Saying you don‘t care about privacy because you have nothing to hide is like saying you don‘t care about free speech because you have nothing to say.“ Privatsphäre ist durch das Grundgesetz (Artikel 2 Absatz 1) in der freien Persönlichkeitsentfaltung geschützt. Und sie ist – Überraschung – nicht verkäuflich.
So weit, so einleuchtend. Blickt man auf den Ist-Zustand der sozialen Medien und zahlreicher Tools, die mit dem Internet verbunden sind, sieht man die Privatsphäre vor lauter gesammelter Daten nicht mehr. Google weiß eigentlich immer, wo du bist, was du isst, wie du liebst, wen du liebst, welche Passwörter du verwendest. Wenn du mit einer Garmin-Fitness-Uhr joggen gehst, sagt die Uhr kurz Facebook Bescheid – egal ob du ein Facebook-Konto hast oder nicht. Garmin ist ein Beispiel von vielen: Das Portal mobilsicher.de fand 2018 heraus, dass ein knappes Drittel aller Apps im Google Play Store Daten an Facebook zum Nutzungsverhalten schickt. Ein Widerspruch ist nicht möglich. Du kannst dich nicht wehren, wenn du etwas dagegen hast. Es gilt in vielen Fällen noch immer: Friss oder stirb.
Gedankenspiel: Du kannst dich entscheiden zwischen einer App, die beinahe ungefragt Daten weiterleitet und zwischen einer App, die es nicht tut oder dich zumindest vor die Wahl stellt. Was würdest du wählen? Eigentlich geht es bei der Frage nach Datenschutz und Privatsphäre um viel mehr als Apps wie der von Garmin. Durch das ständige Datensammeln sollen die Angebote zielgenauer werden. Wenn es um Fakten und wichtige Informationen geht, sollten aber nicht persönliche Vorlieben, sondern eben Fakten und wichtige Informationen den Ausschlag geben. Es ist zu bezweifeln, dass dieser Standard gilt, wenn ich mich in der Google-Suche oder bei Youtube zu Covid-19 informieren möchte.
Wenn es verträgliche Alternativen gäbe, würden sich viele für diese entscheiden. Das Argument, es gäbe nichts zu verbergen, ist vorgeschoben. Es ist eher eine Entschuldigung, sich von App-Anbietern unwürdig behandeln zu lassen. Betrachtet man die andere Seite, zeigt sich, dass man in vielen Fällen nicht nur Entscheidungsmacht abgibt, sondern die Unternehmen für sich entscheiden lässt. Wer das nicht will, sollte widersprechen können.
Eine Analyse von Thomas Degkwitz
Thomas Degkwitz will seit 2019 die Netzwerke der Stadt verstehen. Das hat er für zwei Jahre auch als Ressortleiter “Heidelberg” versucht. Ihm ist das Thema Studentenverbindungen zugelaufen, seitdem kümmert er sich darum. Außerdem brennt er für größere Projekte wie die Recherche zur Ungerechtigkeit im Jurastudium. Lieblingsstadtteil: die grünflächige Bahnstadt (*Spaß*)